Die Schönheit der Zukunft und die Zukunft der Schönheit

Beim Schönheitswettbewerb Miss Digital World 2005 werden zum zweiten Mal die virtuellen Traumfrauen der Zukunft vorgestellt. Auch ungeübte 3D-Animateure dürfen ihre selbst geschaffenen Beautys auf den Laufsteg schicken

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Jedes Märchen, jeder Mythos beginnt mit einer schönen Frau, sei sie Herrscherin oder Dienerin, gut oder böse. Weibliche Schönheit ist ein Idealbild der menschlichen Kultur. Doch wer oder was ist überhaupt eine Schönheit? Schönheit liegt im Auge des Betrachters, so sagt man. Dennoch gab es zu jeder Zeit das Bedürfnis, zu vergleichen und zu idealisieren. Kürzlich hat der italienische Sprachwissenschaftler und Universalgelehrte Umberto Eco ein Buch veröffentlicht, das die Schönheitsideale aller Kulturepochen anhand von Fotos, Gemälden, Statuen und Zeichnungen nebeneinander stellt1.

Bella von Michael Donahue (USA) nimmt am diesjährigen Miss Digital World teil, aber scheint nicht besonders glücklich darüber zu sein

Und wie sieht das Idealbild weiblicher Schönheit heute und in der Zukunft aus? In Zeiten der Globalisierung und der multikulturellen Gesellschaft kann sich ein Schönheitsideal nicht auf eine Haar- oder Hautfarbe, auf ethnische Zugehörigkeit und Kultur festlegen. Im gerade beginnenden Zeitalter der virtuellen Realität braucht ein Schönheitsideal nicht einmal vor den natürlichen Grenzen halt machen, denen der menschliche Körper unterworfen ist. Avatare, virtuelle Personen, sind reine Kunstprodukte ihrer Erschaffer, in ihrem Aussehen frei gestaltet nach Belieben und Fantasie.

In seinem Science Fiction Roman Idoru2 (japanische Adaption von des Englischen Wortes Idol) erzählt William Gibson von der virtuellen Diva Rei Toei, Sängerin und Frontfrau der erfolgreichsten Band ihrer Zeit, die nur im Cyberspace existiert. Schon heute, im Zeitalter von Computer und Internet, braucht ein Schönheitswettbewerb nicht einmal an einem realen Ort stattzufinden, gebunden an den Geschmack des Kulturraumes und für Teilnehmerinnen eingeschränkt durch Landesgrenzen: Avatare reisen in Sekundenschnelle im Netz.

Im Jahr 2004 hat die Suche nach der Schönsten der Schönen eine neue Facette bekommen. Im vergangenen Jahr hatte der italienische Designer Franz Cerami zum ersten Mal dazu aufgerufen, virtuelle Schönheiten zu entwerfen und in den internationalen Wettbewerb zu schicken. Der erste digitale Schönheitswettbewerb Miss Digital World war ein Erfolg, 39 weibliche Avatare gingen an den Start und die internationale Presse begleitete die neuartige Misswahl mit großem Interesse. Unter den Teilnehmern waren neben privaten 3D-Designern auch die schmetterlingsbeflügelte Elfe Dawn, ursprünglich von NVidia als Demo für Grafikkarten entwickelt, die Halb-Vampirin BloodRayne, Heldin aus dem gleichnamigen Computerspiel von Terminal Reality und Majesco, und Webbie, Markenikone der Telecom Brazil. Unter den Designern befand sich nur ein einziger weiblicher Name: der von Liz Buckley, Projektmanagerin von BloodRayne. Beim Finale im vergangenen November traten die Avatare auf den virtuellen Laufsteg und präsentierten sich der Jury, zu der neben der Internet-Öffentlichkeit auch drei Experten aus den Bereichen Animation und Ästhetik gehörten.

Katty Ko, die Miss Digital World 2004

Die Wahl der Jury spiegelt kein besonders futuristisches Schönheitsideal wieder: Katty Ko hat langes dunkles Haar, lächelt mädchenhaft und trägt Jeans. Laut Steckbrief ist sie 1,70 m groß und hat die klassischen Maße 90 - 60 - 90. Dass die Siegerin Katty Ko das naturgetreue Abbild der chilenischen Schauspielerin Katty Kowaleczko ist, mag auf den eher konservativen Geschmack der Juroren hindeuten - oder auch auf die Unvergänglichkeit echter weiblicher Schönheit. Vielleicht lag der Erfolg auch an dem besonderen handwerklichen Können des 3D-Designers Flavio Parro, der Katty nach Kattys Abbild schuf, und am Einsatz des Produzenten Rodolfo Perez, der mit Serienstar Kowaleczko verheiratet ist. Latinas scheinen jedenfalls im Trend zu liegen: Im beinah zeitgleich stattfindenden Miss World Finale in China wurde Maria Julia Mantilla Garcia, bis dahin Miss Peru, zur schönsten Frau in Fleisch und Blut gekrönt.

Und wie geht es nun weiter für Katty Ko? Wird die digitale Katty eine Idoru werden, berühmter als ihr lebendes Vorbild? Die Vorteile einer virtuellen Schauspielerin liegen auf der Hand: Sie ist immer verfügbar, sogar in mehrfacher Ausführung, sie altert nicht, und falls neue Rollen oder Moden kleine Schönheitskorrekturen erfordern, ist hierfür kein teurer kosmetischer Chirurg notwendig. Auch ein Filmpublikum, das die Authentizität natürlicher Darsteller favorisiert, wird voraussichtlich nicht enttäuscht sein, in den Nachfolgern von Final Fantasy und Co. die Schwestern von Katty Ko lieben und leiden zu sehen. Und für die Liebhaber etwas extremerer Formen sind hier keine Grenzen gesetzt, sie seien verwiesen an die Designer von BloodRayne oder der grünäugigen Bikinischönheit Jade.

Möglicherweise hat Art Director Cerami mit dem Miss Digital World Contest für die Welt der 3D-Designer das geschaffen, was für die Robotik seit Jahren in Form der Roboter-Fußballliga RoboCup existiert: einen internationaler Wettbewerb, der jedes Jahr die Messlatte höher legt für das Machbare, das Erwünschte und das Fernziel in der Zukunft. So schloss MDW eine Partnerschaft mit der Virtuality Conference 2004, die Anfang November in Turin stattfand. Auf dieser Tagung werden jährlich die Neuerungen und Entwicklungen der Virtual Reality vorgestellt und diskutiert.

Ein Wettbewerb für Alle

Miss Digital World 2005 soll zu einem echten Meilenstein der Multimedia-Kunst werden, und dafür gibt es eine grundlegende Neuerung: eine Partnerschaft mit dem Softwarehersteller DAZ 3D, die passenderweise am 3. Dezember 2004 besiegelt wurde, soll den Wettbewerb auch für ungeübte 3D-Designer interessant machen und ihm so zu mehr Teilnehmern und größerer Bekanntheit verhelfen. Bei der MDW 2004 mussten für jeden Avatar hochauflösende Standbilder und Videosequenzen eingereicht werden, die die Damen aus nächster Nähe und in Aktion zeigten - eine echte Herausforderung. Und so fanden sich unter den Designern auch fast ausschließlich Profis.

DAZ 3D stellt nun für das Jahr 2005 ein MDW Design-Kit zur Verfügung, eine spezielle Zusammenstellung von Animationssoftware, mit der auch der 3D-Laie ohne großen technischen Aufwand seinen Avatar kreieren kann. Dieses Softwarepaket stellt einen Avatar zur Verfügung und bietet die Möglichkeit, Gesicht, Körper, Haar und Kleidung nach eigenen Vorstellungen zu variieren. Kommt man erst einmal auf den Geschmack, bietet die Firma zahlreiche Produkte für die Bearbeitung und Animation von weiblichen und männlichen Avataren: Frisuren, Kleidung und Schuhe für alle erdenklichen Anlässe, Oberflächentexturen für unterschiedliche Materialien, Animation von Körper- und Gesichtsmuskulatur und Bewegungsmuster inklusive verschiedener Sportarten.

Ob auf diese Weise nur Quantität oder auch Qualität gewonnen wird, ist fraglich. Ebenso stellt sich die Frage, ob die Benutzer des Design-Kit überhaupt eine Chance gegen professionelle Designfirmen haben. Möglicherweise aber werden gerade diese durch die Konkurrenzsituation zu noch mehr technischer Qualität und Sorgfalt verpflichtet. Eine große Anzahl nichtprofessioneller Teilnehmer verspricht jedenfalls eine große Menge von Ideen, denn auf diesem Gebiet kann jeder kreative Geist gegen die Riesen der Branche punkten. Cerami unterstützt jedenfalls die Idee, die Avataren auch mit persönlichen Eigenschaften, Geburtsdaten und Vorlieben auszustatten. Der Siegerin winkt möglicherweise eine Karriere in der virtuellen Welt der Computerspiele und Animationsfilme, auf jeden Fall aber einige Bekanntheit. Und vielleicht beeinflußt in der Zukunft ja doch das eine oder andere Gesicht, das uns von der MDB Website entgegenblickt, unsere Vorstellung von Schönheit.

Bleibt die Frage: Wo sind eigentlich die digitalen Beaus? Gibt es keine Männer in der virtuellen Realität oder spielen bei ihnen Schönheit und individuelle Ausgestaltung keine Rolle? Bedarf besteht mit Sicherheit, spielt man doch in den meisten Computerspielen immer noch mit männlichen Helden. Es ist unwahrscheinlich, dass die sich unter dem Einfluss von MDW entwickelnde Gesellschaft der Idorus lange Zeit ohne passende Männer auskommt. Vielleicht gibt es ja schon im nächsten Jahr auch einen Wettbewerb für männliche Avatare - und damit vielleicht auch einen Anreiz für mehr Teilnehmerinnen.