Der Protest schwindet

Die Bewegung gegen den Irakkrieg wurde von allen geliebt und hatte ein schnelles Ende

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Am vergangenen Samstag hat sich zum zweiten Mal der Angriff auf den Irak gejährt. 2003 sind noch weltweite Zigtausend überall auf der Welt, auch in Frankreich und Deutschland, auf die Straße gegangen (Die erste globale oder planetare Demonstration). Die Philosophen Habermas und Derrida wollten in diesen Protesten gar die Geburt einer neuen europäischen Zivilmacht sehen (Vision reloaded: Das spätaufgeklärte Europa der Philosophen). Wenn das gestimmt haben sollte, muss diese aber früh verschieden sein. Denn noch vor dem Kriegsende waren die Straßen wieder leer.

So war es auch nicht verwunderlich, dass am vergangenen Wochenende allenfalls einige Mahnwachen und Konferenzen an den Jahrestag des Kriegsbeginns erinnerten. Vor allem in Italien und Großbritannien gingen wieder Zehntausende gegen den Krieg auf die Straße. Damit konnten die Teilnehmerzahlen zwar lange nicht mehr an die Massendemonstrationen von 2003 anknüpfen. Doch die Mobilisierungsfähigkeit der Antikriegsaktivisten in diesen Ländern ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass sich die Regierungen mit eigenen Truppen an der irakischen Besatzung beteiligen.

Da sich die Bundesregierung weiterhin ihre Distanz zum Irakkrieg betont, auch nachdem sich das Verhältnis zu den USA wieder normalisiert hat, findet die Friedensbewegung in Deutschland schwerer Angriffspunkte. Doch gerade darin könnte langfristig ihre Chance liegen. Denn die Antikriegsbewegung des Jahres 2003 war im Wesentlichen eine Anti-Bush-Bewegung. Nicht wenige gingen für ein selbstbewusstes Deutschland auf die Straße, das sich nur dann an Kriegen beteiligen soll, wenn die eigenen Interessen berührt sind. Das erklärt das Missverhältnis zwischen den Massen, die 2003 gegen Bush auf die Straße gegangen sind, und den Minderheiten, die gegen den Angriff auf Jugoslawien einige Jahre zuvor protestierten, als deutsche Soldaten mitschossen und bombten.

Damals wurden die Kriegsgegner von einem Großteil der Medien gleich als Sympathisanten von Milosevic bezeichnet. Die Bewegung gegen den Irakkrieg hatte wenig Kritiker in den etablierten Medien. Gerade das hat aber zu ihrem schnellen Ende mit beigetragen. Wer von allen nur gestreichelt wird, macht sich auch schnell selbst überflüssig.

Dass es auch anders gehen kann, erleben die Organisatoren des diesjährigen Ostermarsches im Ruhrgebiet. Dort wurde in Aufrufen auch die EU-Militarisierung kritisiert. Auch die EU-Verfassung wird mit der Begründung abgelehnt, dass sie eine Militärverfassung sei, die Einsätze in aller Welt möglich mache. Diese EU-kritische Position nahm eine Kommentatorin der einst bewegungsnahen taz zum Anlass, den Aktivisten des Ostermarsches Rhein-Ruhr vorzuwerfen, das Geschäft der Nato und der USA zu betreiben.

Auf eine solche Kritik auch unter die Gürtellinie müsste sich eine Antikriegsbewegung, die es ernst meint, einstellen. Denn mit Ressentiments gegen Bush und anderen US-Politikern lassen sich gewiss kurzzeitig Massen in Deutschland auf die Straße bringen, aber damit könnte man auch schnell zum Schrittmacher einer "alternativen" EU-Militarisierung werden. Wer aber Militärstrategien in aller Welt analysieren und bekämpfen will, müsste konsequenterweise auch die EU-Verfassung kritisieren. Dass eine solche Bewegung dann nicht mehr durchweg gelobt wird, müssten die Aktivisten dann auch in Kauf nehmen.