Übersetzungen können "geistiger Diebstahl" sein

Einem Schüler, der ein Latein-Lehrbuch übersetzt und die Übersetzung im Internet veröffentlicht hat, droht eine Verurteilung

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Dass beim Abschreiben eine glatte Sechs droht, sollte man sich erwischen lassen, gehört zum kleinen Schüler-Einmaleins. Richtig teuer aber kann es für den werden, der abschreiben lässt. Zumindest wenn er sich dabei des Internet bedient und ein ganzes lateinisches Schulbuch übersetzt. Der aktuelle Fall eines Schülers ist dabei vor allem wegen seiner urheberrechtlichen Implikationen interessant.

Bereits vor geraumer Zeit hatte der Oldenbourg Schulbuchverlag aus München die Website eines damals 15-jährigen Schülers ausfindig gemacht, auf der dieser Lektionen und Übungen des vom Verlag herausgegebenen Latein-Lehrbuchs "Cursus Continuus" in übersetzter Form präsentierte. Darauf mahnte Oldenbourg den Jungen mehrfach per Email ab und forderte ihn zur Unterlassung auf. Als der Schüler nicht entsprechend reagierte, sondern nur mehrfach die Domain wechselte, sei man, so Verleger Wolfgang Dick, gezwungen gewesen, Strafanzeige zu stellen, um die Identität des Schülers feststellen zu lassen. Eine Klage auf Unterlassung und Schadenersatz folgte.

Für Dick sind die Übersetzungen nämlich schlicht "geistiger Diebstahl". Dagegen habe man die "Rechte der Autoren schützen" müssen, die Lektionen und Übungen im Lehrbuch verfasst hatten. Auch die wirtschaftlichen Interessen des Verlages stünden auf dem Spiel, wenn die Schüler nicht mehr in Eigenleistung aus dem Lehrbuch übersetzen müssten.

Ganz ähnlich sieht das auch der für das beim Landgericht München anhängige zivilrechtliche Verfahren (AZ 21 O 20109/04) zuständige Richter Peter Guntz, der auf ein bereits Anfang 2003 in Sachen "Cursus Continuus" ergangenes Urteils des selben Gerichts verweist:

Es bedarf keiner vertieften Ausführung, dass der Marktwert eines Übungsbuches möglicherweise bis auf null sinkt, wenn die Schüler die Lösungen ohne größere Schwierigkeiten im Internet abrufen können. Wenn der Verlag derartige Verstöße nicht konsequent verfolgt, besteht die Gefahr, dass das aufwendig gestaltete Lehrbuch nicht mehr abgesetzt werden kann und die erheblichen Investitionen in dieses Lehrbuch umsonst waren bzw. nicht vollständig erwirtschaftet werden können.

Die Ausführungen zielen allerdings allenfalls auf die Schwere des Vergehens, dessen der Schüler bezichtigt wird. Vorgeworfen wird ihm nämlich ein Verstoß gegen § 23 des Urheberrechtsgesetzes:

Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen des Werkes dürfen nur mit Einwilligung des Urhebers des bearbeiteten oder umgestalteten Werkes veröffentlicht oder verwertet werden.

Die Übersetzung der eigens für das Latein-Lehrbuch erstellten Lektionen und Übungen gilt mithin als Bearbeitung, die der Einwilligung des Urhebers, im vorliegenden Fall also der Lehrbuch-Autoren bzw. des Oldenbourg-Verlages, bedarf. Übersetzungen eines nicht (länger) urheberrechtlich geschütztes Werk, etwa Caesars "De Bello Gallico" im Original, dürfen dagegen sehr wohl im Internet oder anderweitig veröffentlicht werden.

Die Implikationen der Bestimmungen von § 23 sind weitreichend: So fallen die Bearbeitungen von Bildern zum Zwecke der satirischen Verfremdung ebenfalls darunter und sind auch nicht durch die Kunstfreiheit geschützt. "Zu 99,9 Prozent würde das nicht funktionieren", bestätigt Matthias Lausen, Geschäftsführer des Instituts für Urheber- und Medienrecht. Wer also einem Politiker für eine Foto-Karikatur die Nase lang ziehen will, muss erst den Urheber, also den Fotografen, um Erlaubnis fragen.

Anders sieht es dagegen bei Rechenlehrbüchern aus. "Musterlösungen von Mathematikaufgaben sind nicht urheberrechtlich geschützt", so Lausen. Entscheidend ist für den promovierten Juristen die Gestaltungshöhe eines Werkes (§2, Abs. 2 Urheberrechtsgesetz). So weise eine Aufgabe wie 1 + 1 = 2 keinen Gestaltungsspielraum auf und könne damit auch nicht von einem Urheber als seine geistige Schöpfung reklamiert werden. In bestimmter Weise angeordnete Mathematikaufgaben oder deren besondere textliche Ausgestaltung könnten dagegen sehr wohl geschützt sein. "Texte fallen grundsätzlich unter das Urheberrecht", so Lausen.

Besonders oft scheint der bedingte Urheberrechtsschutz der Mathematikbücher allerdings sowieso nicht verletzt zu werden. "Das ist eine Spezialität für Latein", bestätigt Oldenbourg-Geschäftsführer Wolfgang Dick, dessen Verlag allerdings keine Lehrbücher für neue Fremdsprachen anbietet. So habe es allein in den letzten Jahren rund 20 Fälle von unrechtmäßig veröffentlichten Übersetzungen gegeben.

Im aktuellen Fall sei der nun Angeklagte allerdings besonders ungeniert vorgegangen. Der Schüler beruft sich dagegen darauf, er habe ob seines Alters eine mögliche Rechtsverletzung nicht erkennen können. Eine Entscheidung in dem Rechtsstreit wird voraussichtlich Anfang Juni erfolgen, bei einer Verurteilung drohen dem Schüler Kosten in Höhe von mehreren Tausend Euro. Ebenfalls offen bleibt die Frage, ob seine Übersetzungen überhaupt richtig waren. Beim Oldenbourg Verlag hat man dies jedenfalls "nicht geprüft."