Frust bei Mozilla

Ein Lehrstück von Open Source

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Just zur einjährigen Feier von mozilla.org verläßt Jamie Zawinski, der schon lange bei Netscape gearbeitet und die Freigabe des Quellcodes mit vorangetrieben hatte, das Projekt, weil er es als gescheitert ansieht.

Netscape, so schreibt er in seinem offenen Abschiedsbrief, sei schon seit geraumer Zeit für ihn eine Enttäuschung gewesen. Das mag natürlich auch daran liegen, daß er offenbar glaubte, daß man mit dieser Firma die Welt ändern könnte. Zawienski verbucht allerdings den Erfolg von Netscape, dessen Browser lange Jahre hoch angesehen war, als eine solche Veränderung der Welt über die Durchsetzung und Verbreitung des WWW. Seit 1996 aber sei bei der Firma der innovative Antrieb eingeschlafen, weil die Firma zu groß geworden sei und weil die Menschen nicht mehr dafür arbeiteten, die Firma erfolgreich zu machen, sondern in einer erfolgreichen Firma arbeiten wollten. Kurz: der Schwung versiegte, und dann verlor man auch noch den "Browser-Krieg" gegen Microsoft: "Es war nicht mehr möglich, Browser für Geld zu verkaufen. Unser erstes Produkt, unser Flaggschiffprodukt, steuerte auf eine totale Bedeutungslosigkeit zu." Netscape vertrieb nur noch "Abfall" - und das noch zu langsam.

Als Notbremse wurde dann mozilla.org gegründet: "Das war so verrückt", meint Zawinski, "daß es funktionieren könnte." Tatsächlich galt die Freigabe des Quellcodes und die Aufforderung an die Gemeinschaft der Programmierer, gemeinsam den Browser weiter zu entwickeln, als eine Art Signal: Free Software oder Open Source als Alternative zur Entwicklung proprietärer Software. Zawinski sah in mozilla.org die Chance, den Code über den "Tod von Netscape" hinaus leben zu lassen, wobei die Weiterentwicklung des Codes als "offenes Projekt" die Gewähr bieten könnte, daß Außenseiter aus eigenem Selbstinteresse entscheidende Impulse und Feedback geben könnten.

Doch, wie Zawinski schreibt, hat sich diese Hoffnung bislang nicht erfüllt. Wenig sei in diesem Jahr geschehen. Die Software würde praktisch noch immer Netscape gehören, weil die Beteiligung von Außenseitern zu gering war. Ein Grund dafür sei gewesen, daß nicht der Quellcode des neuesten Navigators veröffentlicht wurde. Der veröffentlichte Code war bruchstückhaft, enthielt viele Fehler und war nicht wirklich funktionsfähig. Und dann setzte Netscape noch dazu alle Ressourcen dafür ein, den Communicator 4.5 zu entwickeln, der niemals als Open Source von kooperativen Arbeit profitieren würde und von Anfang an eine Sackgasse der proprietären Software gewesen sei.

Zawinski sagt, er habe sich viel Mühe gegeben, den Menschen zu erklären, daß mozilla.org nicht netscape.com sei und der Allgemeinheit offenstehe. Aber damit hat er offenbar wenig überzeugt, auch wenn er es als Erfolg zählt, der "Welt" gezeigt zu haben, wie man ein großes offenes Softwareprojekt durchführt, und wesentlich dazu beigeragen zu haben, die Aufmerksamkeit der Massenmedien und wiederum der "Welt" auf die Open Source Bewegung gerichtet zu haben.

Die Strategie ist doch auch zu durchsichtig, selbst wenn sie von Zawinski und den übrigen Mitarbeitern anders gedacht wurde: Die nicht wirklich entschlossene Freigabe des Quellcodes diente lediglich zur Rettung einer Firma - und warum sollte man Zeit und Kompetenz kostenlos in ein solches Projekt hineinstecken, wenn es doch andere wie Linux gab, die wirklich freie Software und nicht von vorneherein aus dem kommerziellen Hintergrund entstanden sind? Auch wenn Open Source und deren Prophet Raymond diesen Unterschied verwischen wollten, zeigt sich jetzt durch Zawinskis und Raymonds Enttäuschung, daß die Vermischung einer freien Entwicklung von Software und unmittelbaren kommerziellen Interessen nicht funktionieren kann, es sei denn, die "Außenseiter" lieben es, letztlich sich selbst im Dienst einer Firma auszubeuten, während sie ansonsten für eine selbstorganisierte Gemeinschaft arbeiten. Die "Ökonomie des Schenkens" ist eben nicht bruchlos in eine profitorientierte Ökonomie zu integrieren - Gott sei Dank, sollte man hinzufügen.

Doch als mozilla.org gegründet wurde, gab es noch Netscape und den guten Ruf, der noch immer nachhallte. Nach dem Aufkauf durch AOL ist von diesem Ansehen nichts mehr übriggeblieben. Zawinskie meint, es sei gar keine richtige Kündigung, da er jetzt von AOL und nicht mehr von Netscape weggehe. Aber er hofft, daß das Scheitern von mozilla.org nicht als maßgebliches Beispiel für das Scheitern von Open Source gelten wird: "Welche Probleme auch immer das Mozilla-Projekt aufweist, so liegt deren Ursache nicht darin, daß Open Source nicht funktioniert. Open Source funktioniert, aber es ist kein Allheilmittel. Wenn hieraus eine heilsame Lehre gezogen werden kann, so die, daß man nicht ein sterbendes Projekt nehmen und es mit dem magischen Staub von "Open Source" überziehen kann, damit alles auf magische Weise in Ordnung kommt." Möglicherweise aber ist der Open Source Ansatz gescheitert, nicht aber der der Free Software ... oder ist es nur Zawinskis Resignation, während mozilla.org noch in Visionen und Ankündigungen schwelgt.