Lizenz zum Töten?

Der Kongress von Florida hat ein Gesetz beschlossen, das das Recht auf Anwendung tödlicher Gewalt zur Abwehr einer Bedrohung beinhaltet - Kritiker befürchten Wild-West-Zustände

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Möglicherweise wird es in Florida bald ein wenig ungemütlicher werden. Sowohl das Repräsentantenhaus als auch der Senat haben ein Gesetz gebilligt, das zum Schutz von Personen und Eigentum den Gebrauch von Gewalt, explizit auch von tödlicher Gewalt, billigt - und zwar überall dort, wo sich jemand bedroht fühlt und einen "vernünftigen Grund" dafür hat, dass für ihn oder eine andere Person die Gefahr des Todes oder schwerer körperlicher Verletzung droht. Um in Kraft zu treten, muss das Gesetz noch von Gouverneur Jeb Bush unterzeichnet werden.

Das Gesetz HB 249 CS erweitert das Recht auf Selbstverteidigung, das Bürger Floridas bereits haben, wenn sie auf ihrem Grundstück, in ihrer Wohnung oder in ihrem Wagen angegriffen werden (castle doctrine). Bislang aber hätten sie, wenn sie in der Öffentlichkeit bedroht wurden, zunächst versuchen müssen, der Gefahr zu entgehen, also zu fliehen, bevor sie auf einen Angreifer schießen durften. Jetzt dürfen sie straffrei, "Gewalt mit Gewalt beantworten", wo immer sie sich aufhalten, wenn sie einer rechtmäßigen Tätigkeit nachgehen und sich dort zu Recht aufhalten. Im Senat wurde das Gesetz einstimmig angenommen, im Repräsentantenhaus stimmten 94 Abgeordnete dafür und 20 dagegen.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Deutsches Strafgesetzbuch: Notwehr und Notstand (§§ 32 - 35)

Der Angegriffene oder auch derjenige, der nur Grund hat, davon auszugehen, dass er oder ein Anderer angegriffen werden könnte oder dass damit die Begehung einer Straftat verhindert wird, darf sich verteidigen und dabei auch straflos den Angreifer töten. Die Polizei darf den Vorfall zwar untersuchen, aber den Täter nur dann festnehmen, wenn es wahrscheinlich ist, dass die Anwendung von Gewalt illegal war. Zudem muss dann die Polizei alle Kosten wie die der Verteidigung oder des Verdienstausfalls übernehmen, wenn der Beschuldigte sich als unschuldig im Sinne des Gesetzes erweisen sollte. Einen Schuldnachweis zu führen, dürfte bei der Formulierung des Gesetzes nicht ganz einfach sein.

Some loudmouthed lunkhead at the kid's soccer game bumps up against you, uses a nasty epithet, reaches into his pocket and pulls out . . . What? Could be his Blackberry. Or it just might be a black anodized aluminum Colt .45 pistol with seven in the clip and one in the chamber. Assume the worst. Whip out your AK-47 and empty the banana clip.

Kommentar im Miami Herald

Es könnte also durchaus gut sein, sich in Zukunft zur Selbstverteidigung gegen Selbstverteidiger oder diejenigen aufzurüsten, die sich als solche ausgeben, um nicht überraschend und wehrlos zusammen geschossen zu werden. Kritiker fürchten, dass damit eine "Lizenz zum Töten" ausgestellt werde und wieder Zustände wie im Wilden Westen einkehren könnten, weil die Schwelle er Gewaltanwendung sinkt.

Natürlich versichert der Abgeordnete Dennis Baxley, der das Gesetz im Repräsentantenhaus eingebracht hat, dass dies nur der Sicherheit dient. "Leute, es tut mir Leid", sagte er, "aber wenn ich angegriffen werde, sollte ich dazu verpflichtet sein, mich zurückzuziehen. Das aber ist der beste Möglichkeit, einen Schuss in den Rücken zu erhalten." Kriminelle würden es sich hingegen zweimal überlegen, jemanden anzugreifen, wenn die Menschen das eindeutige Recht auf Selbstverteidigung haben. Im Übrigen unterscheide sich das Gesetz nicht wesentlich von den Rechten, die die Bürger in vielen anderen Bundesstaaten haben.

Baxley ist Republikaner und Baptist, er ist zudem ausgerechnet auch noch Besitzer einer Bestattungsfirma. Man muss sich natürlich nicht wundern, dass das Gesetz auch ein Lieblingsprojekt der National Rifle Association in Florida war. So ruft die Waffenlobby denn auch ihre Mitglieder dazu auf, den Gouverneur unter Druck zu setzen, das Gesetz zu unterzeichnen. Für den demokratischen Abgeordneten Irv Slosberg passt das zusammen: "Das Gesetz zielt nur darauf, mehr Gewehre zu verkaufen und möglicherweise Florida in das OK Corral zu verwandeln."

Zumindest erhält man den Eindruck, dass dieses Gesetz nicht nur das Recht auf Notwehr eindeutig regeln will, gegen das niemand sein kann, sondern überdies dem Geist der Vorwärtsverteidigung gehorcht, auf dem auch die Sicherheitsstrategie der Bush-Regierung basiert. Lieber "präemptiv" aus "vernünftigen" Gründen zur Tat schreiten und einen möglichen Angriff abwehren, als erst dann zu handeln, wenn man schon angegriffen wurde. Aber eine solche Einstellung ist nicht nur weltpolitisch, sondern auch zwischenmenschlich höchst riskant - zumal für das Opfer, das sicherheitshalber dran glauben muss. Ein bisschen makaber ist das zudem, nachdem in Florida gerade im Fall von Terri Schiavo ausgerechnet für das unbedingte Recht auf Leben gekämpft wurde.