Kriegsvorbereitungen in Venezuela

Die linksnationale Regierung von Hugo Chávez opponiert gegen die US-Politik in Lateinamerika

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Das Verhältnis zwischen der venezolanischen Regierung und den USA verschlechtert sich zusehends. Nach einer Reihe verbaler Attacken aus Washington gingen ranghohe Vertreter der "bolivarianischen Revolution" während einer Großdemonstration aus Anlass des dritten Jahrestages der Niederschlagung eines Putschversuches gegen Präsident Hugo Chávez (Chávez wieder an der Macht) mit der Bush-Regierung Mitte der Woche hart ins Gericht.

Nachdem sich die rechten Oppositionsgruppen im Land weitgehend ins politische Abseits manövriert haben, so Vizepräsident José Vicente, sei US-Präsident George W. Bush als "letzter Oppositioneller" übrig. Auch Präsident Chávez hielt sich im Urteil über die USA nicht zurück:

Lateinamerika hat sich lange genug dem Freihandel und den neoliberalen Programmen Washingtons gebeugt. Nun ist es Zeit, ein neues Kapitel in der Geschichte aufzuschlagen.

Hugo Chávez am Mittwoch während der Gedenkveranstaltung zum Scheitern des Putsches

Doch nicht nur die politischen Differenzen haben zwischen beiden Regierungen zugenommen. Die venezolanische Staatsführung wirft den USA nach wie vor eine direkte Teilhabe an dem Putschversuch im April 2002 vor. Tatsächlich hatten sich Mitglieder der zivil-militärischen Junta kurz vor und während des Putsches mit Charles Shapiro, dem US-Botschafter in Caracas, getroffen (Die (nicht so) verdeckte US-Intervention in Venezuela). Weder von Shapiro noch von Washington sind diese Kontakte je aufgeklärt worden. Gerüchte ranken sich seit dem Putschversuch auch um die Präsenz mehrerer Kriegsschiffe der US-Marine vor den venezolanischen Gewässern. Venezuelas Regierung vermutet, dass von den Schiffen aus militärische Aufklärungsarbeit für die Putschisten geleistet wurde.

Hugo Chávez war am 11. April 2002 von rechten Militärs aus dem Präsidentenpalast Miraflores verschleppt worden. Wenig später übernahm eine Junta aus Militärs, Oppositionspolitikern und Vertretern von Unternehmerverbänden die Macht (Der zweite Sturz von Bolívar). Schon am 13. April wurde der Umsturz von regierungstreuen Militärs und spontanen Massenprotesten jedoch niedergerungen.

Radikalisierung der "bolivarianischen Revolution"

Die US-Regierung sieht sich in Venezuela gleich mehreren Problemen gegenüber. Zum einen hat sich die "bolivarianische Revolution" in den vergangenen Jahren zunehmend radikalisiert. Während Hugo Chávez nach seiner ersten Amtszeit Anfang 1998 noch den "dritten Weg" des britischen Premierministers Anthony Blair als Vorbild nannte, wird in Venezuela inzwischen die Entwicklung eines "Sozialismus für das 21. Jahrhundert" debattiert. Ein entsprechendes Konzept hatte Chávez während des vergangenen Sozialforums in Porto Alegre (Brasilien) vorgestellt.

Neben dieser politischen Entwicklung verfolgt die Chávez-Regierung zusehends eine eigenständige Erdölpolitik. Während der Veranstaltungen zum Jahrestag des Putschversuches etwa kündigte Chávez eine neue Besteuerung der transnationalen Konzerne an, die im Laufe der neunziger Jahre auf den venezolanischen Markt vorgedrungen sind. Nach Angaben der staatlichen Ölgesellschaft PdVSA bedeuten 16 der 33 Verträge aus dieser Zeit ein Verlustgeschäft für das Land, weil die ausländischen Privatkonzerne keine Steuern zahlen und weitere Vergünstigungen zugestanden bekommen haben. Venezuela hat die Privatisierungen und Marktliberalisierung im Erdölgeschäft als erster lateinamerikanischer Staat revidiert. Inzwischen werden entsprechende Schritte auch in Argentinien, Bolivien und Mexiko diskutiert.

Und schließlich treffen bei der US-Regierung die engen Kontakte Chávez' zur kubanischen Regierung auf Kritik. Beide Staaten haben ein Abkommen geschlossen, wonach Kuba Erdöl erhält und im Gegenzug Ärzte und Medikamente für die Sozialprogramme entsendet, die von der Chávez-Regierung für die Armenviertel des Landes ins Leben gerufen wurden. Auch organisieren beide Regierungen eine neue Politik gegen den US-dominierten Freihandel in der Region. Auf das US-Freihandelsabkommen ALCA, die "Gesamtamerikanische Freihandelszone", reagierte Chávez kurzerhand mit ALBA, einer "Bolivarianischen Allianz für Lateinamerika". Chávez Konzept setzt auf eine regionale Integration der lateinamerikanischen Staaten untereinander. Die USA würden "nur" als gleichberechtigter Handelspartner angenommen werden.

Rice: Venezuela "ein echtes Problem"

Es ist also wenig verwunderlich, dass sich die US-Regierung immer offener gegen die Entwicklung in Venezuela stellt. Nachdem Außenministerin Condoleezza Rice Kuba unlängst als "Vorposten der Tyrannei" bezeichnete, griff sie auch Venezuela an (Neue Spuren von einem entfernten Verwandten):

Er (Hugo Chávez) wird seine Kontakte zu Fidel Castro ausbauen, und ihm so eine letzte Chance geben, die politischen Geschicke Lateinamerikas zu beeinflussen.

Condoleezza Rice im Interview mit der Tageszeitung Pittsburgh Tribune

Gegenüber der Organisation Amerikanischer Staaten drängte die US-Außenministerin darauf, Chávez Einfluss einzudämmen. Es gehe darum, so Rice, "gegen Staatschefs vorzugehen, die nicht demokratisch regieren, auch wenn sie demokratisch gewählt wurden". Die Länder der Region sollten die venezolanische Regierung "überwachen und isolieren". Bislang blieben solche Aufrufe aber ohne Resultat. Ganz im Gegenteil stellte sich der brasilianische Präsident Luis Inacio da Silva bei einem Gipfelreffen vor wenigen Wochen offen hinter Chávez. Unterstützung für die "bolivarianische" Regierung gibt es auch aus Argentinien – und Spanien.

Aus dieser gestärkten Position heraus wurden von der Regierung in Caracas in den vergangenen Monaten eine Reihe zentraler Reformprojekte auf den Weg gebracht, unter anderem eine umfassende Landreform. Ein vergleichbares Projekt hatte 1954 – unter massiver Beteiligung der USA - zum Sturz der linksnationalistischen Regierung in Guatemala geführt. So konnte es dann auch nicht erstaunen, dass der amtierende CIA-Chef Porter Goss Venezuela unlängst als "potentiellen Arbeitschwerpunkt" in 2005 bezeichnete.

Reservisten und neue Waffen

Die venezolanische Regierung schließt inzwischen einen Militärschlag der USA gegen ihr Land nicht mehr aus. Auch wenn der Generalstabschef der USA, General Richard B. Myers, entsprechende Befürchtungen am vergangenen Montag in Bogotá als "absurd" abtat, rüstet Caracas auf. Nach dem Kauf) von 100.000 Schnellfeuergewehren, 44 Helikoptern und 50 Mig-29-Kampfflugzeugen in Russland wurde Ende März ein Rüstungsgeschäft mit Spanien unterzeichnet: ein Dutzend Transportflugzeuge und acht Patrouillenboote bestellte Chávez in Madrid.

Im Zentrum der militärischen Strategie Venezuelas aber steht die neue Militärdoktrin, die auf eine "asymmetrische Kriegsführung" fußt. Per definitionem wird dabei von "Kampfhandlungen mit einem technisch überlegenen Feind" ausgegangen. Das Reservistenheer von bisher 80.000 Soldaten wird in einem langfristig angelegten Ausbildungsprogramm derzeit auf eine Gesamtstärke von 1,5 Millionen ausgeweitet. 30.000 zusätzliche Reservesoldaten, Frauen und Männer, wurden bereits vereidigt. Außenminister Ali Rodríguez erklärte diese Strategie mit dem Umstand, dass seine Regierung die Kritik aus den USA ob ihrer Absurdität nicht im geringsten stören würde, "wenn nicht zahlreiche Erfahrungen belegten, dass entsprechenden Anschuldigungen früher oder später militärische Aktionen folgten".

Eben das ist mit (dem chilenischen Präsidenten Salvador) Allende geschehen, und das konnten wir in der Dominikanischen Republik, Guatemala und zahlreichen weiteren Staaten beobachten.

Außenminister Ali Rodriguez

Aus eben diesem Grund würde die venezolanische Regierung auch Informationen über Mordpläne gegen Chávez ernst nehmen. "Mordpläne gegen einen Präsidenten", so Rodríguez, "der in demokratischen Wahlen mehrmals bestätigt wurde".