Stück für Stück ins Kriegsgeschäft

Der Export einzelner Komponenten für Waffen wird öffentlich kaum wahrgenommen, doch die Einzel- und Ersatzteilexporte machen mehr als die Hälft der deutschen Rüstungsausfuhren aus

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Panzer an die Türkei, Kriegsfregatten an Indonesien - immer wieder geraten solche großen Rüstungsgeschäfte mit Bürgerkriegs- und Krisenstaaten in die Kritik. Weit weniger offensichtlich als der Handel mit komplexen Waffensystemen sind die Ausfuhren von Waffenkomponenten. Dabei "kommt dem Export von Rüstungskomponenten aus Deutschland qualitativ und quantitativ eine erhebliche Bedeutung zu". So lautet das zentrale Ergebnis einer gemeinsamen Studie des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) und Oxfam Deutschland. Obgleich das veröffentlichte Zahlenmaterial über die deutschen Waffengeschäfte knapp ist, meinen die Autoren, dass der Handel mit Waffenteilen im Zeitraum von 1999 bis 2003 mehr als die Hälfte der gesamten Exportgenehmigungen in Höhe von 27 Milliarden Euro ausmacht.

Dieser größte Teil der Genehmigungen für deutsche Rüstungsexporte wird öffentlich zugleich gar nicht wahrgenommen.

Paul Bendix, Geschäftsführer von Oxfam Deutschland

Auch Otfried Nassauer vom BITS kam im Laufe der Nachforschungen zu der Erkenntnis, dass das Label "Made in Germany" viel häufiger in ausländischen Waffen stecke, als dies zunächst erkennbar sei. Als Grund für mangelnde Transparenz sehen die Abrüstungsexperten die Haltung der SPD-Grünen-Bundesregierung. Waffenkomponenten würden von ihr als "Rüstungsgüter light" behandelt. Logische Folge: Die Ausfuhr von Zündern, Treibladungen oder Patronenhülsen wird von den verantwortlichen Beamten häufiger als unbedenklich eingestuft, als der Export komplexer Systeme.

Ohne Deutschland läuft nichts

Man stelle sich vor, ein geplanter Verkauf von Schnellfeuergewehren an Nepal würde an die Öffentlichkeit dringen. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation amnesty international findet in dem asiatischen Staat immerhin ein systematischer Krieg gegen das Volk statt. Die Organisation hat in den vergangenen sechs Jahren 622 Fälle dokumentiert, in denen Oppositionelle verschleppt und vermutlich ermordet wurden. Tausende von willkürlichen Verhaftungen und Hunderte extralegaler Hinrichtungen durch Angehörige der Sicherheitskräfte wurden dokumentiert. Der Protest gegen den Waffenverkauf wäre also nicht nur wahrscheinlich, sondern durchaus berechtigt - und so verweigerte die Bundesregierung Anfang 2002 auch die Genehmigung für den Export von Sturmgewehren des Typs G-36. Anders sah das bei den Waffenkomponenten aus:

Gleichzeitig genehmigte sie zwischen 1999 und 2002 den Export von Munitionsbestandteilen im Wert von insgesamt mehr als 2,2 Millionen Euro

Aus der Studie "'Made in Germany' inside. Komponenten - die vergessenen Rüstungsexporte"

Als Begründung für dieses zweifelhafte Geschäft diente ausgerechnet eine von der Kohl-Regierung 1997/98 positiv beschiedene Voranfrage. Es ist nicht der einzige Deal, der die einst vollmundig angekündigte restriktive Rüstungspolitik von SPD und Grünen in einem schlechten Licht erscheinen lässt. Blickt man in den Nahen Osten - und über dessen Grenzen hinaus - zeigt sich das gleiche Bild. Der israelische Kampfpanzer Merkava 3, die ägyptischen Panzer M1A1 und die saudischen M1A2 verschießen ihre Munition mit der 120-mm-Kanone von Rheinmetall. Ähnliche Panzermodelle laufen mit dem Triebwerk "Europowerpack" des Friedrichshafener Rüstungsunternehmens MTU.

Forderungen an die Bundesregierung

Eine Konsequenz der Studie müsse es sein, so die Autoren bei der Präsentation am Dienstag in Berlin, die deutschen Rüstungsgeschäfte transparenter zu machen. Seit 1998 ist die Bundesregierung aufgrund bestehender EU-Richtlinien zwar angehalten, jährlich einen Rüstungsexportbericht zu verfassen. "Darin werden bislang aber nur die Genehmigungen aufgeführt, nicht jedoch die Daten real getätigter Geschäfte", bemängelte BITS-Direktor Nassauer auf Nachfrage von Telepolis. Bislang drückt sich die Bundesregierung vor der kompletten Freigabe der Geschäftsdaten mit dem Argument, die verschiedenen Statistiken seien nicht vergleichbar und eine Publikation deswegen nicht möglich.

Die neue Studie nun hat ein Schlaglicht auf ein Thema geworfen, das, wohl nicht zum Kummer der Bundesregierung, bislang außerhalb des öffentlichen Interesses lag. Nun sollen die Erkenntnisse Anlass sein, die Versäumnisse nachzuholen. Die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" müssten rechtsverbindlich umgesetzt werden, so eine der Forderungen, weil sie bislang einer restriktiveren Exportkontrolle von Kriegsgütern nicht dienlich sind. Im Gegenteil schaffen sie sogar Probleme, denn EU- und NATO-Staaten wird ihnen zufolge ein privilegierter Empfängerstatus zuteil. Wohin die deutschen Rüstungsgüter aber aus Frankreich, Großbritannien oder den USA weiterverkauft werden, spielt in Berlin bislang keine Rolle.

Die Abrüstungsexperten des BITS und von Oxfam fordern daher auch eine verbesserte "Endverbleibskontrolle". Aus dem gleichen Grund müsse eine weitere Liberalisierung des europäischen Binnenmarktes zudem zwingend an die stärkere Kontrolle von Rüstungsgeschäften gebunden werden. "Denn ebenso wenig wie es rein defensive Waffen gibt", heißt es in der Untersuchung, "gibt es völlig unbedenkliche Rüstungskomponenten".