Die USA und die Menschenrechte

Erste Kampagne von Amnesty gegen ein westliches Land

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In einer Zeit, in der die amerikanischen Regierungsvertreter in moralische Probleme in der Politik und der Gesellschaft verwickelt seien, so Pierre Sané, Generalsekretär von Amnesty International, starte man eine weltweite Kampagne zum Schutz der Menschenrechte in den USA. Jetzt nämlich, da doch Recht und Unrecht auf der Tagesordnung stehe, sei die richtige Zeit, um schon lange bestehende Fehler der amerikanischen Politik anzusprechen. "Um sich der Verletzung der Würde der Menschen zu kümmern, die keine Stimme haben, der Strafgefangenen, die einer unmenschlichen Behandlung unterworfen sind, der Mitglieder von ethnischen Minderheiten, die von der Polizei brutal behandelt werden, der Asylsuchenden, die wie Kriminelle behandelt werden."

In der Tat wären das wichtigere Themen als das Impeachment-Verfahren gegen Clinton, das die amerikanische Politik behindert. Zu vermuten allerdings ist, daß die Amnesty-Kampagne angesichts der Handlungsunfähigkeit der amerikanischen Politik wenig Folgen haben wird und vielleicht international die Position des amerikanischen Präsidenten noch weiter untergräbt. Futter ist der Bericht natürlich auch für alle Länder, die beschuldigt werden, Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Milosevic und Co. werden sich freuen, wenn die amerikanische Politik nicht schnell auf die schwere Kritik reagiert und entsprechende Veränderungen wenigstens einleitet.

Angeklagt wird die USA in der Kampagne als "weltweit führend in der High-Tech-Repression". Tausende von Menschen würden in den USA zu Opfern von Menschenrechtsverletzungen, sagt Amnesty International, die oft mit High-Tech-Mitteln ausgeführt werden: Elektroschockwaffen, chemische Sprays und tödliche Injektionen.

Trotz der führenden Rolle der USA bei der Etablierung des internationalen Systems für den Schutz von Menschenrechten war man nicht willens, sich selbst einer internationalen Kontrolle zu unterwerfen und sich an dieselben minimalen Standards zu halten, die man von den anderen Staaten einfordert.

Polizeibrutalität sei weit verbreitet und richte sich überwiegend gegen ethnische Minderheiten. Vor allem die stärkere Ausrichtung auf Bestrafung und nicht auf Rehabilitierung habe zu Kürzungen geführt, die im Strafvollzug durch neue Formen der Überwachung kompensiert werden. Mittlerweile gehören die USA zu den Ländern, in denen es die meisten Gefangenen gibt. 60 Prozent der Eingesperrten sind Angehörige von ethnischen Minderheiten, bis zu einem Drittel der jungen Schwarzen befindet sich im Gefängnis oder auf Bewährungsstrafe. 82 Prozent der seit 1977 mit dem Tod bestraften Menschen waren angeklagt, einen Weißen umgebracht zu haben, obgleich Schwarze und Weiße zu gleichen Anteilen Opfer der Gewalt werden. Die Zahl der Todesstrafen nimmt zu, überdies werden Geisteskranke und jugendliche Straftäter weiterhin in Verletzung internationaler Standards exekutiert.

Viel zu oft sind die Menschenrechte in den USA eine Angelegenheit von zwei Nationen: den Reichen und den Armen, den Weißen und den Schwarzen, den Männern und den Frauen.

Ketten oder Fußeisen werden ebenso gebraucht wie Besprühen des Gesichtes oder der Genitalien mit flüssigem Pfeffer, Betäubungsgewehre oder Gurte, mit denen sich Stromschläge austeilen lassen, die Schmerzen verursachen oder die Menschen handlungsunfähig machen. Im Juni dieses Jahres ordnete ein kalifornischer Richter den Einsatz eines solchen Gürtels bei einem Angeklagten an, der mehrmals den Prozeß unterbrochen hatte. Diese Gürtel sind für Amnesty eines der beunruhigendsten Elektroschockmittel: "Selbst wenn der Knopf niemals gedrückt wird, ist die andauernde Bedrohung durch einen Stromschlag unmenschlich - und eines der deutlichsten Symbole für den gegenwärtig gefährlichen Trend zur Zerstörung der grundlegenden Menschenrechte in den USA."

Mehr und mehr werden Asylsuchende in Gefängnissen wie Strafgefangene eingesperrt. Sie müssen unter unmenschlichen Bedingungen leben, werden in Ketten gelegt und verbal sowie körperlich mißbraucht.

Zudem tragen die USA als der weltweit größte Waffenlieferant zu Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern bei. Für die Ausfuhr von Foltergeräten gäbe es im Unterschied zu Kanada und einigen europäischen Staaten keine Beschränkungen, so daß sie auch in Länder verkauft werden, in denen die Folter an der Tagesordnung ist. So liefere man Waffen an die Türkei oder bilde dort Soldaten und Polizisten aus, während man die schweren Menschenrechtsverletzungen der Israeli gegen die palästinensische Bevölkerung nicht thematisiere, den Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien passiv gegenüberstehe und die Massaker in Ruanda herunterspiele.

Amnesty fordert, daß die USA die selektive Anwendung internationaler Rechte beenden, ihre Rechtssprechung an die internationalen Standards anpassen und ohne Vorbehalte die internationalen Verträge zum Schutz der Menschenrechte ratifizieren: "Die US-amerikanischen Regierungs- und Staatsbehörden bieten vielen von ihren Bürgern nicht die zivilen und politischen Rechte, die vom internationalen Recht, der Verfassung der USA und der Bill of Rights garantiert werden."

Wenn die USA nicht entschlossener auf die Menschenrechte achten und die entsprechenden Verträge nicht ratifizieren, könne sie, so Pierre Sané, auch kein Vorbild für die internationale Gemeinschaft im Hinblick auf Menschenrechte sein: "Wie kann die internationale Gemeinschaft eine deutliche Botschaft vermitteln, daß Völkermord und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht toleriert werden, wenn ein führendes Land der Welt wie die USA sich aktiv der Einrichtung eines wirklich unabhängigen und handlungsfähigen Internationalen Gerichtshofs widersetzen?"

Siehe auch: Gefängnisse als arbeitsmarktpolitische Maßnahme.