eGypt: Internet in der Wüste?

Zugang und Nutzung modernster Kommunikationstechnologie können Hilfsmittel und Triebkraft für wirtschaftlichen Aufschwung sein

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Vor fünf Jahren, als Ahmed Nazif Kommunikationsminister von Ägypten wurde und die Eröffnungsrede der ICANN Tagung in Kairo hielt, kündigte er an, dass er zukünftig den englischen Namen seines Landes mit einem kleinen "e" am Anfang schreiben wolle: eGypt wie eMail or eCommerce. Das solle sein Engagement für die Informationsgesellschaft in Ägypten symbolisieren. Fünf Jahre später ist er Ägyptens Premierminister, sein Nachfolger im Amt des Kommunikationsministers, Tarek Kamel, war zuvor Chef des ägyptischen ISOC Chapters. Das Internet boomt rund um Kairo wie nie zuvor. Ein Steinwurf von den Pyramiden entfernt, umgeben vom Wüstensand, kann man seinen Laptop aufklappen und seine eMails beantworten. Das Manor House ist eine Wi-Fi Zone.

Sauberes Wasser oder Computer?

Das Internet in der Wüste, macht das Sinn? Raketen in den Weltraum schießen, aber keine Petersilie im Gemüseladen, hieß es früher in der Sowjetunion. Soll man, wenn es am Primitivsten mangelt, nach den Sternen greifen? Die Diskussion ist alt und kehrt immer wieder. Und immer wieder führt sie zu dem gleichen Resultat, das die häufig ideologisierten Opponenten aber nicht befriedet: Sauberes Wasser, ausreichend Essen und normale Gesundheitsversorgung stehen nicht in Widerspruch zu Computer, Mobiltelefon und Internet, ja vielleicht sind es sogar die neuen Kommunikationsmittel, die man als Instrumente braucht, um die Versorgung mit dem Nötigsten zu ermöglichen.

Internetcafe in Kairo (Bild: SWR)

Natürlich darf man sich nicht die Augen verkleistern und die etwas kindische Hoffnung nähren, alles wird gut, wenn erst einmal die Hälfte der Bevölkerung online ist. Und keiner wird ernsthaft bestreiten, dass die Befriedigung der sogenannten "grundlegenden Bedürfnisse" oberste Priorität bei allem Engagement in der "Dritten Welt" haben sollte. Aber dies als Argument gegen ein "Internet in der Wüste" zu nutzen, ist schlichtweg zu kurz gedacht.

Das Beispiel Ägypten ist insofern ganz interessant. In fünf Jahren kann man nicht die Welt verändern, aber dass das Internet der wirtschaftlichen Entwicklung Ägyptens geholfen hat, ist unbestreitbar. In Kairo fällt es schon auf, dass heute zwischen all den unübersichtlichen Gassen, den zäh dahinhupenden Verkehr und dem ewigen Marktgeschrei die Zahl der Internetcafes zu explodieren scheint. Ja mehr noch, Wi-Fi vervielfältigt sich offensichtlich noch schneller als die Zahl der Autos in den verstopften Strassen.

Offiziell hat Ägypten jetzt vier Millionen Internetanschlüsse. Das ist bei einem Land mit 70 Millionen Einwohnern natürlich noch nicht die Masse. Kalkuliert man aber ein, dass hinter jedem der vielen öffentlich zugänglichen Anschlüsse ein weiteres Dutzend Nutzer sitzt, dann ergibt das ein anderes Bild und Ahmed Nazif kann durchaus etwas auf der Erfolgsseite verbuchen. Manches erinnert in Kairo an das deutsche Telefonsystem in den 50er Jahren. Damals hatten bei weitem nicht alle privaten Haushalte ein Telefon, aber die öffentliche Telefonzelle um die Ecke ermöglichte zumindest eine Basiskommunikation für jedermann.

Im kommenden Jahr, so erwartet man in Kairo, wird die Zahl der Mobiltelefone die der am Festnetz angeschlossenen Apparate erstmalig übertreffen. Dann ist zwar die landsweite Durchdringungsrate auch erst bei etwa 15 Prozent, aber wenn man Kairo und vielleicht Alexandria für sich betrachtet, dann haben die Metropolen mittlerweile eine Versorgungsdichte von über 50 Prozent, vor Jahren noch ein utopisches Ziel.

Zahlen lassen sich verschieden interpretieren. Eins aber machen die ägyptischen Internet-Statistiken deutlich, nämlich dass die viel beschworene globale digitale Spaltung mehr und mehr eine nationale Komponente bekommt. In sich dynamisch entwickelnden Internetmärkten in der Dritten Welt wie eben Ägypten, aber auch Brasilien, Südafrika, Indien und China, baut sich im Lande selbst eine digitale Spaltung auf. Mit ziemlich hoher Geschwindigkeit verkürzen die dortigen Eliten den Abstand zur internationalen Spitze und zwar durchaus in einer die kritische Marktmasse erreichenden Größenordnung. Auf der anderen Seite aber werden der Taxifahrer und der Kamelreiter, die für einen halbstündigen Ritt um die Cheopspyramide oder 30 Minuten Irrfahrt im Kairoer Verkehrschaos gerade mal zwei Euro kassieren, diese zwei Euro kaum für 30 Internet Minuten in einer Wi-Fi Bar in der NilCity ausgeben.

Palästina als Wi-Max Land?

Ägypten mit 70 Millionen Einwohnern hat das Problem eines großen Landes. Breitband, jedenfalls via Kabel, wird noch eine Ewigkeit eine Utopie bleiben. Da sind die Scheichtümer und Emirate am Persischen Golf besser dran. Bei einem Workshop der UN Information and Communication Technology Task Force (UNICTTF), der jüngst in Kairo stattfand, wurde deutlich, dass der Zugang und die Nutzung modernster Kommunikationstechnologie sowohl Hilfsmittel als auch Triebkraft des neuen Wirtschaftswunders am Golf sind.

In Dubai, Khatar, Abu Dhabi, Muscat, Oman usw. wachsen nicht nur die Hotel- und Bürohäuser in den Himmel, es sind mittlerweile auch perfekt funktionierende Wi-Fi-Zonen. Hesham Amiri aus Dubai berichtete, dass Breitband am Golf kein Problem sei und Dubai bis zum Jahr 2007 ein hundertprozentiges eGovernment Land ist. Man hat in dreistelliger Millionenhöhe in Infrastruktur und Anwendungen investiert und es besteht kein Anlass anzunehmen, dass in den nächsten Jahren die jetzt spürbare Dynamik verlustig gehen könnte.

Und selbst um Palästina und den Irak mach das Internet mittlerweile keinen Bogen mehr. Das einzige, was in der demolierten Bagdader Innenstadt funktioniere, seien die Internetcafes, sagte Mahmood Sharief vom irakischen Ministerium für Wissenschaft und Technology. Und Hazam Qawasmi vom Wirtschaftsministerium der palästinensischen Autonomiebehörde meinte, Palästina, wenn es denn bald mal ein Staat sei, würde vielleicht das erste Wi-Max-Land der Welt. Mit einer Verkabelung zwischen Bethlehem und Jericho im Westjordanland anzufangen mache wenig Sinn, aber die geographischen Bedingungen für drahtlose Kommunikation entlang des Jordan seien geradezu ideal.

Eines der Hauptprobleme für die Mehrheit der arabischen Nutzer aber bleiben weiterhin die relativ hohen Preise für Hard- und Software. Kein Wunder, dass die "Free and Open Source Software" (FOSS)-Bewegung in der arabischen Welt mehr und mehr Anhänger gewinnt. Nicht nur, dass die Anschaffung von Software unterm Strich billiger kommt, sie kann wegen des offenen Quellcodes auch einfacher auf die sich von den Nordländern teils drastisch unterscheidenden lokalen Bedingungen und Bedürfnisse ausgerichtet werden. Araber müssen in ihrer Sprache jene Dienste, Anwendungen und vor allem Inhalte vorfinden, die sie im Alltag brauchen, sagte Christina Adina vom ägyptischen Kommunikationsministerium. Multilingualismus im Internet ist daher ein entscheidendes Problem. Das DNS aber ist auf dem ASCII-Code aufgebaut, und mehr noch, Domainnamen werden von links nach rechts gelesen. In der arabischen Sprache aber wird von rechts nach links gelesen, ein zusätzliche Herausforderung für arabischen iDNs.

Für die teuren Endgeräte, einschließlich der PCs, hatte in Kairo Talal Abu Ghazaleh einen passenden Plan. Ghazaleh ist ein Multimillionär aus Jordanien, der das IT Business als sein Revier entdeckt hat und es immerhin bereits zum Vize-Vorsitzenden der von Kofi Annan berufenen UN ICT Task Force gebracht hat. Er will sich jetzt ins Zeug legen, um mit seinen Unternehmen einen 100-Dollar-PC zu entwickeln, der auf unnötigen Schnickschnack verzichtet und die grundlegenden Computerfunktionen ins Wüstenzelt bringt. Der Markt, zumindest in der arabischen Welt, fange an, richtig nachzufragen, meinte Ghazaleh, der von Kairo gleich weiterflog nach Paris zur "International Chamber of Commerce" (ICC), wo er gleichfalls Vorstandsmitglied ist.

Was da noch fehlt, sind gut ausgebildete Entwickler, Anbieter und Nutzer. Zumindest auf hoher Ebene ist schon längst erkannt, dass alle eStrategien ohne "human capacity building" ins Leere laufen. Reformen im Bildungswesen sind jedoch auch dort zählebig. Dem aufmerksamen Beobachter in Kairo aber fällt dennoch schon auf, mit welcher hohen Motivation zumindest jene jungen Leute, die sich Zugang zum Internet verschafft haben, in die Materie stürzen. Und warum sollte Indien das einzige Land in der Dritten Welt bleiben, das ein Weltschwergewicht beim Export von Software geworden ist?

Streitpunkt Internetkontrolle

Ist man sich bei der Einschätzung der Marktpotentiale in der arabischen Welt weitgehend einig, so scheiden sich beim Thema Internet Governance die Geister. Für die meisten arabischen Regierungen ist dies in erster Linie ein Thema, dass mit den Inhalten von Websites zu tun hat.

Dass Jedermann mit einem Klick auch zwischen Amman und Rabat all jene Seiten aufrufen kann, die nach arabischem Verständnis schädlich, unschicklich oder sonst wie gefährlich sind, ist ein Problem, mit dem die Regierenden in dieser Region nur schwer umgehen können. Die Vorstellung, man könne das Internet wie die abendliche Nachrichtensendung im Fernsehen, die Nachrichtenagentur oder die nationale Presse kontrollieren, schwirrt in vielen Ministerköpfen herum. Mangelhaftes technisches Verständnis für die Netzwerkstruktur des Internet mischt sich da mit mangelnden praktischen Demokratie- und Freiheitserfahrungen. Dass das klassische, an ein kontrollierbares physisches Territorium gebundene Souveränitätsprinzip im grenzenlosen Cyberspace nicht mehr so wie früher exekutiert werden kann, bedarf offensichtlich eines noch längeren Verinnerlichungsprozesses auf hoher Ebene.

Dabei zeichnet sich auch in dieser Auseinandersetzung eine weitere innere "Spaltung" ab. Während die alten Eliten sich an den alten Normen festklammern und im Internet letztendlich doch so etwas wie "Teufelszeug" sehen, haben die neuen Eliten viel weniger Schwierigkeiten, sich in einer globaler gewordenen Umgebung zu bewegen und die neuesten Gadgets zu benutzen, ohne dabei ihre kulturellen, ethischen oder moralischen Grundsätze aufzugeben.

Deutsche Unterstützung

Der UN-Workshop wurde übrigens von der deutschen Bundesregierung unterstützt, die sich wiederum der Unterstützung von Siemens, Deutsche Telekom, DENIC und SAP versicherte. Die UNICTTF hatte ja ihre 7. Sitzung im November 2004 in Berlin veranstaltet und deren Vizepräsident Al Gazaleh war hocherfreut über die deutsche Bereitschaft, der unter chronischem Finanzmangel leidenden Task Force bei der Verfolgung ihrer ambitionierten Ziele unter die Arme zu greifen.

Bis zum WSIS-Gipfel im November 2005 in Tunis sollen fünf solcher regionalen Workshops in allen Teilen der Welt stattgefunden haben. Der UNICTTF verschafft dies notwendige "Visibility", den regionalen Playern bringt es die Möglichkeit, sich mal um etwas anderes als den amerikanisch-chinesischen Konflikt um die Kontrolle der Internet-Kernressourcen zu kümmern. Die deutschen Unternehmen können einmal in neuen Märkten Ausschau halten und die Bundesregierung kann bei ihrem Werben um einen ständigen Platz im UN-Sicherheitsrat Kofi Annan demonstrieren, dass man nicht nur bei den Blauhelmen bereit ist, globale Verantwortung zu schultern. Wenn man nach einem Beispiel für eine Win-Win-Situation sucht, hier ist es.