"Urheberrecht ist ein schweres Schaf…!"

Nein, nein, "ein scharfes Schwert": Musikindustrie gegen Bildung aus Schülerhand

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Eigentlich werden gute Rock- und Popsongs nicht geschrieben, um damit Geld zu machen, sondern um eine Botschaft rüberzubringen. Musik soll eine Brücke sein und zum besseren Verständnis der Menschen füreinander führen. Doch so etwas ist in Deutschland leider höchst strafbar, denn da gibt es noch das Urheberrecht…

“English by songs“ war vor vielen Jahren eine hochinteressante Serie im 3. Programm des bayrischen Fernsehens, dem Bildungsprogramm des Studienfernsehens: Eine Folkgruppe trug alte Traditionals (Volkslieder) aus England („Scarborough Fair“), Amerika („Oh my Darling Clementine“), Australien („Waltzing Mathilda“) und anderen Ländern des englischsprachigen Raums vor und übersetze und erklärte dann den Text.

Dass es sich dabei stets um copyrightfreie alte Volkslieder handelte, verwunderte zwar, doch waren schon diese aufschlussreich genug und zumindest jedem Zuschauer unabhängig von seinem persönlichen Musikgeschmack bekannt. Dass so etwas niemals mit aktuellen Songs möglich wäre, weil die Musikindustrie gar nicht möchte, dass die bösen nicht englischsprachigen Ausländer diese verstehen, wird kaum ein Zuschauer gewusst haben.

"Don’t talk to me of wild, wild angels…

Dennoch wurde uns in der Schule Englisch auch mit damals aktuellen Rock- und Popsongs nahe gebracht und auch der Autor selbst hielt an seiner Schule und später auch an der Volkshochschule Vorträge, in denen unter anderem Texte von Joe Jackson und Bruce Springsteen übersetzt, analysiert und diskutiert wurden. Dabei wurden auch die Texte mit ihrer Übersetzung an die Zuhörer verteilt – und die Vortragenden standen so nichtsahnend mit einem Bein im Gefängnis.

Spätestens eine Analyse des Schmusehits „Bobby Brown“ von Frank Zappa öffnete so manchem die Augen, dass auch der Text eines Songs wichtig sein könnte – von deutschen Schlagern ist man dies ja zugegeben nicht gewohnt, obwohl auch diese mit ihren Texten so manchem sprachliche Probleme bereiten können (“Abschied ist ein schweres Schaf…“).

Englische Lieder werden jedoch sehr oft falsch verstanden. So traf ich auch einst eine Frau, die den Song „Wild Wild Angels“ von Smokey zu ihrer Lebenshymne gemacht hatte, weil sie sich als die Frau mit den zwei Gesichtern sah

…that wild, wild angels have two faces!“

Dabei hatte sie aber den Songtext etwas missverstanden, weil es in diesem darum geht, was die wilden Engel mitmachen müssen (“have to face”) und in dem Lied keineswegs von “zwei Gesichtern” die Rede war:

Don't talk to me of shattered dreams
Of course you don't know what it means
To live for someone else, you can't just take
And when you're bitten by the truth
You blame it on your mis-spent youth
You never seem to learn by your mistakes

Chorus:

So don't talk to me of wild wild angels
Wild wild angels on the skyways
Those wild wild angels on the highways of your life
'Cos it's people like you who never knew
What wild wild angels have to face

Solche Hörfehler gibt es unzählige, manchmal witzig, manchmal auch nur nervig, weil man so in einer textlichen Sackgasse steckt und den Song einfach nicht verstehen kann. Nicht jeder hat ja die Original-CD im Schrank stehen und selbst wenn, bietet auch diese nicht immer auch die Texte der Songs.

Als Abhilfe wurden Songtexte von den Plattencovern früher von den Benutzern in etlichen Mailboxen und später dann auch im Internet gespeichert. Doch das ist riskant, denn genau wie auf die Songs selbst und auf ihre Noten gibt es auch auf die Texte ein Copyright.

Schweiz: Polizeibesuch und Hausdurchsuchung

Beim schweizer Songtextarchiv Lyrics.ch spielten deshalb in Internet-Selbsthilfe User die Texte so ein, wie sie sie selbst gehört hatten – damit manchmal auch mit Hör- oder Tippfehlern, doch vermeintlich ohne Copyright-Probleme. Bis Anfang 1999 – da wurde der Server in einem 14 Mann starken Polizeieinsatz abgeschaltet und die Hardware beschlagnahmt.

Die klagende Firma Harry Fox Agency, die für die Lizenzvergabe der amerikanischen Musikindustrie zuständig ist, die schweizer Polizeirazzia in Auftrag gegeben hatte und die National Music Publishers' Association (NMPA) vertritt, einigte sich später mit dem ehemaligen Betreiber der Site und übernahm den Server – auf ihre Weise: Wer von da ab www.lyrics.ch anwählte, landet nun erst mal bei songfile.snap.com und muss sich dort nochmals zu Lyrics.ch zurückklicken. Dort konnte er dann nach dem gewünschten Songtext suchen. Allerdings bekam er nicht mehr wie früher eine normale HTML-Datei als Ergebnis; vielmehr wurde ein Java-Applet geladen, auf dem der gesuchte Text im Eiltempo durchlief. Mitlesen oder gar Abschreiben auch mit guten Englisch-Kenntnissen: keine Chance. Beim Versuch, die Laufschrift anzuhalten, verschwand die Anzeige und man musste den Song neu aufrufen, ebenso, wenn der gesamte Text durchgelaufen war.

Also ausdrucken! Aber denkste: Die Mitteilung „You cannot copy or print this document“ – Sie können dieses Dokument nicht kopieren oder ausdrucken – kam statt des erhofften Songtextes aus dem Drucker: Man hat das Java-Applet gegen Screenshots ebenso wie Ausdrucke gesperrt, um das Copyright durchzusetzen. Nur US-Muttersprachler konnten mit der Site noch etwas anfangen, doch die verstanden die Songs ja auch so. Die Botschaft an deutschsprachige Rock- und Popfans war dagegen klar: „Deutsche, kauft gefälligst deutsche Platten“.

Songtexte legal online zu kaufen? Fehlanzeige!

Angesichts des Dauerärgers um die Songtexte haben inzwischen viele Bands zum Entsetzen ihrer Plattenfirmen ihre Texte selbst online ins Internet gestellt. Ausdruckbar. Der Sinn des von der Harry Fox Agency verkrüppelten Dienstes von Lyrics.ch blieb daher im Dunkeln: Entweder darf man als NMPA nun die Texte legal im Internet anbieten, oder man hat die Rechte dazu nicht. Oder man will einfach Leute ärgern, indem man zeigt, was man hat, aber dafür sorgt, dass niemand damit wirklich etwas anfangen kann, was nur dann Sinn machen würde, wenn die Texte zumindest gegen einen Obulus legal zu erstehen wären. Doch an Geschäften mit willigen Käufern ist die Musikindustrie bekanntlich auch beim MP3-Download nicht besonders interessiert. Inzwischen hat sie den Server deshalb auch wieder aufgegeben.

Nicht dagegen das rüde Vorgehen gegen Musikfans. Die Urheberrechtssituation zu Songtexten ist heute ja leider noch dieselbe wie 1999, aber nicht jeder war 1999 schon im Netz und weiß, dass auch der selbst aufgeschriebene Liedtext seines Lieblingsstücks ihm einen morgendlichen Polizeibesuch mit Hausdurchsuchung und Beschlagnahme der Computer oder eine teure Abmahnung einbrocken kann.

Es muss gestandenen Juristen mit langem Studium allerdings schon eine diebische Freude machen, von der drohenden Gefahr nichtsahnende Privatleute und insbesondere Schüler kräftig abzukochen – von Kanonen und Spatzen möchte man gar nicht mehr reden, so abgedroschen ist es. Und so rollt wieder einmal eine teure Abmahnwelle durchs Land: 1600 Euro werden Hunderte Male verlangt – und wenn mehr als ein Songtext auf der Website steht, dann werden diese 1600 Euro pro Songtext fällig! Tatsächlich kommt es billiger, mit einem unlizenzierten MP3 auf seiner Website erwischt zu werden als mit dem zugehörigen Songtext, der gleich mit 50.000 Euro Streitwert zu Buche schlägt.

Tja, statt so unnötigerweise etwas für die Bildung zu tun, aufwendige Webseiten zu basteln, diese mit Inhalten zu füllen und dabei bösartig Urheberrechte zu verletzen, könnten die Kids ja gefälligst etwas ihrem Alter Angemesseneres tun – wie S-Bahn-Sitze aufzuschlitzen oder Drogen zu nehmen