Elektronisches Regime

Mit deutscher Gründlichkeit sind alle wichtigen behördlichen Prozeduren ins Internet verlagert worden. Mit der gleichen Verbissenheit werden für das Innenministerium nun Sicherheitsaspekte ins Visier genommen

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Wenige Aktivitäten sind mit so großer Konsequenz von der Regierung verfolgt worden wie die Maßnahmen zum eGovernment. Im Jahr 2000 wurden im Rahmen der Initiative Bundonline2005 exakt 376 Verwaltungsvorgänge und -dienstleistungen des Bundes bestimmt und in einen bis 2005 zu realisierenden Umsetzungsplan aufgenommen. Inzwischen sind über 340 Vorhaben erfolgreich abgewickelt worden und stehen online zur Verfügung, bis Jahresfrist sollen es etwas mehr als 400 werden. Bürokratieabbau, Verschlankung des Staatsapparates und demokratische Transparenz lauten die Stichworte, durch die sich eGovernment legitimieren will. Ob dies in jedem Fall gelungen ist, kann dahin gestellt bleiben. Nach dem Motto Moderner Staat - moderne Verwaltung ist jedenfalls ein respektables Angebot entstanden, das sich über das Internet problemlos erreichen lässt, wo früher mühevolle Behördengänge anstanden.

Bundesinnenminister Schily bei der Freischaltung der Website zur Fußball-WM 2006 auf der CeBit. Foto: Guido Bergmann/RegierungOnline

Die Palette von "BundOnline2005" reicht von den Kabinettsprotokollen, die jeder Bürger einsehen kann, über die elektronische Steuererklärung bis hin zur Vergabeplattform des Bundes, wo sich Unternehmen für öffentliche Ausschreibungen bewerben können. Alle Ministerien, Behörden und Ämter weisen inzwischen eine Internetpräsenz vor. Bürger können sich dort über die jeweiligen Behörden informieren und sogar manche Vorgänge, wie etwa die Beantragung von Pässen, einleiten.

Der Schritt vom Informations- zum Transaktionsmedium soll zukünftig allerdings noch weiter ausgebaut werden. Zu lange hat, im internationalen Maßstab, die elektronische Signatur auf sich warten lassen, mit der sich bald eine vollständige Online-Bearbeitung von identitätskritischen Vorgängen erzielen lässt. Ferner gehören zu den "BundOnline-Basiskomponenten", die zu nutzen jede Behörde nun verpflichtet wurde, eine Zahlungsverkehrsplattform, ein gemeinsames Content-Management- und Formular-System sowie eine virtuelle Poststelle. Alle Bundesbehörden sind über ein zentrales Portal zu erreichen.

Anders sieht es bei Deutschland-Online aus, der zweiten großflächig angelegten eGovernment-Strategie der Bundesregierung. DeutschlandOnline kommt die schwierige Aufgabe zu, die Bundes- mit der Länder- und der kommunalen Ebene zu verbinden. Schon die föderale Struktur mit den ihr innewohnenden Eitelkeiten verdeutlicht die Schwierigkeit dieses Unterfangens. Veranstaltungen wie der inzwischen zum fünften Mal auf der CeBIT verliehene "eGovernment-Award", wo "Best-Practise"-Lösungen ausgezeichnet werden, schwören die Beteiligten zwar auf ein gemeinsames Ziel ein. Doch die weit über 14.000 Gemeinden, die in der Zwischenzeit im Internet vertreten sind, und ihre unterschiedlichen Implementationen gleichen einem Flickenteppich. Jede Gemeinde wurschtelt mit einer eigenen Portallösung vor sich hin, hat örtliche Provider und lokale Webagenturen mit der Umsetzung des Internet-Auftritts betraut. Angesichts dieser Situation mahnte selbst Willi Berchtold, Präsident des IT-Branchenverbandes BITKOM auf der CeBIT an: "Diese Haushaltspraxis sollte vor dem Hintergrund der öffentlichen Schulden überdacht werden."

Auch Otto Schily zeigte sich der Situation bewusst und versprach, die "Zersplitterung" stärker zu strukturieren. Zukünftig wolle man sich besonders auf Projekte konzentrieren, die "ganzheitliche Ansätze" verfolgen und auf Vernetzung setzen. Fünf Projekte, die in diese Richtung gehen, erhielten den diesjährigen Award, darunter ein Geoserver mit Katasteramtsdaten "über Ländergrenzen hinweg". Deutlich mehr jedoch als an behördlicher Feinjustierung ist Schily an Sicherheitsaspekten interessiert, die sich mit eGovernment verbinden. So will er eine "Maximierung von IT-Techniken bei Minimierung ihrer Risiken" erreichen. Weil volkswirtschaftlicher Erfolg von der Sicherheit abhängig sei, soll etwa eine "Anti-Spam-Strategie" den Wirtschaftsnachteil mindern, der durch den 60-prozentigen Spam-Anteil im gesamten Email-Verkehr entsteht. Dazu erscheint es Schily notwendig, das Teledienstgesetz und das Wettbewerbsrecht zu ändern. Auch seine unlängst ins Leben gerufene eCard-Strategie begnügt sich nicht mit Kleinteiligem. Vereinheitlichte Chips auf der Gesundheitskarte, im Personalausweis und für Steuererklärungen sollen den Verwaltungsaufwand einschränken und die Geschäftsprozesse sicherer zu machen. Kritische Einwände schlägt Schily in den Wind: "Der gläserne Bürger ist Unsinn", sagte Schily auf der CeBIT, "alle Bedenken halte ich für falsch".

Nach dem Motto: "Wenn der Staat sich in die Karten schauen lässt, müssen sich das die Bürger auch gefallen lassen", reißt die Liste der Einfälle aus dem Innen- und Justizministerium gar nicht ab: DNA-Datei, DNS-Tests selbst für Handtaschenräuber, elektronischer Fingerabdruck, Anti-Spam-Strategie, Lockerung des Bankgeheimnisses, neue Sicherheitsgesetze. Nun will Schily alle anfallenden Telekommunikationsdaten ein Jahr lang speichern. Sowohl Festnetz- und Mobilfunkverbindungen als auch der gesamte SMS- und Email-Verkehr sollen für 12 Monate bei den Anbietern zumindest nummerisch verbleiben. Angeblich dient dies der Terrorbekämpfung. Verfassungsrechtliche Bedenken existieren für Schily nicht und der wirtschaftliche Aufwand scheint ihn nicht zu interessieren. Ob dies dem nach Otto Schilys Meinung fehlenden Sicherheitsbewusstsein der Bundesbürger für die Risiken der IT-Technik auf die Sprünge helfen wird?