Medialer Mummenschanz

"Bei gutem Wetter: Marienerscheinung!" - Anmerkungen zur päpstlichen Funeralshow

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"Was rissen sie sich alle die Beine aus, um beim römischen Todesmarathon vorn mit dabei zu sein. Der Herrscher der Gläubigen katholischen Zuschnitts hatte seinen letzten Furz gelassen, die mediale Welt nahm ihn voll auf Lunge und behauptete stolz, es handele sich um Weihrauch. Beschmiert und stinkend vor Dummheit standen die Medientrompeter da und dachten, sie verströmten die Aura von Pietät und Würde. Da sie alle das Identische taten, hielten sie den Karneval mit Karol Wojtyla für ganz große Kondolenz. So funktioniert Massenhypnose. Wer seinen Kopf so zugerichtet hat, dass er die eigene Propaganda unerschütterlich für die Wahrheit hält, kann in den USA Präsident werden. In Deutschland wird er Journalist und spricht gern von Pressefreiheit, einem Konsumartikel zu Einsneunundneunzig.(..) So viel Unisono-Geblöke wie nach dem Erlösungsgewürge des obersten katholischen Hasspredigers war sogar im Kernland der freiwilligen Gleichschaltung selten zu hören."

US-Präsident Bush im Juni 2004 bei Johannes Paul II.

Der Zorn des taz-Kolumnisten Wiglaf Droste über die "Schlammflutverwalter der öffentlichen Meinung" (Alles Papst oder was? könnte sich noch steigern, wenn nach dem langwierigen Sterbemarathon am Freitag die finale Beisetzungs-Show des Papstes gesendet wird.

Dass aus der Trauerfeier, zu der Millionen Fans in Rom erwartet werden, eine Massendemonstration für Frieden und Gerechtigkeit wird, ist kaum zu erwarten. Wird doch der Tross der Trauenden von niemand anderem angeführt als von George W.Bush und seinem mafiosen Kumpel Berlusconi – zwei Kriegsherren, die das Hauptgebot des Christentums "Du sollst nicht töten" ungefähr so ernst nehmen wie Hooligans im Vollrausch die Paragraphen gegen Körperverletzung. Wobei zur Ehrrettung solcher Schlägertypen gesagt werden muss, dass diese in der Regel persönlich zu ihrer Verantwortung stehen – während Bush sich bei seinen Bombardements auf einen göttlichen Auftrag beruft. Und anders als der seit Jahrzehnten einsitzende Papst-Attentäter Ali Agca, der ebenfalls an der Beisetzung teilnehmen will wohl auch nie zur Rechenschaft gezogen werden wird.

Um jeder Art von Vorwurf aus dem Weg zu gehen, hat Bush sich lieber bei Beerdigungen toter US-Soldaten nicht sehen lassen, drängelt aber beim Abgang des Papstes in die erste Reihe. Dieser hatte zwar die Irak-Invasion lautstark kritisiert, aber auch nichts Ernsthaftes dagegen unternommen, geschweige denn als lebendes Schutzschild im Papamobil versucht, das Morden persönlich zu verhindern. Auch seine angeblich so ergebenen und jetzt furchtbar traurigen polnischen Landsleute hat er nicht davon abhalten können, in den Krieg zu ziehen. Insofern wird er auch nichts dagegen haben, wenn ihn der oberste Warlord nun am Grabe hochleben läßt – als einen "Mann der Freiheit und des Lebens“ , oder so ähnlich, jedenfalls als einen wie er selber…

Während der Popanz um den toten Pontifex nicht nur Kirchenkritiker wie Eugen Drewermann an die Spektakel beim Tod des Ayatholla Khomeini erinnern, sorgt der mediale Mumenschanz mit seinem noch über die unerträglichste Bigotterie hinwegschweigenden Kondolenzismus außerdem dafür, dass sich Kriegsverbrecher wie Bush, Blair & Berlusconi wohlig im Licht des Menschlichen, des allgemein Guten, ja Heiligen, sonnen können. Nichts oder nur Gutes über die Toten – die alte römische Regel gilt bei der päpstlichen Funeralshow auch für die Trauergäste.

Dass der "Papst der Herzen" mit seinem Tod eine ähnliche Sympathiewelle für die Kirche erzeugt wie der Unfall Lady Dianas für die verknöcherte britische Monarchie hat mit Religion so wenig zu tun wie der Kult um die Windsors mit Politik, es ist Popkultur. Johannes Paul II. war nicht nur der erste Papst, der in einer Synagoge betete (und sich mit PLO-Chef Arafat traf), er war vor allem der erste, der zum globalen Popstar wurde. Und entsprechend zieht er mit seinem Hinscheiden weltweite Aufmerksamkeit auf sich – auch von Nicht-Katholiken und jungen Leuten. Zu diesem Pop-Phänomen gehört, dass man dem alten Mann in seiner weißen Kutte, der in seiner Gebrechlichkeit in den letzten Jahren allenfalls noch rührte und nur noch mit seiner Standhaftigkeit imponierte, jetzt ganz wie einen guten Großvater verabschiedet. Als einen, dessen Prinzipien partiell zwar katastrophal waren – ganz wie bei unserem zeitnah verschiedenen Lokalstar und un-anonymen Alkoholiker Harald Juhnke –, der sie aber zumindest bis zum Schluss konsequent durchgehalten hat. Und derlei Konsequenz, man könnte auch sagen: Fundamentalismus, wirkt im Zeitalter erodierender Institutionen attraktiv. Sie mögen das Falsche tun, die Ayathollas und Päpste, aber sie stehen wenigstens noch für etwas… und sind ideale Figuren des Emotionstheaters für die Massen.

Dass die Medien dies mit Pop, Pomp & Circumstance inszenieren, wäre nicht zu beklagen, wenn nebenbei auch noch so etwas wie Journalismus stattfinden würde. Und von den Reportern, denen schon mal ein Freudscher "General Ratzinger" rausrutscht – oder "Millionen werden zu Roms größtem Festival..äh Trauerfeierlichkeiten" erwartet, auch die eine oder andere Frage beantwortet oder gestellt würde. Etwa danach, wie die Bilanz des katholischen Weltkonzerns nach 26 Jahren unter CEO Wojtyla eigentlich aussieht, wie es um die zahlende Kundschaft und den Nachwuchs an Personal bestellt ist und ob ihm gegen die Krise des Glaubens und der Moral irgendetwas anderes eingefallen ist als die Förderung des von einem Franco- und Hitler-verehrenden Knabenschänder gegründeten "Opus Dei" sowie das Verbot von Geburtenkontrolle und Kondomen, das in einigen Weltgegenden wie eine Massenvernichtungswaffe wirkte. Schön wäre auch, wenn man etwas über das geistige Vermächtnis des Verstorbenen erfahren würde, etwa seine Ansicht, dass das Zeitalter der Aufklärung und des Rationalismus - und Denker wie Descartes oder Kant – für die totalitären Katastrophen des 20. Jahrunderts verantwortlich und dem Reich des Bösen zuzuschlagen sind.

Noch in seinem im Februar erschienenen letzten Buch "Erinnerung und Identität" hat er dieses Plädoyer für den Rückfall ins intelektuelle Mittelalter wiederholt – und so scheinen die Kreuzfahrer und Heerführer an seinem Grab dann doch wieder überaus passend, die Wiederholung der Tragödie als Farce. Für alle, die ihren denkenden Verstand an der Garderobe des Welttheaters abgegeben haben: non cogito, ergo bumm. Dass die Begräbnisshow dann letzlich so abläuft, wie es der italienische Sarghersteller "Cofanifunberi" vorausahnt steht zu erwarten; falls etwas schief geht, wäre "Genua 2" zu befürchten. Es sei denn, die aus Kurienkreisen duchgesickerte Kurznachricht trifft ein: "Bei gutem Wetter: Marienerscheinung!"