Jenseits von Geld und Information

Zur Ökonomie der Aufmerksamkeit

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zwei Tendenzen beherrschen die Wahrnehmung des aktuellen Wandels der Gesellschaft. Es sind die fortschreitende Ökonomisierung des Gesellschaftsprozesses und die Entmaterialisierung der wirtschaftlichen Wertschöpfung. Ökonomische Begriffe und Modelle bestimmen immer deutlicher das Bild der sozialen und politischen Verhältnisse unserer Gesellschaft. Mit der ökonomischen Durchrationalisierung einher geht der Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft. Die Wissensproduktion beerbt die Führungsrolle der Schwerindustrie, Datenströme ersetzen Güterströme, neue Medien verdrängen alte Marktplätze.

Ironischerweise tut sich die Wissenschaft der Ökonomie schwer mit dem Bedeutungsverlust des Materiellen. Wohl gibt es eine Disziplin der theoretischen Ökonomie, die sich Informationsökonomie nennt. Die Informationsökonomie handelt aber nicht vom Wandel der Industrie- zur Informationsgesellschaft. Sie handelt von den Vorzügen des Informiertseins und den Kosten, die es sich lohnt dafür einzugehen. Sie handelt, anders gesagt, von Information als knappem Gut und kostspieligem Produkt. Charakteristisch für die Informationsgesellschaft ist nun aber gerade nicht, daß Information einen besonderen Wert annähme. Charakteristisch ist vielmehr deren nicht mehr zu bewältigende Flut. Zum Engpaß wird die Kapazität zur Verarbeitung der Reize beziehungsweise Signale. Charakteristisch hohe Kosten verursacht die Selektion aus der Flut.

Die Schwierigkeiten, die die ökonomische Theorie mit der Ökonomie des Immateriellen hat, gehen auf zwei Ursachen zurück. Erstens verfügt die theoretische Ökonomie über keinen Begriff für die wichtigste Ressource der Informationsverarbeitung. Zweitens verfügt sie über kein Maß für Information in derjenigen Bedeutung, auf die es in der Ökonomie ankommt.

Informationsökonomie

Information ist nichts Festes und Fertiges, sondern der Neuigkeitswert, den wir aus Reizen ziehen. Der Neuigkeitswert, den wir aus Reizen ziehen, kann sich auf das Reizmuster als solches oder auch darauf beziehen, was das Muster bedeutet. Der Neuigkeitswert des Musters als solchen kann als die (Un-) Wahrscheinlichkeit seines Auftauchens in einem zufallsgesteuerten Fluß von Signalen gemessen werden. Der Neuigkeitswert von Mustern, die etwas bedeuten, ist schwieriger zu messen. Seine Messung verlangt die Einbeziehung der Instanz, die die Bedeutung versteht.

Der Neuigkeitswert bedeutungsloser Muster heißt syntaktische Information. Der Neuigkeitswert von Mustern, die sich auf etwas anderes beziehen, heißt semantische beziehungsweise pragmatische Information. Ökonomisch von Belang ist nur semantische und - vor allem - pragmatische Information. Der ökonomische Wert von Information hängt von der Befriedigung ab, die das Verständnis stiftet, und von den Handlungsmögichkeiten, die es aufschließt.

Niemand weiß genau, wie das Verstehen semantischer Bedeutung und pragmatischen Sinns funktioniert. Gewiß ist jedoch, daß jeder Akt des Verstehens Ressouren in Anspruch nimmt, die alternativ zu verwenden wären. Die Aktivität des Verstehens kostet Zeit und Energie. Diese Zeit und Energie sind nicht vermehrbar. Sie können lediglich mehr oder weniger effektiv verwendet werden. Sie werden aber zwangsläufig um so knapper, je höher die Flut der Information, die uns reizt oder zugemutet wird, steigt.

Nicht die Information, sondern diese Ressourcen sind der Schlüssel zum Verständnis der Informationsökonomie. Es ist die Ökonomisierung dieser Ressourcen, durch die sich die Durchrationalisierung immer weiterer Lebensbereiche bei gleichzeitiger Entmaterialisierung der wirtschaftlichen Wertschöpfung vollzieht. Eigenartigerweise hat die theoretische Ökonomie für diese Ressourcen nun aber keinen einheitlichen, geschweige denn terminologisch ausgefeilten Begriff.

Gleichwohl existiert ein reiches Repertoire von Mittel und Methoden, um den Wirkungsgrad der Zeit und Energie zu steigern, die die Er- und Verarbeitung bedeutsamer Information in Anspruch nimmt. Das Spektrum reicht von der Sprache über die Mathematik bis hin zur informationstechnischen Bewaffnung unserer Verstandeskräfte. Die gezielte Steigerung des Wirkungsgrads dieser Techniken und die Entwicklung spezifischer Energiespartechniken der Informationsverarbeitung lassen von etwas wie Informationsökonomie erst reden.

Die Informationsgesellschaft ist diejenige Gesellschaft, in der die Techniken zur Steigerung des Wirkungsgrads geistiger Energie wichtiger geworden sind als diejenigen zur Steigerung des Wirkungsgrads physischer Energie. Nicht von ungefähr wird die Informations- auch als Wissensgesellschaft angesprochen. Bis heute fehlt indes eine ökonomische Theorie der Wissensproduktion. Es existiert weder eine Theorie der Denkökonomie noch eine der Mechanisierung geistiger Arbeit.

Die ökonomische Theorie verfügt noch nicht einmal über ein Maß für den Output der Basisindustrie der Wissensgesellschaft, nämlich des wissenschaftlichen Forschungsbetriebs. Worin besteht der Wert wissenschaftlicher Information? Wie wird er gemessen? Gibt es einen Markt für wissenschaftliche Hypothesen, Theorien und Tatsachen? Gibt es eine Art Preissystem für wissenschaftliche Erkenntnisse? Wer oder was sorgt für Effizienz im arbeitsteiligen Forschungsbetrieb?

All diese Fragen sind völlig offen. Gewiß ist nur eines: Wenn der Output des wissenschaftlichen Forschungsbetriebs ökonomisch bewertet wird, dann geht das Wertmaß auf eine Art Zahlungsbereitschaft zurück. Als Maß für den ökonomischen Wert einer Sache kommen entweder die Mühen ihrer Herstellung oder die Bereitschaft in Frage, für ihren Gebrauch zu bezahlen. Da sich der Wert wissenschaftlicher Erkenntnisse gewiß nicht an der Mühe ihrer Erfindung beziehungsweise Entdeckung bemißt, kann sich die Frage nach ihrem Wertmaß auf die Zahlungsbereitschaft beschränken. Wie äußert sich diese Bereitschaft nun aber? Wissenschaftliche Hypothesen, Theoreme und Tatsachen werden nicht gegen Höchstgebot verkauft, sondern publiziert. Mit der Publikation werden sie der Allgemeinheit zur freien Verfügung gestellt. Also kann es auf keinen Fall die Bereitschaft zur Geldzahlung sein, an der sich der Wert wissenschaftlicher Information bemißt. Die Zahlung in welcher Währung könnte es aber dann sein?

Der Einwand liegt nahe, daß die Frage falsch gestellt sei. Man hört ja immer wieder, daß es unmöglich sei, die Information wissenschaftlicher Hypothesen, Tatsachen und Theoreme zu messen. Diese Unmöglichkeit wäre nun freilich ein harter Schlag nicht nur für die ökonomische Theorie, sondern auch für die Wissenschaftstheorie. Ohne die Messung des Outputs der wissenschaftlichen Produktion gibt es keinen Vergleich mit dem Input und kein sinnvolles Fragen nach der Effizienz des Forschungsbetriebs. Ohne Begriff der ökonomischen Rationalität des Forschungsbetriebs bleibt die ökonomische Theorie der Wissensgesellschaft nicht nur, sondern bleibt auch der wissenschaftstheoretische Ausweis der Rationalität des Unterfangens Wissenschaft eine halbe Sache.

Die Wissenschaft ist nicht der einzige Sektor der Informationsökonomie, der seinen Output der Öffentlichkeit zur freien Verfügung stellt. Auch im eigentlichen Massengeschäft mit der Information ist es üblich, das Angebot der Nachfrage hinterher zu werfen. Die Marktplätze für das Massengeschäft mit Information sind die Medien. Die Medien, die auf der Höhe der technischen und ökonomischen Möglichkeiten operieren, sind das private Fernsehen und das Internet. Das private Fernsehen stellt sein Angebot zur freien Verfügung und finanziert sich aus anderen Quellen als dem Verkauf der Information, die es zum Konsum anbietet. Im Internet fließt so gut wie kein Geld. Dennoch überflügelt das Internet die anderen Massenmedien. Dennoch wächst das Informationangebot im Internet mit Raten, die die Wachstumsraten aller herkömmlichen Märkte in den Schatten stellen.

Es wäre reichlich kühn zu behaupten, der Informationsoutput der Massenmedien werde nicht gemessen. Natürlich wird er gemessen. Und natürlich ist es auch hier die Zahlungbereitschaft, die das Maß gibt. Es ist nur eben nicht mehr - jedenfalls nicht mehr in erster Linie - die Bereitschaft, Geld auszugeben. Vielmehr drängt sich auch hier der Eindruck auf, daß das Geld von einer anderen Währung Konkurrenz bekommt. Geld, dieser Eindruck verdichtet sich, ist nicht mehr alles. Die Entmaterialisierung des Wirtschaftsprozesses geht weiter als nur zum Ersatz materieller Produkte durch Informationsprodukte. Die Entmaterialisierung hat vom Zahlungssystem Besitz ergriffen. Das Geld ist auch und gerade als Form des Einkommens nicht mehr alles.

Attraktionsökonomie

Es reicht heute nicht mehr, nur reich zu sein. Wer etwas sein will, muß schon auch ein bißchen prominent sein. Das heißt, er muß noch ein anderes, immaterielles Einkommen beziehen. Geld allein ist zu etwas Gewöhnlichem geworden. Die Inflationierung materiellen Reichtums bei gleichzeitiger Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich verpaßt dem nackten Geld einen fast schon ordinären Zug. Wo sich immer mehr Menschen die Insignien materiellen Reichtums leisten können, da muß sich der Wille zur Distinktion nach Attributen umsehen, die selektiver sind als hohes Geldeinkommen. Nach dem Gesetz der Sozialisierung ehemaliger Luxusgüter sind diese Attribute unter den Privilegien der jeweils noch erkennbaren Eliten zu suchen. Der Generalnenner heutiger Eliten ist die Prominenz.

Das Streben nach materiellem Reichtum gilt zwar nach wie vor als Hauptmotiv des wirtschaftlichen Handelns. Selbst diejenigen, die sich einbilden, hinter nichts anderem als dem Geld her zu sein, haben aber in Wirklichkeit ein anderes Einkommen im Sinn. Sie haben nämlich keineswegs vor, das Geld nur für leibliches Wohlleben und physischen Komfort auszugeben. Sie brauchen das Geld, um Eindruck auf ihre Mitmenschen zu machen. Das Geld schließt ihnen die Möglichkeit ostentativen Konsums auf. Der ostentative Konsum dient dem Aufbau und der Pflege der Rolle, die die eigene Person in anderem Bewußtsein spielt. Die Größe der Rolle, die die eigene Person in anderem Bewußtsein spielt, ist ein anderer Ausdruck für die Höhe des Einkommens an mitmenschlicher Beachtung. Die Prominenz ist die Klasse der Großverdiener dieses Einkommens.

Sind die Grundbedürfnisse des Leibes einmal befriedigt, dann rückt die Rolle, die die eigene Person in anderem Bewußtsein spielt, ins Zentrum der Lebensinhalte. Der Grund ist, daß dann die Selbstwertschätzung wichtiger wird als das leibliche Wohl. Erst im Spiegel des anderen Bewußtseins lernen wir unser Selbst kennen. Erst in der Wertschätzung, die wir von anderen erfahren, lernen wir, was wir von uns selbst halten dürfen. Der Empfang von Wertschätzung ist immer mit dem von Beachtung verbunden. Weil unsere Selbstwertschätzung so eminent von der Wertschätzung abhängt, die wir von anderen empfangen, ist es schon ein Auftrag der Selbstwertschätzung, für reichlichen Bezug dieses immateriellen Einkommens zu sorgen. Auch für dieses immaterielle Einkommen hat die theoretische Ökonomie keinen Begriff.

Das Streben nach mitmenschlicher Beachtung und die wachsende Bedeutung, die sie im Sehnen und Trachten der Menschen spielt, ist nun aber ganz entscheidend für den Prozeß, den wir als ökonomische Durchrationalisierung immer weiterer Lebensbereiche erleben. Immer mehr Menschen legen die Gewohnheit ab, nur darauf zu warten, daß sie Beachtung seitens derer finden, auf die sie selbst achten. Immer mehr Menschen werden initiativ, ja direkt unternehmerisch tätig, um ihr Einkommen an Beachtung zu maximieren. Eine Wissenschaft, die diese Tendenz nicht ernst nimmt, riskiert, am vielleicht wichtigsten Zug der Entmaterialisierung des Wirtschaftsprozesses vorbeizuschauen.

So unterscheidet sich denn auch geistige von körperlicher Arbeit nicht nur dadurch, daß sie psychische statt physische Energie kostet und mit geistigem statt materiellem Kapital hantiert. Sie unterscheidet sich auch dadurch, daß neben der Entlohnung in Geld die in Beachtung zählt. Gewiß, auch bei der geistigen Arbeit geht es zunächst ums Geld. Für einen charakteristisch hohen Anteil der Geistesarbeiter ist das Aufsehen, das die Arbeit erregt, aber der schönere Lohn. Das Einkommen an Beachtung überwiegt für viele so auch als Grund für die Berufswahl. Je höher der Bildungsgrad, um so mehr entscheidet die Erwartung dieses immateriellen Einkommens über die Beliebtheit eines Berufs. Eine wissenschaftliche Karriere wird nicht deswegen einer besser dotierten in der Industrie vorgezogen, weil es aufs Geld nicht ankäme, sondern weil die Chancen des Einkommens an Beachtung höher sind.

Nicht nur in den wissenschaftlichen, in den meisten Berufen mit kreativem Einschlag gehört es zur Berufsehre, mehr auf die Reputation als auf das Geld zu achten. Reputation ist das konsoldierte Einkommen an sachverständiger Beachtung. Man wird nicht Künstler, um reich, sondern wenn, dann um berühmt zu werden. Der Ruhm stellt die höchste Einkommensklasse in Sachen Beachtung dar. An ihn kommt materieller Reichtum in keiner Weise heran. Deswegen gibt es auch im Management und in den höheren Etagen der Verwaltung eine Stufe in der Hierarchie, auf der sich die Prioritäten umkehren. Man sucht keine Präsenz in der Fachöffentlichkeit oder in der Repräsentation des Berufsstands wegen des Honorars - man sucht sie um der öffentlichen Ausstrahlung willen.

Die Vermittlung öffentlicher Ausstrahlung, das ist das Kerngeschäft der Medien. Die Medien bieten Information, um an die Beachtung des Publikums zu kommen. Nicht der Verkauf von Information gegen Geld hat die Medien groß gemacht, sondern der Tausch von technisch reproduzierter Information gegen lebendige Beachtung. Hinter dem Wandel klassischer Publikationsmedien zu modernen Massenmedien steckt die Entwicklung einer Technologie, die es gestattet, mit kalkulierbarem Aufwand und Ertrag an die Beachtung durch ein Massenpublikum zu kommen.

Je "moderner" ein Medium, um so avancierter ist nicht nur die Technologie der Übertragung und Präsentation von Information, sondern auch und gerade die Technologie der Attraktion und Lenkung von Beachtung.

Weil sie Beachtung in Massen bedeutet, ist die Präsenz in den Massenmedien so attraktiv. Weil es beispiellose Chancen der Bereicherung an Beachtung bietet, drängt alles, was von höherem Ehrgeiz ergriffen ist, ins Fernsehen. Weil das Einkommen an Beachtung einen Reiz hat, der den des Geldeinkommens hinter sich läßt, explodiert denn auch das Informationsangebot im Internet. Weil inzwischen das Geschäft der Attraktion mit einer Professionalität und einem technischen Aufwand betrieben wird, der denjenigen des Geldmachens nicht mehr nachsteht, werden wir mit Information sintflutartig überschwemmt.

Nicht nur der Umfang geistiger Produktion, auch die zur Attraktion eigens herausgebrachte, gezielt publizierte und aggressiv vermarktete Information ist in gigantischem Umfang gewachsen. Die Wachstumsraten beider stellen die der materiellen Produktion in den Schatten. Der Zunahme der publizierten, um Beachtung konkurrierenden Information steht aber ein organisch beschränktes und nahezu konstantes Aufkommen an aufmerksamer Energie gegenüber. Diese Energie ist in der Form, in der wir selbst über sie verfügen, knapp. Sie ist in der Form der Zuwendung, die wir von anderen empfangen, begehrt. Ihre Ökonomisierung in diesen beiden Formen, als knappe Ressource und als begehrtes Einkommen, ist mit einem Schub der ökonomischen Durchrationalisierung von Lebensbereichen verbunden, der nur noch mit demjenigen vergleichbar ist, die Industrialisierung einst mit sich brachte. In ihr treffen die wichtigsten Impulse der fortschreitenden Ökonomisierung des Gesellschaftsprozesses einerseits und der Entmaterialisierung des Wirtschaftsprozesses andererseits zusammen.

Ökonomie der Aufmerksamkeit

Gibt es einen Begriff, der die knappe Energie der Informationsverarbeitung und das begehrte Einkommen an Zuwendung zusammenfaßt? Gibt es ein Maß, welches sowohl die Beachtung, die wir zwischenmenschlich tauschen, als auch den ökonomischen Wert der Neuigkeit mißt? Es gibt diesen Begriff und es gibt dieses Maß. Das Stichwort ist auch schon gefallen. Es heißt: Aufmerksamkeit.

Aufmerksamkeit ist die knappste Ressource der Informationsverarbeitung. Aufmerksamkeit ist es, die wir als Zuwendung miteinander tauschen. Aufmerksamkeit ist die Währung des immateriellen Einkommens. Die Aufmerksamkeit, die sie findet, ist das Maß für den Nutzwert von Information.

Aufmerksamkeit brauchen wir zu allem, was wir bewußt erleben wollen. Aufmerksamkeit können wir aber auch für buchstäblich alles Erdenkliche verwenden. Sie ist in dieser globalen Erfordernis und universellen Verwendbarkeit dem Geld nicht nur ebenbürtig, sondern überlegen. Wie Geld wird Aufmerksamkeit chronisch knapp, sobald das Angebot an Verwendungsmöglichkeiten über die Möglichkeiten seiner Realisierung hinausreicht. Im Gegensatz zur Geldmenge ist das Aufkommen an aufmerksamer Energie aber nicht vermehrbar. Das Aufkommen wächst mit der Zahl der Wesen, die bewußt "da" sind. Das Aufkommen pro Kopf (beziehungsweise pro da seiendem Bewußtsein) ist aber nahezu konstant.

Mit dem Wachstum ihrer Verwendungsmöglichkeiten wächst das Aufkommen an Aufmerksamkeit in die Rolle eines Rationierungsmittels hinein. Die Aufmerksamkeit rationiert dann die Möglichkeiten des Erlebens wie das Geld die materiellen Möglichkeiten der Lebensführung rationiert. Ein entfesseltes Wachstum der interessanten und sich interessant machenden, der reizenden und sich aufdrängenden Verwendungsmöglichkeiten läßt die verfügbare Aufmerksamkeit mit Zwangsläufigkeit zum Engpaß werden. Im Fall des Gelds kann die Kaufkraft mit dem Angebot mitwachsen. Im Fall der Aufmerksamkeit kommt es irgendwann zu dem Punkt, an dem die organische Beschränkung des Aufkommens beginnt, selektiver zu wirken als das verfügbare Geld.

Für eine große und rasch größer werdende Zahl von Menschen schneidet die verfügbare Aufmerksamkeit die realisierbaren Erlebnismögichkeiten schärfer aus dem Bereich des theoretisch Möglichen aus als das verfügbare Geld. Es wird vielleicht einmal kein schlechtes Kriterium für die Fixierung der Epochenschwelle zwischen dem Industrie- und dem Informationszeitalter sein, daß aus diesen vielen die maßgebliche Mehrheit wurde. Konkurrenz könnte dieses Kriterium freilich durch dasjenige andere bekommen, daß das Einkommen an Aufmerksamkeit wichtiger wurde als das an Geld.

Möglicherweise laufen beide Kriterien aber auf dasselbe hinaus. Hinter der überschwemmenden Informationsflut steckt die entfesselte Geschäftstätigkeit der Beschaffung von Aufmerksamkeit. Je mehr Menschen (und Firmen) gezielt auf sich aufmerksam machen, je höher der technische Aufwand steigt, den sie dabei treiben, und je höher die Technologie der Attraktion sich entwickelt, desto stärker wird die Erlebnissphäre mit Information eutrophiert.

Je höher die Ladung der alltäglichen Lebenswelt mit Information, die eigens zum Blickfang hergerichtet und in den Kampf um die Aufmerksamkeit ausgeschickt wird, um so enger wird der Flaschenhals der organisch limitierten Kapazität aufmerksamer Informationsverarbeitung. Die Rolle, die die Aufmerksamkeit als Einkommen, und die, die sie als Rationierungsmittel spielt, hängen unmittelbar zusammen.

Mit ihrer Rolle als Einkommen hängt auch die Funktion der Aufmerksamkeit zusammen, ein Maß für den ökonomischen Wert von Information zu sein. Information, die keine Beachtung findet, hat keinen ökonomischen Wert. Umgekehrt hängt der ökonomische Wert von Information - wie derjenige aller anderen Güter - von der Zahlungsbereitschaft derer ab, die sie nachfragen. Allerdings kann es nun nicht die Bereitschaft zur Geldzahlung sein, die hinter der Informationsflut steckt. Erschiene nur, wofür das Publikum bereit ist, Geld zu zahlen, dann hätten wir kein Überschwemmungsproblem. Und wäre ökonomisch rational nur, das zu publizieren, was unmittelbar Geld verdient, dann wäre das Angebot der Massenmedien, das Informationsangebot im Internet und das Verhalten der Anbieter wissenschaftlicher Kommunikation irrational.

Natürlich ist das Zustandekommen dieser Angebote alles andere als irrational. Sie gehören nur eben Geschäftsbereichen an, in denen es nicht in erster Linie um Geld, sondern um Aufmerksamkeit geht. Die wichtigste Finanzierungsquelle der Massenmedien ist nicht Verkauf von Information, sondern der Verkauf der Dienstleistung, Aufmerksamkeit für Beliebiges anzuziehen. Die käufliche Dienstleistung der Attraktion heißt Werbung. Die attraktive Kraft des Mediums wird gemessen in der Höhe seiner Auflage beziehungsweise Einschaltquote.

Auflagehöhen und Einschaltquoten messen die Aufmerksamkeit, die das Medium für sein Informationsangebot einhandelt. Von den Einkünften an Aufmerksamkeit hängt alles andere und so auch das finanzielle Ergebnis des Geschäfts ab. Es ist das Geschäft der Medien herauszubekommen, was das Publikum lesen, hören, sehen will. Das Publikum zahlt in Aufmerksamkeit für die gebotene Information. Also wird der Wert dieser Information ganz regulär durch Zahlungsbereitschaft gemessen. Worin sich die Wertmessung der Information von der Wertmessung dinglicher Güter unterscheidet, ist nun aber, daß die Zahlungsbereitschaft nicht in Geld, sondern - eben - Aufmerksamkeit geäußert wird.

Die verschiedenen Arten von Publikationsmedien lassen sich danach klassifizieren, wie schwer die Einkünfte an Aufmerksamkeit im Verhältnis zu den Einkünften an Geld wiegen. Die klassischen Medien, der Buchdruck und die Presse, finanzieren sich noch hauptsächlich aus dem Verkauf der Information. Bei Radio und Fernsehen unterscheiden sich die älteren, öffentlichen, von den jüngeren, privaten Formen dadurch, daß sich die älteren noch aus Gebühren, die jüngeren hingegen nur noch aus dem Verkauf der Dienstleistung der Attraktion finanzieren.

Das private Fernsehen hat sich bereits vom Verkauf der Information emanzipiert. Diese Emanzipation findet ihrem Abschluß im Internet. Im Internet wird bis auf Ausnahmen, die die Regel bestätigen, nur noch in Aufmerksamkeit bezahlt. Was hier zählt, ist nicht mehr die Kasse, sondern das Zählwerk, das die Besucher des web site registiert.

Auflagenhöhen, Einschaltquoten und Besucherzahlen sind Maße für die Einkünfte an Aufmerksamkeit. Zugleich messen sie den Wert der fraglichen Information. Sie messen diesen Wert auch und gerade dann, wenn die Information frei zugänglich ist. Es ist die Bereitschaft, knappe Aufmerksamkeit für die Rezeption auszugeben, wodurch das Informationsangebot ganz regulär an der zahlungsbereiten Nachfrage gemessen wird. Und es ist nun diese Art Messung, durch die auch der Output wissenschaftlicher Produktion eine reguläre ökonomische Bewertung erfährt.

Die für die Wissensproduktion charakteristischen Inputs sind vorfabriziertes Wissen und lebendige Aufmerksamkeit. Der Output besteht aus Hypothesen, Tatsachen und Theoremen, die auf dem Markt der wissenschaftlichen Kommunikation angeboten werden. Das Angebot auf dem Markt wissenschaftlicher Kommunikation trifft auch die zahlungsbereite Nachfrage derer, die an Inputs für die eigene Produktion interessiert sind. Die Nachfrage äußert ihre Zahlungsbereitschaft also zunächst in der Form, das Angebot zu rezipieren. Wird die Suche nach vorgefertigten Inputs fündig, dann tritt eine zweite Stufe der zahlungsbereiten Nachfrage in Kraft. Mit der Publikation entsteht nämlich nicht nur das Angebot auf dem Markt der wissenschaftlichen Kommunikation, sondern auch das geistige Eigentum an vorfabriziertem Wissen. An diesem Eigentum vergeht sich, wer es ohne Deklaration und Entrichtung einer Lizenzgebühr für eigene Zwecke verwendet.

Die Art der Deklaration, ohne die fremdes geistiges Eigentums nicht verwendet werden darf, ist das Zitat. Die Gebühr, die dabei anfällt, ist die stillschweigende Überweisung eines Teils der Aufmerksamkeit, die der Zitierende für sein Werk einnimmt, auf das Konto des Zitierten. Das reguläre Maß wissenschaftlicher Information ist die Häufigkeit, mit der sie zitiert wird. Das Konto der Zitate des Autors mißt dessen wissenschaftliche Produktivität. Es mißt diese Produktivität an derjenigen, die der Output als Input wieder anderer Produktion entwickelt. Die Messung des Outputs der Produktion an der Produktivität, die er als Input anschließender Produktionsstufen entwickelt, ist die ganz reguläre Art und Weise, auf die der Wert von Kapitalgütern gemessen wird.

Wissen ist geistiges Sachkapital. Es ist in dieser Eigenschaft inhomogen und in seinen einzelnen Bestandteilen nicht vergleichbar. Es kann nun aber dadurch einheitlich bewertet werden, daß es "verkauft", nämlich in eine immaterielle Form von Finanzkapital umgewandelt wird. Der Verkauf hat dadurch statt, daß sein Gebrauch lizensiert und gegen die Gebühr des Zitats überlassen wird. Zur Umwandlung des geistigen Sachkapitals in immaterielles Finanzkapital kommt es, wenn aus der Sammlung der Zitate wissenschaftliche Reputation entsteht. Reputation ist Beachtlichkeit, die ihrerseits Beachtung findet.

Tatsächlich stellt der Markt der wissenschaftlichen Kommunikation einen Kapitalmarkt nicht nur in der Hinsicht dar, daß produzierte Produktionsmittel gehandelt, sondern auch in der Hinsicht, daß Sachkapital in Finanzkapital umgewandelt wird. Die Zitate werden nämlich tatsächlich gesammelt und systematisch verbucht. Es gibt den sogenannten Zitationsindex oder S(cience) C(itation) I(ndex). Er besteht in der Sammlung wissenschaftlicher Zitate und der Führung der individuellen Konten der ziterten Wissenschaftler. Diese Konten stellen homogene Größen dar und sind direkt vergleichbar. Sie messen die Produktivität des einzelnen Wissenschaftlers an der zahlungsbereiten Nachfrage der Kollegen nach seiner Produktion. Oder anders: Sie messen seine Produktivität an seinem Einkommen. Allerdings, und das ist für die Umwandlung von Sach- in Finanzkapital entscheidend, stellt das Konto im SCI mehr als nur die Feststellung bezogener Beachtung dar. Es hat selbst die Form eines Kapitals: Je höher das Konto, desto höher ist die Beachtung, die die Beachtlichkeit ihrerseits auf sich zieht. Die Beachtung, die ein Wissenschaftler deswegen auf sich zieht, weil ihn so viele andere beachten, ist eine reguläre Form der Verzinsung.

Es würde hier zu weit führen zu fragen, ob diese Art leistungsfreien Einkommens im Sinne der Optimierung des kollektiven Erkenntnisfortschritts ist. Es gilt aber festzuhalten, daß sie arbeitsteilige Wissensproduktion eine in sich geschlossene Ökonomie der Aufmerksamkeit mit entwickeltem Kapitalmarkt und Finanzwesen darstellt. In dieser Ökonomie kommt es nicht nur zu effektiven Messung und Bewertung wissenschaftlicher Information, in dieser Ökonomie kommt es auch zur Allokation der forschenden Aufmerksamkeit nach Maßgabe der Bereitschaft, mit Aufmerksamkeit für das Ergebnis zu bezahlen. Es hängt von der hinreichend genauen Beschreibung einer solchen Ökonomie ab, ob Fragen bezüglich ihres effizienten Arbeitens beantwortbar werden.

Fazit

Medien und Wissenschaft sind die Industrien, die nur noch letzten Endes am Geldfluß hängen. Sie arbeiten mit Aufmerksamkeit als wichtigstem Produktionsmittel und reüssieren je nach der Aufmerksamkeit, die sie einnehmen. Sie sind die Vorhut einer Wirtschaftsweise, in der es generell wichtiger geworden ist, auf die Aufmerksamkeit zu achten als auf das Geld. Medien und Wissenschaft sind nun aber auch die führenden Industrien der Gesellschaft, die sich Informationsgesellschaft nennt. Sie sind es, die die materielle Produktion aus ihrer Vormachtstellung gedrängt haben. Ohne eine angemessene ökonomische Theore der Medien und der Wissenschaft bleibt das theoretische Verständnis des Wandels, den wir als Entmaterialisierung des Wirtschaftsprozesses erleben, flach. Ohne Beachtung der Aufmerksamkeit als knappe Ressource und als Form des Einkommens riskiert die theoretische Ökonomie, den wichtigsten Zug der Zeit zu verpassen.

Die Grundorientierung einer Gesellschaft, in der es nicht mehr an erster Stelle ums Geldverdienen, sondern um das Einnehmen der Aufmerksamkeit anderer Menschen geht, kann eigentlich nicht mehr als materialistisch bezeichnet werden. Eine solche Gesellschaft hat aufgehört, vor allem den leiblichen Genüssen zu fröhnen. Wenn ihre Mitglieder in der großen Mehrzahl auch noch meinen, im Sinne einer materialistischen Orientierung zu leben, so offenbaren sie durch ihre Zahlungbereitschaft, daß sie sich schon umorientiert haben. Es ist dann nicht mehr der physische Komfort, der das Zentrum der Lebensinhalte einnimmt, sondern der Wunsch, geachtet, anerkannt, geschätzt und bewundert zu werden. An die Stelle des leiblichen Wohllebens ist der Wunsch der Person getreten, im Mittelpunkt zu stehen. Wo dieser Wunsch nun aber den Primat unter den wirtschaftlichen Antrieben erringt, ist der ökonomische Materialismus am Ende.

Gewiß, man hatte sich das Ende des Materialismus anders vorgestellt. Man hätte eher eine neue Bescheidenheit als eine neue Auffälligkeit assoziiert. Es wäre einem eher die Mehrung der Substanz als die Entfesselung der Schau in den Sinn gekommen. Nur hat es der Wandel eben so an sich, aus Ecken zu kommen, die gerade niemand vermutet. Seine Herkunft wirkt immer erst im Nachhinein plausibel. So eben auch hier. Wäre es denn nicht weltfremd gewesen zu glauben, der enthemmte Konsumismus würde in massenhafte Askese münden? Wenn eine Umorientierung zu erwarten war, dann doch eine innerhalb des Hedonismus. Nur mit stärkeren, nicht mit schwächeren Reizen läßt sich die materialistische Orientierung überwinden. Stärker als die Reize des Wohllebens sind die Verlockungen zur Eroberung der Herzen und Sinne. Angenehmer als der physische Komfort ist die wärmende Zuneigung anderer Menschen, wohltuender als deren praktische Dienstbarkeit ihre teilnehmende Einfühlsamkeit.

Im Rückblick scheint es nicht unschlüssig, daß mit der Inflationierung des geldigen Reichtums das Ende des ökonomischen Materialismus nahte. Es war auch nicht zu erwarten, daß dieses Ende eine Rückkehr zur alten Gemütlichkeit mit sich bringen würde. Es scheint im Rückblick sogar ganz natürlich, daß das Geschäft der Attraktion so hart und schnell wurde. Dieses Geschäft hatte schon immer etwas vom Drogenhandel. Je wichtiger das Einkommen an Beachtung wird, um so schwieriger wird es, Verluste und gar Entzug zu verkraften. In die Aufmerksamkeit, die wir einnehmen, ist schließlich die Wertschätzung verpackt, die wir genießen. Und von der Wertschätzung, die wir genießen, hängt in eminentem Maß ab, was wir uns selbst für wert schätzen dürfen.

Je wichtiger das Einkommen an Beachtung, um so stärker fühlt sich die Selbstwertschätzung exponiert. Diagnostikern des Zeitgeschehens ist dies denn auch aufgefallen. Christopher Lash hat den Begriff der "Kultur des Narzißmus" geprägt. Die Kultur des Narzißmus ist die soziale Erscheinungsform der allgemein für wichtiger genommenen und damit auch leichter irritierbaren Selbstwertschätzung. Allerdings ist die Bezeichnung etwas irreführend. Die Assoziation mit der narzißtischen Störung läßt die individualpsychologische Ebene zu sehr in den Vordergrund treten. Die psychoanalytische Auffassung von der Selbstliebe verstellt den Blick auf die Selbstwertschätzung, die im Tauschgeschäft der Aufmerksamkeit ausgehandelt und durchgesetzt sein will. Die Bezeichnung unserer Kultur als narzißtisch verfehlt den epochemachend sozialen Charakter der Eitelkeit.

Weiterführende Literatur:

Georg Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, München: Hanser 1998