Im Kampf gegen Feinstaub sind Langfriststrategien gefragt

Interview mit Michal Krzyzanowski vom Europäischen Zentrum für Umwelt und Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation

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Deutschland marschiert an der Spitze umweltfreundlicher Lebensweisen. So sehen es zumindest viele, wenn nicht gar die meisten Deutschen. Diese Ansicht wurde jedoch erschüttert, als vor kurzem die Diskussion über Feinstaub begann. Jetzt hat das Europäische Zentrum für Umwelt und Gesundheit des Europäischen Büros der Weltgesundheitsorganisation (WHO ECEH) Zahlen veröffentlicht, die aussagen, dass in Deutschland im Mittel 10,2 Lebensmonate ("month of life") für jeden Deutschen verloren gehen, verglichen mit im Durchschnitt nur 8,6 Lebensmonaten eines EU-Durchschnittsbürgers.

Die Europäische Richtlinie 1999/30/EC definierte Grenzwerte für Feinstaub-Konzentrationen. Sie trat Anfang des Jahres in Kraft, sechs Jahre, nachdem sie auf EU-Ebene beschlossen worden war. Allerdings startete die lebhafte Feinstaub-Diskussion in Deutschland erst, als mehrere deutsche Großstädte wie München und Stuttgart dabei waren, die definierten Grenzwerte zu überschreiten. Ganz offensichtlich waren die Kommunen auf die voraussehbare Situation schlecht vorbereitet.

Michal Krzyzanowski, WHO ECEH, Bonn Office. Foto: Chr. Gapp

Telepolis sprach mit Dr. Michal Krzyzanowski über die Risiken der Feinstaub-Belastung und die Zusammenarbeit zwischen der WHO und der Europäischen Kommission (European Commission, EC). Er leitet das Luftgüte-Programm am Bonner Büro von WHO ECEH.

Das Problem der Feinstaub-Luftverschmutzung hat die deutsche Öffentlichkeit völlig unvorbereitet getroffen. Seitdem haben sich viele unterschiedliche Experten zu Wort gemeldet und ihre eigene Sicht der Dinge der Welt mitgeteilt. Aber was genau ist die Rolle der WHO in Bezug auf die Luftverschmutzung und dabei die Rolle des Feinstaubs?

Michal Krzyzanowski: Aufgabe der WHO ist es, weltweit die Auswirkungen von Luftverschmutzung zu bewerten, Gesundheitsgefahren auszumachen und Risiken zu berechnen, ausgehend von den wissenschaftlichen Befunden über die Wirkung unterschiedlicher Gefahrenquellen. Wir veranstalten systematische Begutachtungen des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes und organisieren Expertenrunden. Feinstaub ist einer der wichtigsten Schadstoffe. Seine Auswirkungen in Europa wurden in dem WHO-Projekt Systematic Review of Health Aspects of Air Pollution in Europe untersucht.

Was sind Ihre persönlichen Verantwortlichkeiten und Aufgaben?

Michal Krzyzanowski: Beim Europäischen Zentrum für Umwelt und Gesundheit der WHO bin ich "Regional Adviser Air Quality". Diese Funktion ist im Bonner Büro von WHO ECEH angesiedelt. In den letzten Jahren habe ich Projekte zur systematischen Begutachtung der durch Luftverschmutzung verursachten gesundheitlichen Auswirkungen geleitet. Es war - und ist - weiterhin unsere Aufgabe, wissenschaftliche Bewertungen durchzuführen und darauf aufbauend Berichte zu erstellen, die sich an Entscheidungsträger wenden, aber ebenso an die Öffentlichkeit.

Es gibt keinen Belastungswert, unter dem Feinstaub harmlos ist

Welchen Effekt hat Feinstaub auf den menschlichen Körper?

Michal Krzyzanowski: Feinstaub wird meist durch zwei Kenngrößen beschrieben. PM 10 beschreibt alle Staubteilchen, die kleiner als 10 Mikrometer sind (PM, particulate matter). PM 2.5 beschreibt die Teilchen, deren Durchmesser kleiner ist als 2,5 Mikrometer. Die Europäische Feinstaub-Richtlinie, die Anfang des Jahres in Kraft getreten ist, basiert auf Messungen von PM 10. Je kleiner ein Staubpartikel ist, desto einfacher findet es Eingang in den menschlichen Körper und kann Schaden anrichten.

Feinstaub verursacht ein breites Spektrum an bekannten Auswirkungen auf die Gesundheit. Es beginnt mit leichten Auswirkungen wie der Verstärkung von Symptomen bei Erkrankungen der Atemwege. Die Entwicklung der Lunge kann bei Kindern beeinflusst werden und Feinstaub verschlimmert Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dies führt dann zu einem höheren Verbrauch an Medikamenten, zu häufigeren Arztbesuchen und mehr Krankenhausaufenthalten. In manchen Fällen manifestiert sich die Wirkung von Feinstaub in einer Zunahme der Sterbefälle, verursacht durch Lungen- und Atemwegserkrankungen.

Es ist wichtig zu betonen, dass die beschriebenen Auswirkungen bei allen Feinstaub-Konzentrationen beobachtet werden. Es gibt keinen Belastungswert, unter dem Feinstaub harmlos ist. Selbst in sauberen Umgebungen führt eine kleine Zunahme der Luftverschmutzung zum Anstieg von Krankheitssymptomen und Mortalität. Die größten Auswirkungen hat die Langzeitbelastung durch Luftverschmutzung, wie sie beispielsweise für Einwohner besteht, die in Stadtteilen mit hohem Verkehrsaufkommen wohnen. Einer großen amerikanischen Studie zufolge ist das Sterberisiko in stark verschmutzten Regionen der USA um 10-15% höher als in sauberen Gegenden des Landes.

Wie arbeiten die WHO und die Europäische Kommission zusammen?

Michal Krzyzanowski: Aufbauend auf den Bewertungen des wissenschaftlichen Kenntnisstandes erstellt die WHO Leitfäden zum Thema der Luftgüte. Diese werden dann von den Mitgliedsländern der WHO dazu benutzt, ihre Politik zu gestalten und Luftgüte-Standards zu definieren. Die WHO stellt eine unabhängige Bewertung der durch Luftverschmutzung verursachten Gesundheitsschäden zur Verfügung. Die Europäische Union nutzt diese Informationen, um Standards zu setzen und Richtlinien und Grenzwerte zu definieren.

Viele Deutsche sind davon überzeugt, dass Deutschland an der Spitze umweltgerechten Verhaltens in Technik und Politik marschiert. Warum ist dann jedoch die Feinstaub-Situation hier schlechter, als in anderen Ländern?

Michal Krzyzanowski: Im europäischen Durchschnitt ist Feinstaub für einen Lebenszeitverlust von 8,6 Monaten pro europäischem Bürger verantwortlich. In Deutschland liegt dieser Wert jedoch bei 10,2 Monaten, ermittelt für das Jahr 2000. Die genauen gesundheitlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung hängen von der Belastung der Bevölkerung ab. Hier spielen eine Reihe komplexer Faktoren eine Rolle. Emissionen sind meistens mit dem Verkehrsaufkommen und industriellen Aktivitäten in Zusammenhang zu bringen. Allerdings spielen auch geografische und klimatische Gegebenheiten eine Rolle. Einerseits werden so Schadstoffe, die in einem bestimmten Gebiet erzeugt werden, in andere Regionen getragen. Andererseits kommen Schadstoffe von außen in das betreffende Gebiet. Dies weist darauf hin, wie wichtig die internationale Zusammenarbeit ist.

Deutschland ist dicht besiedelt und hat ein hohes Verkehrsaufkommen. Daher sind der Luftverschmutzung zuzuschreibende Gesundheitsgefahren in manchen Gebieten sehr hoch, allerdings nicht überall.

Zigaretten und natürliche Quellen wie Pollenflug tragen auch zum Feinstaub bei. Das darf jedoch nicht dazu führen, vom Straßenverkehr abzulenken. Foto: Chr. Gapp

Jede Langzeitstrategie muss andere Arten des Transports mit berücksichtigen

In der gegenwärtigen Diskussion dominieren vor allem das Thema Dieselfahrzeuge und Partikelfilter. Allerdings ist PM-10-Feinstaub eine Mischung aus ganz unterschiedlichen Bestandteilen, nicht nur Dieselruß, sondern auch natürliche Stäube und, ganz besonders jetzt im Frühling, Pollen. Ist es denn dann überhaupt angebracht, den Dieselfahrzeugen und dem Straßenverkehr eine so hohe Aufmerksamkeit zu schenken? Ist nicht auch das Rauchen viel schädlicher?

Michal Krzyzanowski: Ein Drittel der Partikelemissionen wird vom Straßenverkehr verursacht. Er hat wahrscheinlich einen ähnlich hohen Anteil bei der Belastung der Bevölkerung. Die Faktenlage bezüglich der gefährlichen Eigenschaften von Dieselabgasen ist vergleichsweise gut entwickelt, was unser Überzeugung darin bestärkt, einen großen Teil der Einflüsse auf die Gesundheit dieser Art von Umweltverschmutzung zuzuschreiben.

Das Rauchen und Dieselabgase können nicht verglichen werden. Die Einflüsse auf die Gesundheit durch das aktive Rauchen sind natürlich bedeutend, weil ein Raucher den Zigarettenqualm inhaliert. Die völlige Abschaffung des Rauchens ist, nebenbei bemerkt, ein erklärtes Ziel der WHO.

Stadtverwaltungen sind derzeit auf der Suche nach kurzfristigen Lösungen wie den Einbau von Partikelfiltern oder der zeitweiligen Schließung bestimmter Straßen für LKWs. Reicht das aus?

Michal Krzyzanowski: Die Schließung von bestimmten Straßen kann in bestimmten Gebieten einen schnell feststellbaren Effekt bewirken. Wenn der Verkehr aber nur umgeleitet wird, dann werden die Schadstoffe jedoch nur weiter verteilt. Die Gesamtmenge an Schadstoffen kann sogar steigen, dann nämlich, wenn durch die Schließung längere Umwege anfallen. Das wiederum bedeutet, dass noch mehr Anwohner betroffen sind. Weil, wie wir eben gesehen haben, es keinen unbedenklichen unteren Grenzwert für die Feinstaub-Konzentration gibt, bleiben die Einflüsse auf die Gesundheit insgesamt gesehen gleich oder sie steigen sogar an.

Demgegenüber trägt der Einbau von Partikelfiltern zu einer langfristigen Lösung bei. Derzeit ist die Marktdurchdringung mit dieser Technologie noch niedrig, und sie wird nur langsam steigen. So wird ihr Effekt auf die Luftverschmutzung einige Jahre auf sich warten lassen. In einem gewissen Ausmaß besteht sogar die Gefahr, dass die positiven Impulse dieser Technologie durch ein weiter steigendes Verkehrsaufkommen kompensiert werden. Es reicht somit nicht aus, auf verbesserte Technologien zu setzten, wie beispielsweise effizientere Motoren. Jede Langzeitstrategie muss andere Arten des Transports mit berücksichtigen.

Wie kann die öffentliche Aufmerksamkeit für die Durchführung von Langzeitstrategien wach gehalten werden?

Michal Krzyzanowski: Die Öffentlichkeit muss in Echtzeit über die lokale Luftgüte informiert werden, damit das Kurzfristverhalten der Menschen beeinflusst werden kann. Dies sollte möglich sein, da ja im Rahmen der Inkraftsetzung der Feinstaub-Richtlinie Messstationen zur Bestimmung der Luftverschmutzung in Städten weit verbreitet sind. Weiterhin müssen die Langzeitergebnisse von konkreten Aktionen für jedermann zugänglich sein, von der allgemeinen Öffentlichkeit bis zu den Entscheidungsträgern. Die WHO setzt hier vor allem auf die Verwendung von zentralen Indikatoren (Kennzahlen), die helfen werden, Verfahren zu bewerten. Dies wird auch ein Teil des EC-Reportings sein, das in Bonn bei WHO ECEH entwickelt wird.

(Das Interview wurde in englischer Sprache geführt.)