"Die Gesetzesänderung war überflüssig"

Nach kurzer und heftiger Debatte wurde in der vergangenen Woche das Versammlungsgesetz novelliert. Der Verfassungsrechtler Ulrich Battis spricht im Telepolis-Interview über Ablauf und Ergebnis der Debatte

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Nur allzu rasch wurde am vergangenen Freitag im Bundestag das Versammlungsgesetz geändert. Mit dem nahenden Datum des 8. Mais im Rücken wollten die Parlamentarier einen angekündigten Aufmarsch der neofaschistischen NPD vor dem Holocaustmahnmal in Berlin unterbinden. Doch einige der Beteiligten waren bei der Diskussion über eine Gesetzesänderung über das Ziel hinausgeschossen. So sollte in einem Gesetzentwurf aus dem Justiz- und Innenministerium zur Änderung des Strafrechtsparagraphen 130 eine Sanktionierung wegen Volksverhetzung in anderen Fällen (angeführt wurde das Leugnen des Völkermordes im ehemaligen Jugoslawien) zur Anwendung gebracht werden (Bundesregierung beabsichtigt bedenkliche Verschärfung des Straftatbestands der Volksverhetzung). Letztlich wurde der Paragraph zwar verändert, jedoch ohne die Erweiterung. Trotzdem üben Experten für Verfassungsrecht an der übereilten Veränderung des Gesetzes Kritik, weil deren Zweckmäßigkeit fragwürdig ist.

Bei einer Anhörung im Bundestag hatte sich auch der in Berlin lehrende Verfassungsrechtler Ulrich Battis kritisch geäußert. Telepolis fragte ihn nach seiner Bilanz.

Herr Battis, ist der Bundestag mit der Änderung des Versammlungsrechtes dem ursprünglichen Ziel, der NPD Einhalt zu gebieten, gerecht geworden?

Ulrich Battis: Für den Schutz des Holocaustmahnmals, um das in aller Klarheit zu sagen, hätte es der Änderung des Gesetzes nicht bedurft. Diesen Ort hätte man auch durch die Anwendung des Versammlungsgesetzes in der noch geltenden Fassung schützen können. Eine solche Demonstration, wie sie die NPD angedroht hat, wäre mit der Würde und dem Widmungszweck der des Ortes schlicht unvereinbar gewesen.

Halten Sie die Änderung als weitere Einschränkung des Versammlungsrechtes für schädlich?

Ulrich Battis: Nein, ich halte sie nicht für schädlich, sondern für letztlich überflüssig. Ein weiterer Anlass zur Änderung des Gesetzes war der Schutz des Brandenburger Tores. Das wird man aber mit der neuen Regelung nicht vor Naziaufmärschen schützen können.

Die CDU hatte eine Ausweitung der "Bannmeilenregelung" vorgeschlagen.

Ulrich Battis: Eine solche Regelung hätte aber ebenso wenig gegriffen, weil die Bannmeile nur dann gilt, wenn der Bundestag arbeitet. Ich habe den CDU-Abgeordneten auch gesagt, dass sie 365 Tage im Jahr in ihren Büros sitzen müssten, um einer solchen Änderung Sinn zu verleihen. Der NPD indes reicht ein Tag im Jahr für einen Aufmarsch.

Es war also ein Trugschluss, die neofaschistische Gefahr durch die Änderung des Versammlungsrechtes zu schmälern? Aus den Augen ist schließlich nicht aus dem Sinn ...

Ulrich Battis: Um es hart zu sagen: Gefragt war ein politische Auseinandersetzung, reagiert wurde aber durch eine Verschärfung des Straf- und des Versammlungsrechtes. Das bringt nicht viel. In der ganzen Debatte hatte zuvor schließlich auch die Situation in Wunsiedel eine Rolle gespielt.

... wo jährlich Gedenkveranstaltungen für den Hitler-Vertreter Rudolf Hess stattfinden ...

Ulrich Battis: Und der Landrat von Wunsiedel hat im Bundestag auch ganz offen erklärt, dass ihm die Änderung, wie sie schließlich beschlossen wurde, nicht helfen wird. Er wollte die Regelung aus dem Justiz- und Innenministerium, und die ist nicht Gesetz geworden. Er müsste nun also nachweisen, dass die Nazis aus dem Ausland zu der jährlichen Veranstaltung eigentlich anreisen, um Hitler zu gedenken. Das wird er aber nur schwerlich schaffen, weil die Hintermänner dieses "Gedenkmarsches" nicht dumm sind und keinen Vorwand für ein Verbotsantrag liefern werden.

In dem Änderungsantrag des Justiz- und Innenministeriums sollte die Änderung des Strafrechtes für Volksverhetzung aber auch im Fall anderer Regimes zur Anwendung kommen. Angeführt wurde das Leugnen des Völkermordes im ehemaligen Jugoslawien. Eine bedenkliche Erweiterung?

Ulrich Battis: Zunächst einmal muss ich dazu sagen, dass es in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes einige Ungereimtheiten gibt. So hieß es in einer früheren Formulierung, dass man gegen Meinungsäußerungen im Rahmen von Demonstrationen nur mit Strafrecht vorgehen könne. Das halte ich für Unsinn und das ist eben von dem Bundesverfassungsgericht in einer Senatsentscheidung inzwischen auch revidiert worden. Aber die aktuelle Reaktion auf die NPD folgt noch immer diesem Ansatz, indem auf das Strafrecht zurückgegriffen wird. Und das ist eigentlich bedauerlich. Im Strafrecht gilt schließlich der Grundsatz in dubio pro reo (Im Zweifel für den Angeklagten), es muss individuelle Schuld nachgewiesen werden und vieles mehr. Denn zum Glück gilt das Strafrecht bei uns als letzte Instanz und setzt daher sehr hohe Maßstäbe an.

In Bezug auf die Erweiterung in dem Änderungsantrag der Ministerien habe ich im Bundestag versucht eines klarzumachen: Wenn dieser Passus etabliert würde, müsste man überlegen, ob etwa Peter Handke wegen seiner sehr positiven Haltung zur Politik Serbiens in den politischen Auseinandersetzungen nicht auch bestraft werden müsste. Und ich habe im Plenum des Bundestages die Frage aufgeworfen, ob wir das wollen. Ich halte das für eine Tendenz, bei der man sehr vorsichtig sein muss.