Gentech-Konzern verwechselt eigene Saatgut-Varianten

Kontrollmechanismen versagten über Jahre hinweg

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Mais mit Resistenzgen gegen das Antibiotikum Ampicillin wurde in hohen Mengen angepflanzt und verfüttert – an Tiere und Menschen.

"Uns ist da eine Verwechslung passiert", gesteht der Syngenta-Sprecher Markus Payer ein. Vier Jahre lang hat der Biotech-Konzern mit Sitz in der Schweiz Saatgut der nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Mais-Sorte Bt10 angeblich „versehentlich“ produziert und dann als Saatgut der – zugelassenen – Sorte Bt11 verkauft.

Niemand habe das bemerkt, bis im vergangenen Jahr bei Untersuchungen im eigenen Haus der Fehler entdeckt wurde. "Der Unterschied lässt sich nur durch eine DNA-Analyse feststellen", erklärt Payer. Denn die genveränderten Proteine, nach denen in Routine-Untersuchungen gesucht wird, seien bei beiden Sorten gleich.

Antibiotikum wird durch Genexperimente wirkungslos

Der Unterschied zwischen Bt10 und Bt11: Bt10 ist mit einem Marker-Gen ausgestattet, das gegen das Antibiotikum Ampicillin resistent ist. Ampicillin aber ist ein häufig verwendetes Antibiotikum in der Humanmedizin – weshalb die Experten-Kommission der EU, die European Food Safety Authority dringend empfohlen hat, dass Sorten mit diesem Marker-Gen ab sofort nicht mehr in Nahrungsmitteln Verwendung finden dürfen: Die Risiken für die menschliche Gesundheit, die dieses Marker-Gen auslösen könnten, seien beim jetzigen Stand der Forschung nicht abzusehen.

Wo Hoffnung keimt und Vertrauen wächst: Standortgerechter Landbau ohne Gentechnik ist eine Entwicklungschance für Kleinbauern und Martkfrauen gleichermassen. Hier zeigt ein Kleinbauer aus Brasilien seine Ernte. (Bild: CAPA/EED)

Das von Syngenta in den Jahren 2001 bis 2004 produzierte Bt10-Saatgut reicht nach Konzernangaben aus, um 15 000 Hektar Land damit zu bestellen – angesichts einer Gen-Anbaufläche von Syngenta in den USA von mehr als drei Millionen Hektar sei das eine äußerst geringe Fläche, sagt der Konzern-Sprecher. "Eine Gefährdung für Mensch oder Natur war und ist durch die fälschliche Auslieferung von Bt10-Saatgut nicht gegeben", so Payer. Das sei auch die Auffassung der US-Behörden – weshalb diese es erst drei Monate nach der Selbstanzeige von Syngenta für nötig erachtet haben, ihre Counterparts in der EU über die Falsch-Deklaration zu informieren.

150 Quadratkilometer Maisanbau erzeugen aber immerhin so viel an Output, dass die EU-Kommission zu dem Schluss kommt, dass mehr als eintausend Tonnen Bt10-Maises auf den europäischen Markt gelangt sind – und hier sowohl als Tierfutter als auch in der Nahrungsmittelindustrie eingesetzt wurden. „Ein bedauerlicher Vorfall", wiegelt Brüssel eilfertig ab. Weder seien deshalb strengere Kontrollen von Getreide-Einfuhren aus den USA nötig, noch bedürfe es Untersuchungen, wo der Mais denn schlussendlich gelandet sei – womit auch eventuell noch mögliche Rückrufaktionen ausgeschlossen werden.

Verwechslungen werden immer wieder passieren

Doch selbst wenn die Behörden sich entschließen würden, die Kontrolluntersuchungen von Getreideimporten tatsächlich auszuweiten und zu verfeinern – eine 100-prozentige Sicherheit vor Falsch-Deklarationen oder unzulässigen Beimischungen werde es nie geben können:

Gentechnik in der Landwirtschaft ist nicht kontrollierbar

Gen-Expertin Ulrike Brendel von Greenpeace in Hamburg.

Fälle, in denen gentechnisch verändertes Material sogar im Getreidehandel aus konventionellem Anbau auftauchen, häuften sich – vor allem bei Getreideimporten aus den USA, wo immer mehr gentechnisch veränderte Getreidesorten angebaut und die Kontrollmechanismen eher gelockert anstatt angezogen werden. So kann es beispielsweise schon allein dadurch zu Verunreinigungen kommen, dass konventionelles Saatgut in den gleichen Silos gelagert oder in denselben LKWs transportiert wird, in denen vorher Gen-Getreide lag. Bald werde „die so genannte Wahlfreiheit der Verbraucher“ nicht mehr bestehen, warnt Brendel.

Auch Entwicklungsorganisationen sind besorgt über die zunehmende Ausbreitung der Gentechnik in der Landwirtschaft weltweit. Gerade vor dem Hintergrund, dass die USA die weltweit größten Getreide-Exporteure und auch Hauptgeberland für das Welternährungsprogramm (WFP) der UN sind, fürchten sie um die biologische Sicherheit auf dem Globus. So haben beispielsweise Untersuchungen eines Forschungsinstituts in Mittelamerika ergeben, dass 80 Prozent der untersuchten Proben aus WFP-Lieferungen und US-Importen gentechnisch verändertes Material aufwiesen – ohne das dies ausdrücklich deklariert war. Und schlimmer noch: Das Institut wies auch Beimischungen der Mais-Sorte Star-Link nach, die selbst in den USA seit Jahren schon für den Anbau verboten ist – weil sie im Verdacht steht, Allergien auszulösen.

Ulrike Brendel von Greenpeace weiß noch von einigen Beispielen mehr, wo verbotene oder nur für den Versuchsanbau zugelassene Sorten in den Getreide-Ernten auftauchten – ihr Resümee: "Verunreinigungen" und "Verwechslungen" können am besten dadurch verhindert werden, dass der Anbau gentechnisch veränderter Getreidesorten erst gar nicht erlaubt wird.