"Freibrief zur Geheimhaltung"

Auf einer Anhörung im Bundestag zum Informationsfreiheitsgesetz geriet vor allem der breite Ausnahmekatalog in die Kritik, während die Industrie weiter mauert

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Das geplante Informationsfreiheitsgesetz des Bundes verdient seinen Namen noch nicht. Dies war der Tenor einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestags zu dem Gesetzesentwurf der rot-grünen Regierungskoalition am Montag. Der Mehrzahl der geladenen Experten war vor allem der Katalog ein Dorn im Auge, in dem das allgemeine Recht auf Akteneinsicht nicht gelten soll. Insbesondere für die Ressorts "Inneres, Finanzen, Verteidigung und Äußeres" seien "Freibriefe zur Geheimhaltung" vorgesehen, monierte Alexander Dix, Brandenburgs Datenschutz- und Informationsfreiheitsbeauftragter im Namen seiner Kollegen aus den Ländern Berlin, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.

Laut Dix würden die vielen "noch zu restriktiven Einschränkungen" den Erwartungen der Bürger an ein wirkungsvolles Instrument zur Abfrage öffentlicher Informationen nicht gerecht. Viele Rechte der Antragsteller seien nur im Konjunktiv formuliert, monierte der Praktiker. Insgesamt würden die "weit reichenden Ziele aus der Begründung zum Gesetzentwurf" -- die verbesserte öffentliche Partizipation und Kontrolle staatlichen Handelns sowie die Korruptionsbekämpfung -- durch das eigentliche Gesetz "stark relativiert".

Klare Worte fand auch Michael Kloepfer, Professor für Öffentlichkeitsrecht an der Berliner Humboldt-Uni: Der Entwurf kann seiner Meinung nach "nur als Einstieg" in ein umfassenderes Akteneinsichtsrecht gelten. Die vielen Ausnahmeregelungen empfindet der Jurist als "Verlustliste der Informationsfreiheit". Der in der Begründung beschworene Grundsatz "so viel Informationen wie möglich, so viel Geheimnisschutz wie nötig" scheine nicht beherzigt, sondern "eher umgekehrt worden zu sein". Er schlug vor, schon Artikel 1 bürgerfreundlicher zu fassen. Dort solle festgehalten werden, dass beim Antragsteller ausdrücklich kein "berechtigtes" Interesse vorliegen müsse, schon gar kein "rechtliches".

Peter Eigen, Vorsitzender von Transparency International, begrüßte, dass Rot-Grün nach langen Verzögerungen endlich für mehr Transparenz in der Verwaltung sorgen wolle. Die bisherige Geheimniskrämerei von Amts wegen passe nicht zum "Image eines fortschrittlichen Staates". Wer damit rechnen müsse, "dass jeder Fachmann der Republik" in den Akten einen Verdacht verfolgen könne, lobte Eigen den "Eckstein in der Mauer für weniger Korruption", werde "sich genauer beobachtet fühlen als durch Generalisten der Rechnungshöfe." Besonders problematisch sei daher, dass "kein Informationszugang bestehen soll, wenn durch die Akteneinsicht fiskalische Interessen des Bundes beeinträchtigt werden."

TI gehört neben dem Netzwerk Recherche (NR), zwei Journalistenverbänden und der Humanistischen Union zu einem zivilgesellschaftlichen Verbund, der vor einem Jahr einen eigenen Gesetzesentwurf vorgelegt hatte (Informationsfreiheit, selbst gebacken). Manfred Redelfs vom NR bemängelte auf dieser Basis, dass der rot-grüne Vorschlag keinen "Mindeststandard für den Anspruch auf Informationszugang konstituiert". Spezialgesetze mit teils restriktiveren Bestimmungen hätten gemäß dem Koalitionspapier in aller Regel. Weiter monierte Redelfs, dass der Zugang zu Informationen schon verweigert werden dürfe, wenn das Bekanntwerden der Informationen "nachteilige Auswirkungen haben könnte". Dies lade zu "spekulativen Ablehnungsgründen" ein.

Als nicht hinnehmbar bezeichnete Redelfs ferner, dass der Inhaber eines Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses zustimmen müsse, ob eine entsprechende Information freigegeben werde. Vielmehr sei zwischen dem wirtschaftlich gesteuerten privaten Schutz- und dem öffentlichen Informationsinteresse abzuwägen. Die Informationsbeauftragten der Länder teilen diese Sicht. Sie halten zudem die explizite Ausnahme der Geheimdienste vom Anspruch auf Informationszugang für "überflüssig", da "sicherheitsrelevante Informationen" generell geschützt seien. Genauso wie bei der Bundeswehr sowie bei den "Kontroll- oder Aufsichtsaufgaben der Finanz-, Wettbewerbs- und Regulierungsbehörden" dürften nicht sämtliche Dokumente aus diesen Bereichen pauschal abgeschirmt werden.

Kjell Swanström, Ombudsmann des schwedischen Parlamentes, hieb in dieselbe Kerbe. Gemäß seiner Erfahrungen aus Schweden, wo seit 1766 die Informationsfreiheit im Grundgesetz verankert ist, ist zudem die Frist von einem oder in bestimmten Fällen sogar zwei Monaten bis zur Beantwortung eines Antrags "viel zu lang". Sonst böte die Regelung der Presse kein geeignetes Hilfsmittel bei ihrer Alltagsarbeit.

BDI befürchtet punktuelle Lahmlegung der Behörden

Andererseits wurden auf der Anhörung Bedenken laut, dass Rot-Grün das Rad der Informationsfreiheit überdreht habe. So befürchtet der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eine "punktuelle Lahmlegung bundesbehördlichen Handelns". Dies wäre bei "konzertierten Aktionen Hunderter Interessenten denkbar, die gezielt unterschiedliche Anfragen stellen und Auskunft verlangen", konstruiert der Verband ein Beispiel. Er sieht zudem bei "betrieblichen Störfällen" das Vertrauensverhältnis zu den Behörden unterwandert, falls bereits in einem frühen Stadium, in dem ein Unternehmen noch nicht die Öffentlichkeit informieren müsse, mit einem Auskunftsanspruch zu rechnen sei.

Utz Schliesky, Geschäftsführer des Deutschen Landkreistages, und der Konstanzer Verwaltungsrechtler Martin Ibler begegneten zudem dem "Jedermann-Anspruch" auf Behördeninformationen mit Skepsis. Die mit Hilfe des Gesetzes "tätigen, oftmals selbst ernannten Kontrolleure besitzen nach dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip keine demokratische Legitimation", sorgt sich Schliesky. Eine allein von einem "Grundmisstrauen" und dem gesetzlichen Anspruch "bewirkte Informationsfreigabe" könne die Akzeptanz der Bürger gegenüber dem Verwaltungshandeln nicht steigern.

Insgesamt tat und tut sich der Bund nach wie vor schwer mit der Informationsfreiheit: Viele in der Verwaltung bauen auf die Rettung eines Rests staatlichen Obrigkeitsdenkens. Die ersten grünen Vorstöße für ein entsprechendes Gesetz reichen 19 Jahre zurück. Auch in beiden rot-grünen Koalitionsvereinbarungen ist der Wille zur Öffnung der Verwaltungsakten manifestiert. Entwürfe des Bundesinnenministerium aus der vergangenen Legislaturperiode empfanden vor allem die Grünen jedoch als inakzeptabel, da ganze Ressorts abgeschirmt werden sollten (Innenministerium schraubt an der Informationsfreiheit). Dieses Mal griffen die Abgeordneten selbst zur Feder -- bislang ein kaum beschrittener Weg zur Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens.

Erneut erscheint der Verwaltung der vermeintlich auf sie zu kommende Kulturschock aber zu groß. Schon im Vorfeld versuchte die Ministerialbürokratie, den in Eckpunkten seit dem Sommer bekannten Entwurf zu Fall zu bringen (Informationsfreiheitsgesetz kommt). Selbst Mitte Dezember war unklar, ob die 1. Lesung noch 2004 stattfinden könnte. Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier hatte persönlich gegen die Fristsetzung im Entwurf interveniert, wonach die begehrte Information dem Antragsteller nach maximal 30 Tagen beziehungsweise bei komplexen Anfragen spätestens "mit Ablauf von zwei Monaten" zur Verfügung zu stellen ist. Doch die Koalition setzte ihren Willen durch -- zumindest vorerst.

Bundesinnenminister Otto Schily geht schon der Grundansatz zu weit. "Jeder hat nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen, ohne ein rechtliches Interesse darlegen zu müssen", heißt es in Paragraph 1 des Entwurfs. Die Folge wäre, dass etwa auch Scientology, Verbrecher oder gar Terroristen die Verwaltung ausforschen könnten, gibt der SPD-Politiker zu Bedenken. Er wirft zudem die Frage auf, inwieweit die Ministerien auch Gutachten herausrücken müssen und so schon in der Vorbereitung ihrer Entscheidungen in komplexe Interessensgefüge verstrickt würden. Zudem hält es Schily für keine gute Lösung, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte angesichts des "Spannungsverhältnisses zwischen Datenschutz und Auskunftsanspruch" auch Informationsbeauftragter werden soll. In den Bundesländern hat sich die vergleichbare Regelung aber bewährt.

Am Freitag findet bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin eine Konferenz mit Bundestagsabgeordneten, Vertretern der Zivilgesellschaft sowie der Wirtschaft zur konkreten Ausgestaltung des Informationsfreiheitsgesetzes statt.