Wo Cowboys erschaudern

Darf George W. mit Abdullah Händchen halten?

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"Warum hassen sie uns?" Keine andere Frage beschäftigte die amerikanische Öffentlichkeit nach den Anschlägen auf das World Trade Center so sehr wie diese. Die Regierung versuchte ihr mit allen Mitteln auf den Grund zu gehen. Entsandte zunächst Hunderttausend Friedensforscher in jene Länder, wo man den Hass bei der Wurzel zu fassen versuchte, investierte Millionen Dollars in "Public Diplomacy", um das Image zu verbessern und scheiterte bislang. Weder die "Enduring Freedom"-Mission, noch die "Iraqi Liberation"-Mission, noch al-Hurra brachten die entscheidende Wende. Um die Beliebtheit der Amerikaner, insbesondere ihrer Regierung, in der arabischen Bevölkerung ist es, wie Umfragergebnisse seit nun schon mehreren Jahren zeigen, noch immer schlecht bestellt. Jetzt hat der Boss die Sache selbst in die Hand genommen.

Die Mission, der Terror und die Liebe zum Nächsten: George W. Bush nimmt die Sache ernst. Und bleibt cool. Eine gewisse Würde ist ihm nicht abzusprechen, auch wenn es seine Landsleute oft anders sehen wollen

Von Robert de Niro wird gerne gesagt, dass egal, wen er spielt, ob einen weinenden Mafiosi oder einen Familienvater im Hobbykeller, seine Figuren immer Würde ausstrahlen. Das Gleiche kann man nun auch vom amerikanischen Präsidenten behaupten. Er hatte in letzter Zeit mehrere "major performances" und hat sie auf eine Weise über die Bühne gebracht, die an Coolness kaum zu überbieten sind. Keiner beherrschte bei der Trauerzeremonie des verstorbenen Papstes den komplizierten katholischen Gefühlsakt zwischen frommer Überwältigung und gleichzeitiger Ablenkung durch die Grandezza der theatralischen Umgebung so gut wie George W. Bush. Sein Gesicht dokumentierte Ergriffenheit und gleichzeitig große Neugier für den römischen Himmel, den Sarg und die große Menge am Petersplatz.

Und dann der Auftritt vorgestern: Der Präsident hält mit leicht verlegener Miene, aber unbeirrbar die Hand eines Tyrannen aus dem Morgenland. Und gestern zeigte er seinen Landsleuten, die sich schon lange nicht mehr um die Farben (vgl. Orange Alert) kümmern, welche den Status der Terrorbedrohung ihres Landes anzeigen, wie ernst er selbst harmlose Warnungen nimmt und verschanzte sich in seinen Bunker, nachdem der Radar einen Vogelschwarm über dem Weißen Haus gemeldet hatte. Wie informierte Kreise mitteilten, hörte der Präsident auf seinem Ipod Songs von Musikern, die ihn hassen, das sollen sogar seine Lieblingslieder sein (vgl. "Zeig mir Deinen Ipod – und ich sage Dir, was Du für einer bist!"). Wie cool ist das denn?

Allerdings, man weiß es längst, die USA sind in zwei große Lager gespalten. Nicht jeder fand den Akt mit dem 81jährigen Abdullah aus Saudi-Arabien "appropriate". Das offizielle Amerika tut sich nicht leicht mit körperlichen Zuneigungsbeweisen: Darf der Führer der freien Welt Händchen haltend mit dem bösen Diktator, aus dessen Reich 15 der 19 Attentäter des 11.September stammen, der Islamisten in aller Welt finanziert, in Parks herumspazieren - wie ein "fucking Turteltaube"? fragt sich etwa ein Blogger des amerikanischen Magazins "Reason".

Der Late-Night-Comedian Jay Leno führte den Spaziergang des ungleichen Paares in Zeitlupe vor und untermalte den Clip musikalisch mit "Up Where We Belong". Die Reaktionen aus dem konservativen Herzland der Vereinigten Staaten stehen noch aus, aber die Neocon-Postille New York Post fasste die vermutete Tendenz schon mal in einem griffigen Satz zusammen:

Cowboys all across the Lone Star state must be shuddering

Die Blogosphäre musste sich demgegenüber aufgeklärter und progressiver geben. Natürlich stecke in all dem Spott über den Händchen haltenden Staatschef ein beträchtliches Maß an verurteilenswerter Homophobie wurde angemahnt, um aber ein paar Absätze weiter dennoch ein großes "Aber" zu statuieren:

Ich gebe nicht viel darauf, wie die saudischen Traditionen aussehen. Wenn es dort für Staatsoberhäupter Brauch ist, das Essen zu löffeln und Wasserpfeifen zu rauchen und wir beschließen, dass wir uns als Gäste anpassen, dann ist mir das egal. Aber sollte unser Präsident die Gepflogenheiten bestimmen, wenn er als Gast nach Saudi-Arabien reist? Wie zum Beispiel unverschleierten Frauen die Hand zu geben und mit ihnen öffentlich zu plaudern? Zu tanzen?
Und ich frage mich, welche Wirkung diese Turteltauben-Bilder tatsächlich auf die Dschihad-Sympathisanten in der arabischen Welt haben. Oh, nein wartet, ich frage mich das nicht.

Justin Logan, Mitglied des Cato-Instituts

Natürlich werden auch die nahe liegenden pragmatischen Gründe genannt, wofür Nummer 43 seine Hand ins Feuer legte, fürs Öl natürlich. Das war kein Händchenhalten, wird eine Anruferin bei CNN zitiert, der Präsident quetschte vielmehr die Hand des Kronprinzen, um den Ölpreis zu drücken. Oder vielleicht war es doch Nächstenliebe und coole, reaktionsschnelle Geistesgegenwart, die es dem sportlichen George W. ermöglichte, den alterschwachen Abdullah vor einem Sturz zu bewahren. Cooler Einsatz auf jeden Fall, weitermachen!