Die Vorstellung einer autoritär geordneten Gesellschaft ist offensichtlich für viele Wähler ansprechend

Gespräch mit dem Politologen Peter Widmann über die aktuelle Bedeutung der NPD und den öffentlichen Umgang mit den wiedererstarkten Rechten

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Auch wenn die NPD den Sprung in den schleswig-holsteinischen Landtag verpasst hat, ist die Gefahr eines Wiedererstarkens der rechten Szene keineswegs gebannt. An der Technischen Universität Berlin veranstaltet das Zentrum für Antisemitismusforschung am 30. März eine öffentliche Konferenz, bei der es unter dem Stichwort "Provokation und Ideologie" um die Rolle und Bedeutung der NPD geht, die bei den Landtagswahlen in Sachsen 9,2% der Stimmen gewinnen konnte. Telepolis sprach im Vorfeld der Veranstaltung mit dem Politologen Peter Widmann, der die Konferenz zusammen mit Wolfgang Benz organisiert hat.

In Schleswig-Holstein ist die NPD an der 5 %-Hürde gescheitert, konnte aber auch dort einen deutlichen Stimmenzuwachs verzeichnen. Worin sehen Sie die Ursachen für die rechten Wahlerfolge?

Peter Widmann: In Sachsen lassen sich eine ganze Reihe spezifischer Ursachen ausmachen. Da ist zunächst die schwindende Bindekraft der Volksparteien, insbesondere der CDU. Der Aufschwung der NPD geht schließlich erkennbar mit deutlichen Verlusten der Christdemokraten einher. Dann spielt die Furcht vor dem drohenden sozialen Abstieg eine wichtige Rolle. Sie betrifft nicht nur Menschen, die schon real arbeitslos sind, sondern auch diejenigen, die in dieser Situation allgemeiner Verunsicherung Angst vor der Zukunft haben. Der NPD ist es gelungen, das Thema Hartz IV zu besetzen und für sich zu nutzen.

Drittens, und damit kommen wir zu einer grundsätzlicheren Überlegung, ist die Vorstellung von einer autoritär geordneten, homogenen Gesellschaft offensichtlich für viele Wähler ansprechend, insbesondere für solche, die über eine geringe formale Bildung verfügen. Die Analysen zeigen, dass die Rechten gerade von jungen, schlecht ausgebildeten Männern gewählt werden, die hier ihre traditionellen Rollenbilder und ihre Vorstellungen von Männlichkeit wiederfinden.

Haben die etablierten Parteien zu spät auf diese Entwicklung reagiert?

Peter Widmann: Peter Widmann: Ja, denn sie kam nicht so überraschend, wie es in der Medienberichterstattung oft dargestellt wird. Es gab zahlreiche Umfragen und die NPD hat das Zentrum ihrer Aktivitäten nach Sachsen verlegt. Ihr Verlag sitzt dort und ein wesentlicher Teil der Basisarbeit wird in Sachsen geleistet. So ist es der NPD auch gelungen, tief in die Jugendkultur einzudringen. Es wäre also viel zu einfach, das Ergebnis der Landtagswahl ausschließlich als Ausdruck einer Protesthaltung zu betrachten. Die Dinge liegen komplizierter, zumal wir es nicht - wie in früheren Jahren - mit einer Partei ohne Unterleib zu tun haben, bei der man sicher davon ausgehen konnte, dass sie sich durch offenkundige Inkompetenz und innere Streitereien selbst wieder aus dem Parlament manövrierte. Ich bezweifle ernsthaft, dass das jetzt wieder so sein wird.

Steht die bundesdeutsche Parteienlandschaft durch den Stimmenzuwachs von NPD, DVU, Pro Köln etc. vor einer tiefgreifenderen Veränderung?

Peter Widmann: Sozialwissenschaftler tun sich schwer mit solchen Prognosen, aber eines wird man sicher feststellen können: In ganz Europa gibt es rechtspopulistische Parteien, die zum Teil sogar mit in der Regierung sitzen. Grundsätzlich halte ich es möglich, dass sich eine solche Gruppe auch in Deutschland langfristig organisieren und etablieren könnte, nur ist es höchst zweifelhaft, dass sie von der NPD angeführt wird. Die NPD ist, so wie sie sich heute darstellt, viel zu radikal, zu offen verfassungsfeindlich und zu nah mit gewalttätigen Kreisen verbunden.

Kann die Bildung einer "nationalen Volksfront" die Kräfte am rechten Rand bündeln oder ist das Projekt von vornherein zum Scheitern verurteilt?

Peter Widmann: Der Erfolg eines organisierten Rechtspopulismus hängt auch davon ab, ob das rechte Lager eine charismatische Figur findet. Wenn das gelingt, besteht natürlich die Gefahr, dass sie weit ins bürgerlich-konservative Lager ausgreifen und dort Wähler überzeugen könnte. Unter diesen Umständen ist ein Potenzial von 15% der Wählerstimmen nicht unrealistisch. Doch im Moment sehe ich niemanden, der dafür infrage käme.

Jede Dramatisierung oder Moralisierung sollte vermieden werden

Allerdings stellt sich die NPD auch personell und taktisch professioneller dar als viele ihrer Vorgänger.

Peter Widmann: Das stimmt, aber gerade deshalb dürfen wir einer sachlichen Auseinandersetzung nicht aus dem Wege gehen. Wir sind daran gewöhnt, sofort Parallelen zum Nationalsozialismus zu ziehen, wenn es um diese Parteien geht, und das ist durchaus begründet, da sie immer wieder mit den entsprechenden Symbolen spielen. Aber nur weil etwas moralisch unhaltbar ist, sind wir nicht von der Pflicht entbunden, darüber eine politische Diskussion zu führen.

Wenn sich die Rechten in aktuelle Themen einmischen, werden die anderen Parteien nervös, statt ihnen selbstbewusst entgegenzutreten. Es kann aber nicht sein, dass alle anderen weglaufen, wenn ein NPDler das Wort ergreift und sich dann auch noch wundern, dass er zwei grammatikalisch korrekte Sätze hervorbringt. Vor allem ist es völlig unnötig, denn wer sich mit den politischen Positionen der Rechten, beispielsweise im Bereich Wirtschaft, auseinandersetzt, trifft sie nach kürzester Zeit an wunden Punkten. Außer bizarren Vorstellungen, nebulösen Formulierungen und Parolen bleibt da doch nichts übrig.

Natürlich spielen auch die Massenmedien in dieser Situation keine gute Rolle. Sie sind vor allem an der Aufsehen erregenden Provokation interessiert, die ihnen regelmäßig geliefert wird, dabei wäre es viel sinnvoller, die Temperatur der Beiträge herunterzukühlen und jede Dramatisierung oder Moralisierung zu vermeiden.

Wie beurteilen Sie die geplante Verschärfung des Versammlungsrechts?

Peter Widmann: Ich halte sie für einen Fehler. Das Ziel der Rechtsextremen ist es, die Freiheit zu zerschlagen, und die demokratischen Parteien nehmen diese Beschneidung der Grundrechte jetzt im Kleinen vorweg. Es hat doch keinen Sinn, dass ich mir - aus Angst, jemand könne mir Arme und Beine amputieren - prophylaktisch schon mal einen Finger abhacke. Wir können es aushalten, wenn ein paar Skinheads durchs Brandenburger Tor marschieren, und diese Gesellschaft sollte vor allem deutlich machen, dass sie sich nicht provozieren lässt.

Sie haben sich intensiv mit der Programmatik der NDP befasst. Wie stark sind die antisemitischen Tendenzen und was sind überhaupt die mittel- und langfristigen Ziele der Partei?

Peter Widmann: Die antisemitischen Tendenzen sind massiv und klar nachweisbar, vor allem in den publizistischen Erzeugnissen. Da wimmelt es von klassischen antisemitischen Verschwörungstheorien, die aber Teil einer sehr viel umfassenderen, radikalen Fremdenfeindlichkeit sind. Das Streben nach einem "weißen Europa" korrespondiert mit einem autoritären Politikverständnis und einer Abneigung gegen den Parlamentarismus, an dessen Stelle wohl eine Entscheidungsfindung nach dem Führerprinzip treten soll. Doch auch hier gilt: Wer ganz konkret wissen will, worauf das Ganze eigentlich hinauslaufen soll, erfährt allenfalls Mystisches - über die Zukunft der Deutschen, das Reich und das Schicksal.

Droht der Bundesrepublik in den nächsten Jahren weiterer Imageschaden oder eine ernsthafte Gefahr?

Peter Widmann: Die Stabilität des politischen Systems ist überhaupt nicht gefährdet, denn die Kräfteverhältnisse sind klar verteilt. Aber auch wenn die Rechtsextremen auf lange Sicht keine Chance haben, ihre Vorstellungen politisch umzusetzen, gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Im Bereich der Alltagsgewalt und tagtäglichen Diskriminierung macht sich ihr Einfluss längst bemerkbar. Minderheiten müssen in einer Atmosphäre leben, die von Angst und immer wieder auch von Gewalt geprägt ist. Das ist genug Anlass zur Sorge.

Auf der Konferenz an der TU Berlin sprechen sieben Referenten aus den Bereichen Wissenschaft, Politik und Medien zu folgenden Themen: Die NPD - Strukturen einer rechtsextremen Partei (Richard Stöss), Rechtsextremismus als Thema der Massenmedien (Peter Widmann), Antisemitismus im rechtsextremen Spektrum (Wolfgang Benz), Horst Mahler als rechtsextremer Ideologe (Rainer Erb), Die NPD im Landtag von Sachsen. Beobachtungen zur Parlamentsfraktion (Uwe Klost), Die NPD und ihr Umfeld in Sachsen (Reiner Burger), Die Strategie der NPD in Nordrhein-Westfalen und Sachsen im Vergleich (Thomas Grumke).