Ausweitung der Gentests geplant

Auch bei wiederholten Bagatelldelikten soll der genetische Fingerabdruck gespeichert werden – Befürworter sind damit noch nicht zufrieden

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Die Sicherheitspolitiker dürften mit dieser Woche höchst zufrieden sein. Am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht die GPS-Überwachung für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt (Keine Einschränkung für Überwacher). Nun dürfte ihnen die Bundesregierung einen weiteren sehnlichen Wunsch erfüllen. Die Schwelle zur Anwendung der DNA-Analyse (Reingespuckt, rausgefischt) solle erheblich gesenkt werden.

Ganz nach dem Wunsch der Sicherheitspolitiker und von Bundesinnenminister Schily sollen künftig Gentests auch bei Bagatelldelikten möglich sein, wenn Wiederholungsgefahr besteht. Das gilt dann als schwere Straftat. Die Grünen haben noch durchgesetzt, dass ein Richterentscheid vor einer DNA-Analyse erforderlich ist. Doch dieser Richtervorbehalt soll sogleich wieder eingeschränkt werden, wenn der Beschuldigte einem DNA-Test zustimmt, Gefahr im Verzuge ist oder die Täterspuren anonym sind.

Kritik an den Plänen kam bislang von zwei Seiten. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann, der auch schon den Castorgegnern in Gorleben mit Gentests drohte, sieht in dem Richtervorbehalt eine Bremse für die Polizeiarbeit und spricht sich dafür aus, den DNA-Test wie das Abnehmen von Fingerabdrücken ganz ins Ermessen der Polizei zu stellen. Der Vorsitzende der Anwaltsvereinigung Ulrich Schellenberg hingegen befürchtet, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht gewahrt ist. Die jetzigen Regelungen seien ausreichend und gäben den Strafverfolgungsbehörden genügend Mittel in die Hand. Er befürchtet besonders eine Stigmatisierung nach dem Motto: "Wer viele Ladendiebstähle in kurzer Zeit begeht, der wird Sexualstraftäter." Auch der FDP-Abgeordnete Alexander Ritzmann kritisierte das Vorhaben als "Anschlag auf die Bürgerrechte".

Bei der Diskussion um die Ausweitung der DNA-Tests haben sich schon in der Vergangenheit merkwürdige Zweckbündnisse ergeben. So gehörte Redakteurinnen der feministische Zeitung Emma zu den eifrigsten Vorkämpferinnen für die zügige Einführung der Gentests, die dort als Wunderwaffe gegen Täter angepriesen werden. Emma hofft, dass damit vor allem Sexualstraftaten, von denen in der großen Mehrheit Frauen betroffen sind, schneller aufgeklärt werden. Kritik an den neuen Fahndungsmethoden kommt hingegen von der Financal Times. "Schleichend" verringere sich der Datenschutz.

Befürworter der DNA-Tests erwähnen die hohe Trefferquote und die große Zuverlässigkeit. Mit Hilfe der bundesweiten Gendatenbank beim Bundeskriminalamt (BKA) seien seit dem Aufbau vor sechs Jahren rund 18.000 Straftaten aufgeklärt worden. Immer wenn besonders spektakuläre Kriminalfälle durch Gentests wie kürzlich im Fall Moshammer aufgeklärt wurden, wächst der Druck der Befürworter.

Die Befürworter einer schnellen Ausweitung verweisen zudem auf die Praxis in anderen Ländern. So hat die Niederlande vor einigen Jahren die Restriktionen bei Gentests weitgehend abgeschafft. Schon 1995 legalisiert Großbritannien als erstes europäisches Land eine nationale DNA-Datenbank für genetische Fingerabdrücke, die erkennungsdienstlich genauso behandelt werden wie herkömmliche Abdrücke. Inzwischen sind über 2 Millionen DNA-Profile gespeichert (Ein weiterer Schritt zu einer umfassenden nationalen Gendatenbank).

Doch schon fordern Sicherheitspolitiker die Ausweitung des DNA-Registers auf die Gesamtbevölkerung: "Nur so können Kriminelle effektiv verfolgt werden." Die Reaktion führender Unionspolitiker zeigt, dass auch bei uns die Debatte in eine ähnliche Richtung geht. Gefordert wurde auch bereits ein DNA-Test für Kinder (Kinder-DNA-Datei für "Klau-Kids"). Von da aus ist der Weg zu der schon lange immer einmal wieder geforderten DNA-Datenbank der Gesamtbevölkerung nicht mehr weit, für die der genetische Fingerabdruck bereits von jedem Neugeborenen prophylaktisch genommen wird.

Letztes Jahr hatte die britische Regierung diese Frage ("Should we build up a genetic profile of every newborn baby? Would it be useful? Would it be right?") der Human Genetics Commission gestellt. In dem eben veröffentlichten Gutachten wurde dies noch abgelehnt. Medizinisch könne es zwar in Zukunft möglicherweise von Vorteil sein, das genetische Profil eines jeden Bürgers zu haben, aber noch würden – neben technischen und finanziellen - ethische, legale und gesellschaftliche Gründe dagegen sprechen. Die Kommission empfahl jedoch, diese Frage in 5 Jahren erneut zu überprüfen.

Bedenken hatte die Kommission, dass Gentests schon bei Neugeborenen zu einer Stigmatisierung von Personen und dadurch zu einer Diskriminierung durch Versicherungen, Arbeitgeber oder Ausbilder führen könne. Überdies könnten die Daten auch von der Polizei für unzulässige Zwecke verwendet werden. Wichtig sei, vor der Einführung einer solchen umfassenden Datenbank jeden Missbrauch zu verhindern. Als problematisch wurde angesehen, ob bei Neugeborenen eine Einverständniserklärung der Eltern über die Durchführung eines Gentests und die Speicherung sowie Verwendung der genetischen Daten rechtlich überhaupt statthaft wäre. Ethisch sei es fragwürdig beispielsweise dann, wenn über den Gentest eine unheilbare Krankheit festgestellt wird.

Florian Rötzer