Angst vorm schwarzen Mann

Väter und Monster in Stephen Kays "Boogeyman"

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Der Boogeyman (auch Bogey oder Bogie) ist ein Dämon aus der englischen Folklore. Der Sage nach ist er der mächtigste Diener des Teufels, stiehlt unartige kleine Kinder und kann seine Gestalt nach Belieben verändern. In der deutschen Märchen- und Sagenwelt entspricht der Boogeyman dem schwarzen Mann. Als Horrorfilmfigur ist er neben einer adaptierten Kurzgeschichte Stephen Kings (1982) vor allem in der durch Ulli Lommel 1980 begründeten "Boogeyman"-Trilogie in Erscheinung getreten. Jetzt ist das Schreckgespenst abermals aus dem Wandschrank und unter dem Bett hervor auf die Leinwand gekrochen.

Der achtjährige Tim (Barry Watson) bekommt von seinem Vater (Charles Mesure) jeden Abend eine Gruselgeschichte erzählt. Eines Abends jedoch wird der Grusel für Tim zur Wirklichkeit: Als er meint, aus seinem Schrank käme eine dunkle, unheimliche Gestalt auf sein Bett zu, ruft er nach dem Vater. Dieser versucht ihn zu beruhigen, schaut in den Schrank, wird durch eine übermenschliche Kraft hineingezogen und verschwindet spurlos. Fast zwanzig Jahre später fürchtet sich Tim immer noch im Dunkeln und besonders vor Schränken. Viele Jahre seiner Kindheit hat er in der Psychiatrie verbracht und sich danach von seiner Heimat und seiner Mutter (Lucy Lawless) entfremdet. Als diese stirbt, verlässt er das Haus seiner Freundin Jessica (Tory Mussett) ohne jede Erklärung und reist zur Beerdigung an seinen Heimatort zurück.

Bei einem Besuch in der Klinik, in der er als Kind war, rät ihm eine Ärztin, eine Nacht im elterlichen Haus zu verbringen und sich so seinen irrationalen Ängsten zu stellen. Sein Onkel Mike (Philip Gordon) und seine Kindheitsfreundin Kate (Emily Deschanel) versuchen ihm - trotzdem sie seine Ängste für neurotisch halten - weitgehend zu unterstützen. Auch Jessica ist um Tim besorgt und reist ihm nach. Auf der Beerdigung begegnet Tim einem mysteriösen kleinen Mädchen (Skye McCole Bartusiak), das als einzige an seine Erzählungen vom Boogeyman glaubt. Schon kurz nachdem die Nacht angebrochen ist, beginnt es im Haus zu "spuken": Türen offnen und schließen sich und seltsame Geräusche ertönen von überall. Tim verlässt das Haus Hals über Kopf und quartiert sich mit Jessica in einem Motel ein. Doch damit beginnt seine Reise in das Grauen erst, die gleichzeitig eine Reise in die eigene Kindheit ist.

Überfälle im Wandschrank

Gruselstoffe, die Kindheitsängste jonglieren, lieferten von je her die besten Möglichkeiten ihr Publikum in Angst und Schrecken zu versetzen. Zu genau erinnert sich jeder Zuschauer an die eigenen irrationalen Ängste vor Monstern, der Dunkelheit, dem Alleinsein und vor unheimlichen Orten. In der Märchenfigur des Boogeyman kondensieren all diese Ängste an einem Phänomen. Daher ist der schwarze Mann (den der deutsche Verleih sinnigerweise gleich in den Untertitel von Kays Film packt) eine besonders häufig anzutreffende Figur im Horrorfilm geworden - wenn er sich auch nicht immer "Boogeyman" nennt. In jenen Filmen, die zentral von ihm handeln, finden sich bemerkenswerte Parallelen: Stets spielen Vaterfiguren eine übergeordnete Rolle als Opfer und/oder Antagonisten des "schwarzen Mannes". Immer ist das Auftauchen des Boogeyman an eine Schuldsituation in der Kindheit gekoppelt. Und meistens haben Spiegel eine zentrale Bedeutung für die Figuren und Erzählungen.

In der King-Adaption "The Boogeyman" von Jeffrey Schiro geht es um einen Vater, der unter Mordverdacht steht, weil er für die dicht aufeinander folgenden Todesfälle seiner Kinder keine andere Erklärung hat, als dass der Boogeyman sie geholt habe. Im Verlauf des Kurzfilms wird dem Zuschauer jedoch nach und nach das aggressive Potenzial des Mannes deutlich, der sich schließlich vollends in eine irreale Welt zurückzieht, um vor der eigenen Verantwortung zu fliehen. Kurz bevor er den Leichnam seines Sohnes in der Badewanne entdeckt, führt er einen langen Monolog mit seinem Spiegelbild - wie der tote Körper seines Kindes zusammen mit ihm ins Bad gekommen ist, kann er "sich" jedoch nicht erklären. In Lommels zwei Jahre zuvor entstandenem gleichnamigem Spielfilm ist es ebenfalls eine böse Vaterfigur, die ihre Kinder - mit Wissen der Mutter - quält. Als sich diesen die Gelegenheit bietet, bringen sie den Mann um (während er, mit einem schwarzen Nylonstrumpf maskiert mit der Mutter Sex hat). Der Getötete kehrt, um sich an seinen Kindern zu rächen, nach 20 Jahren als Dämon im Fragment jenes Spiegels zurück, in dem eines der Kinder den Mord/Beischlaf beobachtet hat. Wer sich bei der Motivlage und Erzählkonstruktion an dieser Stelle an E.T.A. Hoffmanns 1814/5 erschienene Erzählung "Der Sandmann" erinnert fühlt, liegt da nicht so falsch.

Sandmann / Boogeyman

Die romantische Sandmann-Figur hatte eine andere, genau konträre Bedeutung gegenüber dem heute vor allem aus dem Frühabendprogramm bekannten Gutenachtgeschichten-Erzähler. Bei Hoffmann ist der Sandmann ein Dämon, der schlafunwilligen Kindern Sand in die Augen streut, bis ihnen die Augen platzen, die so Geblendeten dann auf den Mond entführt und an seinen Nachwuchs verfüttert. In der Geschichte assoziiert der Erzähler Nathanael diesen Dämon mit dem regelmäßigen Auftauchen eines unliebsamen Hausgastes, welcher den Vater schließlich tötet, was vom Sohn beobachtet wird. Hoffmanns Erzählung bildete eine wichtige Grundlage für die Entfaltung der psychoanalytischen Literaturwissenschaft, deren markante Eckpfeiler Sigmund Freuds 1919 erschienen Schrift über "Das Unheimliche" und Friedrich Kittlers 1977 veröffentlichte strukturalistische Erweiterung der Freud-Thesen "'Das Phantom unseres Ichs' und die Literaturpsychologie. E.T.A. Hoffmann - Freud - Lacan" sind. "The Boogeyman" ist als Geschichte des (nach Freud) größten Traumas des Kindes - dem Tod des Vaters - nahezu ohne Widersprüche interpretierbar.

Die Anwesenheit Tims, als sein Vater stirbt, zudem durch ein von seiner Imagination heraufbeschworenes Monster, verursacht nachhaltige Schuldgefühle, die übertragen werden auf seine neurotische Angst vor jenem dunklen, unheimlichen Widersacher des Vaters - dem Boogeyman. Erst viele Jahre später, als Tim nicht nur an seinen Heimatort reist, sondern damit gleichsam in seine Vergangenheit, kommen verschüttete Szenen seiner Kindheit ans Tageslicht, die den "guten" Vater in ein ganz anderes Licht rücken: Auf grausame Weise erzählt dieser seinem kleinen Sohn zuerst Horrorgeschichten, will sich dann jedoch nicht damit abfinden, dass der Junge schlimme Fantasien entwickelt und wird schließlich gewalttätig. Es kommt sogar so weit, dass er Tim in einen Wandschrank, in die vollständige Dunkelheit sperrt, um ihm auf diese Art zu beweisen, dass es den Boogeyman nicht gibt.

Der Kamerablick der Gegenwart 20 Jahre später ist in dieser Hinsicht "dialogisch", wenn er nicht nur Tims angstverzerrtes Starren in die Dunkelheit eines jeden Wandschrankes zeigt, sondern im Gegenschuss auch immer wieder einen Blick aus der Dunkelheit des Schranks heraus auf Tim wirft. Die Kamera identifiziert an diesen Stellen Tims Blick aus dem Verborgenen mit dem des Boogeymans, der wiederum - hier wäre Kittlers Hoffmann/Freud/Lacan-Analyse anschlussfähig - nichts anderes als "die Ambivalenz der Vaterimago" darstellt, "weshalb das Phantasma den Vater zerlegt: in den geliebten lieblichen und den gehaßten [..], in einen toten und einen tötenden." (Kittler 1)

Eine psychoanalytische Lesart von "The Boogeyman" hilft zwar bei der Interpretation des Subplots - vor allem den für heutige Horrorfilme ungewöhnlich eindeutigen Schluss, in dem endlich "Licht" auf den Ort (und die Zeit) der Kindheit fällt und das Trauma damit als solches ausweist -, liefert jedoch für den Übergriff der fantastischen Elemente des Films auf die reale Welt (in) der Erzählung nur schwerlich eine Erklärung. Denn, wenn es sich einzig um die Phantasmen aus Tims Kindheit, also um Verdrängungen ins Unbewusste handelt, die bei seiner Rückkehr ins Elternhaus hervorbrechen, dann bleibt unklar, warum diese ebenso drastische Effekte auf Tims Umwelt haben - angefangen beim Tod einiger Protagonisten über die eigenartigen Raum- und Zeitsprünge, die Rolle des mysteriösen Mädchens, dem Tim ständig begegnet, bis hin zum leibhaftigen Erscheinen des Boogeymans.

Somatischen Schockeffekte

Hier wiederum kann es hilfreich sein - und die Bild- und Ton-Ästhetik von "The Boogeyman" legt dies nahe - den Plot beiseite zu lassen und anstelle dessen den Film und das Kino als Dispositiv selbst ins Blickfeld zu rücken. Die Psychoanalyse des Kinos hat seit den 1960er Jahren in den "Apparatus"-Theorien den Blick vom Film auf den Betrachter und seine Rezeptionsumgebung gerichtet. Der Filmzuschauer bekommt zentralperspektivisch Bilder und Töne geboten, denen er sich (für anderthalb Stunden) kaum zu entziehen im Stande ist, und die auf ihn - auf Geist wie auf Körper - einwirken. Die Apparatus-Theorie hat dabei die Möglichkeit, diese Rezeptionserfahrung als Traum zu deuten ebenso in Betracht gezogen, wie auch die Blickposition, die der Zuschauer einnimmt, als "voyeuristisch" ausgewiesen.

"The Boogeyman" mit seiner virtuosen Kamera- und Schnittpraxis (neben zahlreichen ikonografischen Anspielungen an "Evil Dead" zeigt sich allein hierin schon überdeutlich die Handschrift der Produzenten Raimi/Tapert!), seinen schon oben erwähnten Blick und Gegenblick-Perspektiven und nicht zuletzt mit seinen zahlreichen somatischen Schockeffekten sorgt für eine beständige "ästhetische Überlappung" zwischen filmischem Raum und Zuschauerraum. Man könnte sagen: Der Film reißt seinen Zuschauer regelrecht aus dessen verborgener Beobachtungsposition heraus. Und diesen Angriff, die Verwechslung des Sehenden mit dem Gesehenen, thematisiert "The Boogeyman" genauso wie die Identifikationen auf den anderen ästhetischen Ebenen. Uns wird nicht nur die Geschichte von Tims Kindheit erzählt, wir erleben sie im wahrsten Sinne des Wortes mit.

Als Horrorfilm steigert "The Boogeyman" damit seine Effektivität deutlich, sorgt jedoch wahrscheinlich auch dafür, dass Zuschauer mit einer dünnen "Reizschutzmembran" (wie Freud dies nannte) von einem Schock in den nächsten katapultiert werden. In der Art und Weise, wie der Film diese Schockszenen einsetzt - blitzartig auftauchende Bilder begleitet von explosionsartigen Soundtrack-Attacken -, unterscheidet er sich zwar kaum von Filmen wie etwa Paul W.S. Andersons "Event Horizon" (1997), jedoch dienen die Schocks in "The Boogeyman" anders als bei Anderson nicht allein dem Selbstzweck, Schreck zu erzeugen. Vielmehr leiste sie eine Steigerung des Empathie-Effekts über das rein psychische "Mitfühlen" hinaus. Cutter John Axelrad, der schon in "Stir of Echoes" (1999) (ebenfalls ein Into-the-mind-Horrorfilm) am Schnitt mitgewirkt hatte, "Arlington Road"-Kameramann (1999) Bobby Bukowski und nicht zuletzt der aus der Raimi-Trilogie "Evil Dead" (1982-1993) schon einschlägig bekannte Komponist Joseph LoDuca setzten diese Effekte um. Der Soundtrack verknüpft dabei die von LoDuca bekannte Orchestrierung mit elektronischen "Einlagerungen", die auf der akustischen Ebene den Einbruch des Fremden/Bösen begleiten.

Mag der Plot von "The Boogeyman" vielleicht nicht neu sein, weil sein Motivinventar vielen wenn nicht aus der Film- so doch aus der Literaturgeschichte bekannt ist, so kann die Umsetzung des Films mit der Verdopplung der filmischen Affekt-Situationen allemal Originalität für sich verbuchen. Diese Qualität mag im überdeutlichen Einfluss der Produzenten auf die Ästhetik des Films begründet sein. Ein Einfluss, der sich für den Film in jedem Fall rechnet und der gespannt die weiteren Horrorfilm-Projekte von Raimi/Tapert erwarten lässt. (Vor kurzem startete von ihnen die Adaption des "J-Horror"-Films "Joun - The Grudge", der unlängst angelaufen ist.) "The Boogeyman" zeigt jedenfalls, dass der landläufig angenommene Einfluss des Horrorfilms auf den Zuschauer nicht einzig in der Reizung des Verdauungstraktes liegen muss, sondern auch den Rest des Körpers gehörig durchzuschütteln imstande ist - und das ohne den Intellekt dabei zwangläufig unterfordern zu müssen.