Adorno im Zeitalter der populären Kultur

Heinz Steinerts neues Buch "Kulturindustrie"

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Wer heute gebildet erscheinen will, geht nicht mehr nur ins Theater oder in die Oper, sondern beweist seine kulturelle Kompetenz auch auf dem Gebiet der populären Kultur. Mit dem Besuch von außerhalb geht es ins Museum. Das Fußballstadion dient als Ort gelegentlicher Regression und kontrollierter Erregung, das Kino als Auftakt zu einer nächtlichen Kneipentour. Zum Nachdenken gibt's am Wochenende ein Buch, zum Einschlafen die Wiederholung der Soap aus dem Vorabendprogramm. Medienkompetenz in den 90er Jahren.

Der Frankfurter Soziologe Heinz Steinert geht in seinem neuen Buch "Kulturindustrie" der Frage nach, wie aktuell die "Dialektik der Aufklärung" von Adorno/Horkheimer von 1944 heute noch ist. Sich von der apokalyptischen Gesellschaftskritik der beiden Vertreter der Kritischen Theorie distanzierend, untersucht er, welche Formen und Masken die "Aufklärung als Massenbetrug" heute angenommen hat. Damit spannt Steinert den Bogen von der Frankfurter Schule bis zum Tod von Lady Di. Außerdem ist das Buch sein Buch als "Leseanleitung" für den mitunter äußerst sperrigen Adorno konzipiert, der seinen Text nicht zum Konsum freigab, sondern zur Quälerei.

In den Medienwissenschaften wird Adorno immer wieder gerne als "Theoretiker des totalen Verblendungszusammenhangs und der Verdummung der Menschen durch die Medien" dargestellt. Als eine Art Kontrapunkt erscheint der aktive Rezipient, der sich mit Sinn und Verstand aussucht, welchen Medieneinflüssen er sich aussetzt. Und er durch seine persönlichen Steuerung in der Lage ist, aus dem Gebotenen mehr herauszulesen, als irgendwelche "Manipulateure" hineingesteckt haben. Heinz Steinert hält dem "elitären" Adorno entgegen, daß eine solch autonome Haltung des Rezipienten nicht nur dem Kunstkenner, sondern sehr wohl auch den Popkultur-Fans möglich ist.

Spätestens seitdem die populäre Kultur ihren Siegesmarsch aus Amerika über Europa angetreten hat, folgt die Kulturproduktion den Gesetzmäßigkeiten von Angebot und Nachfrage. Während es in der Romantik noch schick war, wenn ein Maler beim Malen verhungerte (außer natürlich für den Maler selbst), rührt nun keiner mehr den Pinsel an, ohne vorher den Erfolg seines Bildes per Sponsoring-Verträge sichergestellt zu haben. Die Kunst, die Adorno noch als Kunst bezeichnete, führt heute nurmehr ein Schattendasein abseits der medialen Verwertung. Der "Text, der keinen Leser braucht", ist out.

Schon lange stellen Kulturproduzenten ihre Mitteilungen nicht mehr nur für Gleichgesinnte her. Die "Verkäufer" von Zeitungen und Fernsehsendungen haben daher ein dringendes Interesse daran herauszufinden, wer zum Teufel eigentlich ihr Publikum ist. Dieses Interesse steht keineswegs "im Dienst der Anpassung an die Interessen des Publikums". Der Verkauf der Blätter oder Sendungen spielt eine vollkommen untergeordnete Rolle. Die Informationen werden gebraucht, um Werbekunden gewinnen zu können. Das Publikum ist primär nicht als Käufer der Ware interessant, sondern sekundär: Es wird seinerseits verkauft.

Doch das Publikum rächt sich. Sehr schön weist Steinert darauf hin, daß die Käufer-Verkäufer-Beziehung in beide Richtungen gilt. Einerseits ähnele die heutige Prominenz der "säkularisierten Form der Heiligenverehrung". Umgekehrt sei die Beziehung zu Prominenten, die einerseits kultisch verehrt würden, aggressiv und verächtlich. Nichts schöner also, als wenn der Schauspieler sich im Text verheddert oder sich ein Musiker auf der Bühne lächerlich macht, wenn er seine Gitarre fallen läßt. Erst wird jemand mit Hilfe der Medien zum Star aufgebaut, um anschließend genüßlich durch Skandale oder Affären wieder demontiert zu werden. Es kann also davon ausgegangen werden, daß es von beiden Seiten hinreichend gemischte Gefühle gibt, in denen Aggression und Verachtung eine Rolle spielen. Die Zeiten großangelegter Gesellschaftsentwürfe und deren Kritik sind vorbei. Was bei Adorno/Horkheimer noch funktioniert hat, läuft nicht mehr. Heinz Steinert reitet zuweilen so sehr auf der Popkultur-Welle, daß sein eigener Standpunkt dabei verlorengeht. Besteht heute kein Anlaß zur Kritik von außen? Wie kam es denn zur Intellektualisierung des Trivialen und zur Trivialisierung des Intellektuellen?

In "Kulturindustrie" kommt etwas zu kurz, daß ein qualitativer Schritt von der klassischen Bildproduktion zum postmodernen Spiel mit allem, was kursiert, zurückgelegt worden ist. Nehmen wir zum Beispiel Roberto Benignis Film "La vita è bella". Hätte der vor fünfzehn Jahren so funktioniert wie heute? Wohl kaum. Im Gegensatz zu eher "klassischen" Vorbildern wie "Schindlers Liste" behauptet der ja nicht, eine wie auch immer aussehende Wirklichkeit abbilden zu können. Benigni ist sich seiner Grenzen durchaus bewußt, und liefert eine Abbildung, die untergründig zugleich die Kritik an einem solchen Versuch beinhaltet.

"Kulturindustrie" ist lesenswert, weil das Buch zu mehr als nur einem Gedanken über die populäre Kultur unserer Tage anregt. Was stört, sind die penetranten Verweise des Autors auf seine in Amerika angestellten "Beobachtungen". Aus seiner Zeit an der New York University weiß Steinert, daß Amerikaner oberflächlich sind und ihren sozialen Erfolg an der Anzahl der Wochenend-Dates abhängig machen... Da schaut der kulturell überlegene Europäer auf die kulturlosen Amis herab. Das ist nicht nur eine Wiederholung eines alten Klischees, sondern wirklich lästig.

Alexander Remler

Heinz Steiner: Kulturindustrie. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 1998, 218 S., 29,80 DM