Überwachungskameras zur Verhaltenserkennung

Der nächste Schritt ...

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Daß sich Überwachungskameras überall ausbreiten, scheint ein Prozeß zu sein, der nicht mehr aufzuhalten ist. Wir haben uns mittlerweile daran gewöhnt, auf öffentlichen Plätzen, in U-Bahn-Stationen oder Flughäfen, an Bankschaltern, in Kaufhäusern oder Supermärkten, im Eingangsbereich von Gebäuden oder wo auch immer mit dem starren Auge konfrontiert zu sein, das uns mustert. Manche, vor allem Angehörige des weiblichen Geschlechts, setzen sich in ihren privaten Räumen den Kameras aus und lassen alle bei ihrem Alltag zusehen. Auch zur Überwachung der BetreuerInnen der Kinder Zuhause oder in den Kindergärten werden sie bereits eingesetzt. Aber bislang sind die Kameras meist noch dumm. Ihre Bilder müssen, abgesehen von der Möglichkeit, etwa Gesichter oder die Augen zu identifizieren, von Menschen interpretiert werden.

Continuous surveillance and monitoring in battlefield and urban environments is becoming feasible due to the easy availability and lowered costs of video sensors. Such sensors may be deployed on stationary platforms, be mounted on mobile ground vehicle, or be airborne on board Unmanned Air Vehicles (UAVs). While the multiplicity of such sensors would permit close surveillance and monitoring, it is difficult to do so by relying on purely manual, human resources. Not only would the cost of humans observing sequences from these multiple sensors be prohibitive, but unaided humans may have difficulty remaining focused on the tasks. Typically, long periods may pass before any event of interest takes place; it is easy for human attention to wander in such a situation, and significant events may be missed.

Video Surveillance and Monitoring (VSAM an der University of California

Stellen Sie sich vor, Sie gehen in ein Kaufhaus und schauen sich um. Oder Sie gehen auf den Parkplatz, wo Sie Ihren Wagen abgestellt haben. Oder vielleicht schlendern Sie auch nur über einen Platz. Plötzlich kommt die Polizei oder ein privater Sicherheitsdienst und unterstellt, Sie hätten gerade irgendeine Ware entwenden, ein Auto stehlen wollen oder nach einem Streit gesucht. Sie haben nicht bemerkt, daß eine Videokamera Ihre Bewegungen aufgezeichnet und nach verdächtigen Verhaltensmustern analysiert hat. Vielleicht waren Sie nur unschlüssig, ein wenig verwirrt, haben sich zu viel umgesehen. Auf jeden Fall war es verdächtig.

Das nächste Mal werden Sie sich genau umsehen, ob Sie eine Kamera entdecken, und vielleicht versuchen, sofern Sie eine ausgemacht haben, sich möglichst unauffällig zu verhalten, um nicht wieder in Verdacht zu geraten. Möglicherweise ist aber gerade das wieder die Ursache, daß Sie verkrampft sind und prompt den nächsten Alarm auslösen. Ganz vermeiden werden Sie die Orte nicht können, an denen Videokameras installiert sind, denen es sich nicht ansehen läßt, ob sie "intelligent" sind. Die Ausbildung einer Paranoia mag die Folge sein - oder ein desto besser internalisiertes Über-Ich, das alles präventiv überwacht und normalisiert. Wehe dem, der aus der Reihe fällt.

In Großbritannien, wo es bereits 200000 Überwachungskameras gibt und jede Woche an die 500 neue dazukommen, wird gerade von der Polizei ein neues Überwachungssystem getestet, das angeblich dazu in der Lage ist, Autodiebe zu erkennen, bevor sie ihre Tat begehen. Man verfolge die technischen Entwicklungen mit Interesse, sofern sie die Leistung der Aufgaben der Polizei effektiver werden lassen.

Entwickelt wurde das System von der University of Leeds gemeinsam mit der University of Reading unter der Leitung von David Hogg. Es "lernt" das von einer Videokamera aufgezeichnete "normale" Verhalten auf Parkplätzen oder Supermärkten von "verdächtigem" Verhalten zu unterscheiden und löst einen Alarm aus, wenn jemand sich auffällig verhält. "Wir wissen aufgrund der Beobachtung von menschlichen Verhaltensmustern", beteuert Hogg, "daß bei Dieben, wenn sie in ein ein Geschäft mit der Absicht zu stehlen gehen, sogar ihr Betreten des Geschäftes ungewöhnlich ist und daß das System dies bemerken wird." Man könne damit auch Terroristen erkennen, die irgendwo eine Bombe oder eine biologische Waffe plazieren - oder vielleicht nur einen Ort finden wollen, wo sie unbemerkt pinkeln können. Mit neuen Algorithmen werden von diesem System angeblich Zufälle ausgeschaltet, wie sie durch schlechte Beleuchtung, Schatten oder andere Störungen entstehen, und können Bewegungen von Menschen und Fahrzeugen vorhergesagt werden. Ausgereift werde das System aber erst in ein paar Jahren sein. Solange haben wir wenigstens noch Zeit, uns so zu verhalten, wie wir das eben tun.

In England ist es heute schwierig, eine Straße entlangzugehen, ohne vom elektronischen Auge erfaßt zu werden. Eine Generation ist herangewachsen, die die Rolle der closed-circuit Videokameras akzeptiert. Wir haben keine Angst vor einer Orwellschen Zukunft. Big Brother ist schon da, und wir lieben ihn.

Robert Poole und Derek Williams

Die zunehmende Überwachung von öffentlichen Plätzen ist möglicherweise eine gutes Mittel, indirekt den Einstieg in die Informationsgesellschaft weiter zu beschleunigen. Es findet ein Wettkampf zwischen Überwachung und Wunsch nach Privatheit statt. Vielleicht werden bald nicht-überwachte Orte angeboten, ansonsten werden wir mehr und mehr, sofern wir uns vor Überwachung und "Abhören" sicher glauben, von Zuhause aus im Cyberspace die notwendigen Dinge erledigen, um etwaige Fehlalarme zu vermeiden. Ganz allgemein werden wir uns angewöhnen, ja nicht auffällig zu erscheinen und möglichst ein konformes Verhalten zu zeigen, auch wenn wir gleich einen Diebstahl oder einen Anschlag begehen wollen. Aber vielleicht wird man ja bald auch aus der Ferne die Aktivität in unserem Gehirn scannen können, um Ungewöhnliches schon im Ansatz zu erfassen, weswegen wir stets einen Störsender mit uns herumtragen, dessen Existenz dann wieder registriert werden kann und uns ebenso verdächtig macht, wie wenn wir eine verschlüsselte EMail versenden.

Videoüberwachung ist auf überwältigende Weise populär. Die Menschen wollen sie in ihrer Stadt, weil sie ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt, die Kriminalität reduziert und ihnen wieder Lust auf ihre Straßen macht.

Der britische Innenminister Howard 1996

Aufpassen muß man demnächst auch auf Polizisten. HIS (Helmet Integrated Systems) hat einen Helm entwickelt, auf dem sich eine winzige, kaum bemerkbare Videokamera mit einem Weitwinkelobjektiv befindet, die aufnimmt, was der Polizist sieht, oder es zur nächsten Polizeistation überträgt. Zusätzlich läßt sich Ton mit einem winzigen, aber leistungsstarken Mikrofon aufnehmen. An- und Ausschalten kann der Polizist das System durch einen Schalter, den er wie einen Ring am Finger trägt. In England wird das System zunächst bei Polizisten auf Pferden getestet, weil die sich höher befinden und besser sehen können. Eingesetzt werden soll es etwa bei Fußballspielen oder Unruhen, also dort, wo Menschenmassen kontrolliert werden. So lassen sich Unruhestifter gleich mit Beweismaterial festnehmen, das vom Gericht anerkannt wird.

Aber auch deutsche Forscher halten im Rennen um den Ausbau der Überwachung mit. Ein Beispiel ist der "PersonSpotter" zur Gesichtserkennung, der unter der Leitung von Prof. Dr. Christoph von der Malsburg und Dr. Hartmut Neven (Institut für Neuroinformatik der RUB und University of Southern California) entwickelt wurde. Mit ihm lassen sich auch in bewegten Szenen einzelne Gesichter automatisch identifizieren. Das Programm hat sich kürzlich in einem Wettbewerb der Army Research Laboratories als das bislang beste Gesichtserkennungsprogramm erwiesen. Mithilfe eines plastischen Netzes werden Gesichter auf einem Videobild analysiert. Dabei kommt es nicht auf Einzelheiten an, sondern die Gesamtheit der Maßpunkte ermöglicht die Erkennung.

"PersonSpotter" sucht nach Gesichtern in Videosequenzen und vergleicht sie mit anderen, die in einer Datenbank gespeichert sind. Zwölf Videobilder können pro Sekunde abgetastet und bis zu acht Personen pro Minute erkannt werden. Auch unter den schwierigen Bedingungen von Realsituationen könne "PersonSpotter" zuverlässig eingesetzt werden. "PersonSpotter" kann auch aus bewegten Menschenmengen und in chaotischen Umgebungen Gesichter erkennen und identifizieren, in gewissen Grenzen selbst dann, wenn das Gesicht durch Bart, Brille oder Haarschnitt verändert wurde. Mit der Software "Mugspot" werden Köpfe aus den Videobildern herausgeholt und dann solange verfolgt, bis sie den Aufnahmebereich der Kamera verlassen, um die "beste" Ansicht des Gesichts zu erhalten, das dann zum Programm für die Gesichtserkennung weitergeleitet wird. Das System kann auch Handgesten und Gesichtsausdrücke interpretieren oder eine demographische Analyse der Menschen im Kamerabereich nach Rasse, Geschlecht oder Alter vornehmen.

Christoph von der Malsburg sagt, daß man dieses Echtzeit-Überwachungssystem dauerhaft an bestimmten Orten wie Flughäfen, Busstationen, Straßenkreuzungen oder Banken anbringen könne, um nach flüchtigen oder bekannten Straftätern zu fahnden. Interesse gäbe es für das System auch, so Neven, beim Einsatz an Geldautomaten, in Hotels, Geschäften oder Wohnbereichen. Natürlich könnte das System auch verwendet werden, um den Blick und den Gesichtsausdruck eines Benutzers vor einem PC zu folgen und zu interpretieren, wodurch nach von der Malsburg eine engere und persönlichere Beziehung zwischen Mensch und Computer entstehen könnte. Bis Mitte 1998 will man so weit sein, daß man das Programm auf den Markt bringen kann. Siemens entwickelt dafür einen speziellen Chip, und es soll dann auch auf einem PC laufen können.

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