Losgeschüttelt

Das Weihnachtsbeben vor Sumatra könnte die Region seismisch aktiviert haben – und auch europäische Tsunamis sind möglich

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Dass starke Erdbeben oft noch monate- oder jahrelang Nachbeben zur Folge haben können, ist bekannt. Vor Sumatra ist es jedoch seit dem Jahreswechsel momentan wieder ruhig. Doch könnte ein großes Beben in einer anderen Ecke der Sumatra-Region folgen. Und Europa ist keineswegs sicherer.

Dass die Erde resp. der Meeresboden vor Sumatra regelmäßig bebt, hat sich mittlerweile herumgesprochen (Die Weihnachtsflut kam nicht wirklich überraschend): Der sogenannte „indonesische Feuergürtel“ ist eine der aktivsten vulkanischen Regionen der Erde, der auch die Krakatau-Explosion im Jahr 1883 entstammt und in der auch ein Supervulkan schlummert, dessen Explosion das Klima weltweit ähnlich einem nuklearen Winter verändern könnte. Dass zu jedem Beben auch Vor- und Nachbeben gehören, ist ebenso nichts Neues. Gut ein Jahr nach großen Beben sind diese Nachbeben noch möglich, doch bislang blieb die Erde ruhig.

Die Plattentektonik vor Sumatra: Die rote Linie zeigt die Verwerfungslinie des Bebens von 2004, der Stern dessen Zentrum (Bild: John McCloskey, University of Ulster)

Wenn es wieder rumpelt, so könnte dies jedoch nicht nur ein Nachbeben sein, wie John McCloskey, Suleyman S. Nalbant und Sandy Steacy von der School of Environmental Sciences der University of Ulster berichten: Vielmehr hat das der Weihnachtsflut zugrunde liegende Erdbeben die Verspannungen in den Sumatra-Verwerfungen und dem Sunda-Graben weiter erhöht. Ein erneutes Erdbeben der Stärke 7,5 auf der Richterskala könnte die Folge sein, so die Wissenschaftler im neuesten Nature.

Der Sunda-Graben trennt Indonesien von der australischen Kontinentalplatte und war Quelle der Tsunamis von 1833 und 1861. Das inzwischen beschlossene Frühwarnsystem ist also eiligst einzurichten, so die englischen Wissenschaftler.

Tsunamis kann es auch in Europa geben

Sumatra, Thailand, Sri Lanka, Malediven und Indonesien sind für uns außerhalb des Urlaubs weit weg – man mag nun bei einem Südostasienurlaub auf ein dann funktionierendes Frühwarnsystem hoffen. In Europa und in Deutschland gibt es dagegen kein Tsunami-Warnsystem – es ist nicht notwendig, schließlich gibt es hier ja auch keine Seebeben, sollte man meinen. Dass dem nicht unbedingt wirklich so ist, beschrieben Thomas Wilke und Thorwald Ewe jedoch im Bild der Wissenschaft 3/2005: Nicht nur das Beben von Lissabon riss an Allerheiligen 1755 60.000 Menschen in den Tod, die teils am Hafen vor den vom Beben ausgelösten Feuersbrünsten Schutz suchten und dann vom Tsunami erwischt wurden.

Vor 8000 Jahren rutschte auch vor der Küste Norwegens – möglicherweise durch ein leichtes Seebeben oder die Auflösung von Methanhydrat (Öko-Tod im Jurameer) ausgelöst – ein Areal von der Größe Islands 2000 Meter tief ab und löste eine bis zu 30 Meter hohe Flutwelle aus. Bis vor kurzem hatte man eine Häufung von Sturmfluten in jener Zeit als Ursache der auch heute noch reichlich zu findenden Spuren angenommen. Methanhydrat-Auflösung ist dabei nicht auf kalte Meere beschränkt; sie könnte auch daran Schuld sein, dass ein Seebeben der Stärke 7,0 – an sich zu schwach für einen Tsunami – am 17. Juli 1998 vor Papua-Neuguinea eine Riesenwelle erzeugte, die 2100 Menschen tötete.

Flutwelle durch Hafen- und Flughafenerweiterung

1979 erzeugte übermäßige Bauwut an der Côte d’Azur sogar einen hausgemachten Tsunami: Auf der damals größten Baustelle Europas, dem Flughafen Nizza, waren 190 Hektar Land bis zu 300 Meter hinaus ins steil abfallende Meer aufgeschüttet worden, um einen zweiten Hafen zu erzeugen. Am 16. Oktober versank bei schlechtem Wetter diese Mole mit etwa fünf Millionen Kubikmetern Material im Meer und rutschte 2650 Meter in die Tiefe. Dies erzeugte einen Tsunami, der zwar nicht in Nizza selbst, doch im 10 Kilometer entfernten Nachbarort Antibes bis zu drei Meter hoch wurde und über den dortigen Hafen in die Stadt krachte. Nur dem schlechten Wetter war zu verdanken, dass es in Antibes lediglich sechs Tote gab; insgesamt 11. 1963 starben in einem Tsunami in einem Stausee in Norditalien dagegen 2600 Menschen.

Tsunamis sind nämlich keineswegs aufs Meer beschränkt: Wenn eine größere Gesteinsmenge in einen Binnensee rutscht, so sind die Folgen wegen der geringeren Gesamtmenge des Wassers noch heftiger. So bricht ein Berg über dem norwegischen See Lovatn bei Bergen regelmäßig ab – zuletzt 1905, 1936 und 1950. Dabei landen jeweils über 500.000 Kubikmeter Gestein im Wasser, was am 10 Kilometer entfernten Ufer 1905 eine 44 Meter und 1936 eine 70 Meter hohe Welle erzeugte, die die Dörfer Bodal und Nesdal platt machte, 63 bzw. 72 Menschen tötete und ein Ausflugsschiff 350 Meter ins Land warf. Wie hoch die Welle 1950 wurde, ist unbekannt, da sich heute nur noch Touristen in Hütten an diesem See aufhalten. Einheimische meiden ihn nun.

Die höchste Welle: Über 500 Meter

Die höchste bekannte Flutwelle wurde 1958 in Alaska gemessen: Als infolge eines Erdbebens der Stärke 8,0 aus 900 Metern Höhe 40 Millionen Kubikmeter Fels in die Lituya Bay krachten, schwappte das Wasser auf der anderen Seite über 500 Meter hoch. Die Spuren sind bis heute zu sehen.

Würde – wozu ebenfalls kein Erdbeben erforderlich ist - von dem abrutschgefährdeten Berg Cumbre Vieja auf La Palma oder dem Teide auf Teneriffa Gestein ins Meer rutschen, so kann dies weitreichende Tsunamis vor allem an der amerikanischen Ostküste, doch auch an den Küsten Westeuropas hervorrufen. Und dort gibt es zwar eine bessere Infrastruktur als in Südostasien, doch keine Warnsysteme für derartige Ereignisse, weil sie hier einfach nicht erwartet werden.