2004: Starker Anstieg der Terroranschläge

Nach Zahlen, die das US-Außenministerium nicht im jährlichen Bericht über den globalen Terrorismus veröffentlichen will, aber Kongressabgeordneten mitteilen musste, hat der Krieg gegen den Terror bislang zu mehr Terror geführt

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Vor kurzem war bekannt geworden, dass das US-Außenministerium den jährlichen Bericht Patterns of Global Terrorism an den Kongress nicht erstellen will. Dafür gebe es einen anderen Bericht über den globalen Terrorismus, der jedoch keine Statistiken enthalten wird. Angeblich sollen die Zahlen vom National Counterterrorism Center (NCTC) veröffentlicht werden, John Negroponte, der neue Geheimdienstzar, hat aber noch keine Entscheidung darüber getroffen. Außenministerium und Geheimdienste schieben also das Problem hin und her. Vermutungen gingen dahin, dass US-Außenministerin Rice wegen der für die Regierung ungünstigen Zahlen die Veröffentlichung gestoppt habe (Lieber keine Zahlen vom "Erfolg" im US-Krieg gegen den globalen Terrorismus). Der stets rührige demokratische Abgeordnete Henry Waxman hat nun, nachdem eine Gruppe von Kongressmitgliedern intern über den Bericht informiert wurde, scharfe Kritik geäußert.

Nach den Zahlen, die von Mitarbeitern des Außenministeriums und des National Counterterrorism Center (NCTC) nach heftiger Kritik aus dem Kongress nun doch bei einem Treffen hinter verschlossenen Türen "for official use only" mitgeteilt wurden, ist ein starker Anstieg von Terroranschlägen im Jahr 2004 zu verzeichnen. Schon letztes Jahr musste der Bericht für das Jahr 2003, nachdem man sich angeblich zugunsten der US-Regierung nur verrechnet hatte, umgeschrieben und ein Anstieg der Anschläge eingeräumt werden. 2004 hätten sich nach Zählung des Außenministeriums 655 "schwere" Anschläge ereignet. 2003 waren es noch 175, allerdings war dies auch schon ein Rekord. Die Mitarbeiter des Außenministeriums sprachen selbst, wie Waxman von dem Treffen berichtet, von einem "dramatischen Anstieg". Zur etwas hilflosen Rechtfertigung, warum die Zahlen nicht veröffentlicht werden sollten, hatte Karen Aguilar, Leiterin der Antiterror-Abteilung im Außenministerium gesagt, dass sie für den Bericht nicht wichtig seien.

Wie nicht anders zu erwarten, stieg die Zahl der "schweren" Anschläge im Irak drastisch von 22 im Jahr 2003 auf 198 an. Das sind mehr, als es 2003 weltweit Terroranschläge gegeben hat. Wie viele Anschläge es insgesamt waren, wurde nicht mitgeteilt. Überdies lassen sich die Zahlen kaum unabhängig verifizieren. Die Zunahme auf das Neunfache zeigt, dass der Irak zu einer Brutstätte des Terrors geworden ist. Hier wird eine neue Generation von Terroristen ausgebildet und exportiert, wie selbst US-Geheimdienste erklärten (Irak wurde zum Rekrutierungsplatz für "urbane Terroristen"). In das Land wurde nach dem Sturz des Diktators durch die Besatzung der Terrorismus importiert, unter anderem auch aus Afghanistan. Auch dort verdoppelten sich die Anschläge gegenüber dem Vorjahr auf 27.

Die Mitarbeiter des Außenministeriums führten, so Waxman, den scharfen Anstieg der Terroranschläge darauf zurück, dass diese nun weltweit genauer beobachtet und registriert werden. Da man besonders aufmerksam Meldungen in Zeitungen, Fernsehsendern und anderen Medien nach Hinweisen auf Terroranschläge durchsucht habe, sei der starke Anstieg vor allem auf die wachsende Zahl der Anschläge in Indien und Pakistan im Hinblick auf Kaschmir zurückzuführen. Zieht man diese aber ab, so bleiben immer noch, wie Waxman entgegnet, 350 "schwere" Anschläge übrig, was einer Verdopplung gegenüber 2003 entspräche.

Waxman äußert in einem Brief vom 26. April an Außenministerin Rice aber auch die Vermutung, dass die Zahl der Anschläge weit höher gewesen sein könne. Das Außenministerium habe nach Auskunft der Mitarbeiter zahlreiche Anschläge von Aufständischen im Irak nicht einbezogen, wenn es nur irakische Opfer gab oder sie gegen die US-Streitkräfte gerichtet waren. Auch wurden über 100 Anschläge von "ausländischen Terrororganisationen" nicht mitgezählt, weil sie nicht als "internationale" Angriffe bewertet wurden.

Viele Vorfälle, die die meisten Amerikaner als Terroranschläge betrachten würden, wurden von der Erfassung ausgeschlossen, weil sie nicht der engen Definition eines internationalen Terroranschlags des Außenministeriums entsprechen.

Ob die vom Außenministerium angegeben Zahlen also überhaupt einigermaßen verlässlich und wie aussagefähig sie sind, muss dahin gestellt bleiben. Die Mitarbeiter des Außenministeriums und des NCTC betonten freilich, dass es die bislang exaktesten Zahlen seien und man viel Zeit, Personal und Geld zu deren Erhebung investiert habe. Waxman kritisiert weiterhin, dass das Außenministerium nicht wie sonst üblich die Zahl der Getöteten und Verletzten nennt.

Waxman legt Rice in seinem Brief nahe, dem Beispiel ihres Vorgänger Powell zu folgen, der den Bericht mit den falschen Zahlen im letzten Jahr nach einer Diskussion mit Kongressabgeordneten berichtigt habe. Das sei auch wichtig, weil Mitglieder der US-Regierung die Zahlen als "großen Fortschritt im Kampf gegen den Terrorismus" bezeichnet hatten.

Ich fordere Sie auf, dem Beispiel von Minister Powell zu folgen. Die große Zunahme von Terroranschlägen, die für 2004 berichtet wurde, kann die Behauptungen der Regierung über den Erfolg im Krieg gegen den Terror widerlegen, aber politische Unannehmlichkeiten waren noch nie eine legitime Grundlage für das Zurückhalten von Fakten vor dem amerikanischen Volk.