Gene von Omi und Opi?

Forscher haben bei Arabidopsis einen bislang einzigartigen Vererbungsmechanismus entdeckt.

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Seit dem 19. Jahrhundert erklären die Mendelschen Gesetze die Vererbung. Doch der Acker-Schmalwand, einer Verwandten des Rapses, sind die ziemlich schnuppe. Für den Notfall hat das unscheinbare Pflänzchen eine genetische Sicherheitskopie zur Hand, mit der sie fehlerhafte Gensequenzen korrigiert – und damit die fundamentalen Regeln der Vererbungslehre in Frage stellt.

Wie die Eltern, so der Nachwuchs

Bislang kennen Biologen zwei Wege, wie Lebewesen ihr Erbgut verändern, wenn sie es an ihre Nachkommen weitergeben: Bei der sexuellen Fortpflanzung wird das von den Eltern geerbte Genmaterial neu gemischt auf Samen- und Eizellen aufgeteilt und dann bei der Befruchtung mit dem Erbgut eines Partners neu kombiniert. Bei Mutationen wird das Genmaterial per Zufall verändert.

Nach dem Mendelschen Uniformitätsgesetz gilt, dass wenn beide Elternteile am selben Gendefekt leiden, alle Nachkommen diesen Defekt erben.

10 Prozent tanzen aus der Reihe

Ein Forscherteam um Robert E. Pruitt und Susan J. Lolle vom Department für Botanik und Pflanzenpathologie der Purdue University in West Lafayette/Indiana hat nun aber bei Versuchen mit einem Stamm der Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) eine schockierende Entdeckung gemacht: Wie die Wissenschaftler in Nature berichten, experimentierten sie mit Pflanzen, die an einer bestimmten genetischen Mutation litten. Beide Kopien des Hothead-Gens wiesen einen Defekt auf. Weil das Hothead-Gen ein Enzym kodiert, das, wenn es ausfällt, Organe zusammenwachsen lässt, waren bei den Pflanzen Teile der Blüten miteinander verwachsen.

Arabidopsis-Pflanze, die aufgrund eines Gendefekts ihre Blüten nicht öffnen kann (Bild: Purdue University, Labor von Robert Pruitt)

Nach den Mendelschen Gesetzen müssten folglich alle Nachkommen dieser mutierten Pflanzen diesen Gendefekt aufweisen. Tatsächlich aber hatten zehn Prozent der Nachkommen völlig normale Blüten.

Gen-Back-up für den Notfall

Wie ist dieser Befund zu erklären? Für spontane Mutation geschah die Reparatur zu regelmäßig, so die Forscher. Auch Saatgutverunreinigungen konnten bei weiteren Versuchen ausgeschlossenen werden. Dann nahm sich die Arbeitsgruppe die genetische Ausstattung der gesunden Nachkommen vor und fand heraus, dass diese Pflanzen mindestens eine Kopie des Hothead-Gens verändert hatten, der mutierte Teil der Gensequenz war durch normale Sequenzen ersetzt.

So etwas ist grundsätzlich bekannt. Nach diesem Muster werden einfache Mutationen behoben, die nur eine der zwei Genkopien betreffen, wobei der korrekte DNA-Strang als Vorlage dient. Merkwürdig ist dies nur, weil die betroffenen mutierten Pflanzen eben keine korrekte DNA-Kopie besitzen. Welche Vorlage verwenden sie also?

Auch bei anderen Genen der Acker-Schmalwand beobachteten die Forscher diesen Rückgriff auf normale Sequenzen. Und sie stellten bei verschiedenen Kreuzungen fest, dass dieser Effekt nur auf der männlichen Seite weitergegeben wird und nicht auf der weiblichen.

Sicherheitskopien der Vorfahren

Entgegen der Mendelschen Gesetze erbt Arabidopsis also offenbar nicht nur die Gene der Eltern, sie verfügt im Notfall über eine Art genetischer Sicherheitskopie mit Erbinformationen. Die Forscher vermuten nun, dass es sich dabei um RNA-Abschriften handeln könnte, die von den Vorfahren stammen. Doch im Moment sind das alles Spekulationen, bewiesen ist nichts.

„Vererbung ist wesentlich flexibler, als wir uns das bislang vorstellten“, bilanziert Robert Pruitt. „Mendels Gesetze, die wir alle in der Schule lernten, sind immer noch grundsätzlich richtig, aber eben nicht absolut."

Vorerst nur Beobachtungen

Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe von Lolle und Pruitt sind eine echte Entdeckung und sie sind stichhaltig, wie Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie und Gerd Jürgens vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen der Universität Tübingen in einem begleitenden News-and-Views-Artikel bestätigen.

Nun allerdings von einem neuen allgemeinen genetischen Vererbungsmechanismus zu sprechen, ist zu hoch gegriffen. Die Ergebnisse bleiben vorerst Beobachtungen. Der Mechanismus, nach dem die defekten Gene repariert werden, ist nicht geklärt. Außerdem bleibt zu überprüfen, ob und welche anderen Lebewesen nach demselben Verfahren ihre Gene reparieren. Es ist immer noch möglich, dass Arabidopsis ein Einzelfall ist.

Sollte sich allerdings herausstellen, dass hier tatsächlich ein neues Naturgesetz am Werk ist, eröffnete das ungeahnte Perspektiven: Ließe es sich nachahmen, könnte man damit vielleicht eines Tages die Behandlung von Erbkrankheiten verbessern.