Flussumleitung in Brasilien beschlossene Sache

Mit ihrer Entscheidung will die brasilianische Regierung das umstrittene Projekt beschleunigen, das den Armen nicht, wie behauptet, zugute kommen wird

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Im Hinblick auf die 2006 in Brasilien stattfindenden Wahlen hat sich Lula da Silva etwas Besonderes für den "Velho Chico" ausgedacht (Rio São Francisco - Lulas Transamazônica?). Seine Pläne stoßen bei manchen Brasilianern allerdings auf wenig Gegenliebe - insbesondere bei den herbei fabulierten Haupt-Nutznießern, der Bevölkerung des semiariden Nordostens. Gerade wegen dieser renitenten Klientels wurde jetzt die Gangart verschärft, demokratische Bremsklötze räumte man beiseite.

Das brasilianische Umweltamt IBAMA (Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis) sollte in den betroffenen Bundesstaaten Anhörungen der Bevölkerung organisieren, um so zu einer positiven oder negativen Entscheidung über eine Genehmigung des Bauvorhabens zu kommen. Von den acht angesetzten Anhörungen fanden vier statt (in den Bundesstaaten Rio Grande do Norte, Ceará, Paraíba und Pernambuco), die anderen wurden aufgrund lautstarker Proteste abgebrochen - wie in Sergipe und Maceió. Eine Neuauflage von Anhörungen ist unwahrscheinlich.

Um eine weitere Verzögerung des Projekts zu verhindern, gab die Regierung Lula während des Karnevals den Beginn der Arbeiten im Mai bekannt - unabhängig vom Ausgang weiterer, eventuell doch noch stattfindender Anhörungen und ungerührt von den massiven Protesten der letzten Wochen. Und manchem Brasilianer ist mittlerweile entfallen, wofür und von welchen Hoffnungen begleitet diese Regierung einst angetreten ist.

Fruchtanbau im São Francisco-Tal durch die staatliche CODEVASF. Zur Zeit werden ca. 100000 Hektar bewässert. Ziel ist die Expansion auf dem agrar-industriellen Sektor, auch auf Gebieten wie den Aquakulturen. 2003 kamen 95% des brasilianischen Mango-Exports aus dem Gebiet. (Quelle: Companhia de Desenvolvimento do Vale do São Francisco e do Parnaíba (CODEVASF)

Eine kürzlich von Journalisten zutage geförderte Studie von Weltbank-Experten hatte von der Umleitung abgeraten und stattdessen zu bedenken gegeben, dass die Armen der Gegend nicht - wie von den Regierungsvertretern behauptet - zu den Begünstigten des Projekts zählen werden. Insbesondere der Nord-Kanal-Abschnitt, den Lula schon nach dem Ökonom Celso Furtado benannt hat, sei ökonomisch fragwürdig: Mit seiner Hilfe würden die Kosten der Bewässerung der landwirtschaftlichen Nutzflächen vor allem auf die Bevölkerung umgelegt. Wieder wird die brasilianische Gesellschaft zur Kasse gebeten werden, zum Vorteil der großen lokalen Exporteure landwirtschaftlicher Erzeugnisse sowie der Importeure in den Industrienationen.

Der Weltbank-Bericht bringt die Regierung in eine schwierige Position, beschädigt er doch auch das Verhältnis zur Umleitungs-Lobby. Und die Regierung wiederum lässt nichts unversucht, den Bericht abzuqualifizieren und zu diskreditieren. Denn er wirft auch unbequeme Fragen auf, z.B. nach den zahlreichen unvollendeten bzw. brachliegenden Wasserversorgungs- und Bewässerungsprojekten in der Region.

Außerdem wird geschätzt, dass mit der Projektfertigstellung die Wasserrechnungen für die Bewohner der Städte des Nordostens bis zu 30% teurer werden würden. Das ist eine unangenehme Zahl - der Hydrologe João Abner Guimaraes Filho, Universidade Federal do Rio Grande do Norte, nennt das ganze auch "eine Art Trojanisches Pferd". Paulo Brito, Chef-Projekt-Koordinator der Regierung, hilft gern aus und denunziert Kritiker, die mit dieser Zahl hantieren, als Terroristen - wegen des Tatbestands der "apokalyptischen Propaganda".

Nichtsdestotrotz - Brito betont das ausdrücklich - tritt die Weltbank (neben der Japan Bank for International Cooperation) als Geldgeber in Erscheinung. Sie will jedoch den Großteil der Gelder in der Verbesserung der Situation bisher unterversorgter Gebiete angelegt sehen - landesweit.

Der Chef-Koordinator des Comitê da Bacia Hidrografico do São Francisco (CBHSF), Luiz Carlos da Silveira Fontes, hat ebenfalls ungeklärte Fragen zu bieten, z.B.:

Wenn es die Absicht Lulas ist, den unter der Trockenheit leidenden Menschen zu helfen, weshalb besteht er dann auf der Durchsetzung dieses Projekts, das erwiesenermaßen nur den ureigenen Interessen der Eliten der "Dürre-Industrie", großen Farmen, Unternehmen und Politikern dient?

Doch die Repräsentanten der Staatsmacht wollen die Fachleute, die nach wie vor Projekte zur Wiederbelebung des Flusses und seiner anliegenden Gebiete bevorzugen, nicht mehr hören.

Passend dazu ergründen portugiesische Journalisten für Grande Reportagem (Jornal de Notícias, Diario de Notícias) gerade die eigentliche Bedeutung von Landesfarben und deren Proportionen - wie hier Brasilien.

Grün: Menschen, die mit weniger als 10 Dollar pro Monat leben Gelb: Menschen, die mit weniger als 100 Dollar pro Monat leben Blau: Menschen, die mit weniger als 1000 Dollar pro Monat leben Weiß: Menschen, die mit mehr als 100000 Dollar pro Monat leben (andere Versionen geben 500000 Dollar an)

Das hier nicht dargestellte, dem französischen Positivisten Auguste Comte (1798-1857) zugeschriebene Motto "Ordem e Progresso" ("Ordnung und Fortschritt") erscheint in einem anderen Licht.