Wo findet der erste Sonnenaufgang des neuen Jahrtausends statt?

Streit um ein möglicherweise gewinn- und jedenfalls symbolträchtiges Datum

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Für die Feiern zur Jahrtausendwende, die es ja nicht oft gibt, wollen viele der glücklichen Zeitgenossen an besonderen Orten sein, um das seltene Ereignis auf denkwürdige Weise zu begehen. Begehrt sind die Pyramiden, das Taj Mahal, Stonehenge oder der Ayers Rock. Manche aber wollen auch dort sein, wo der erste Sonnenaufgang im neuen Jahrhundert und neuen Jahrtausend zu erleben ist. Nur, wo findet der statt?

Natürlich ist die kommende Jahrtausendwende sowieso nur ein konventionelles und überdies regionales Datum, auch wenn sie auf geradezu symbolische Weise auch mit dem Jahr-2000-Fehler verbunden ist, der dank der frühen Dominanz der westlichen Computertechnik weltweit zuschlagen kann. Auch wenn die westlichen Staaten im Zeitalter der Kolonialisierung ihr "Bestes" gegeben haben, die Welt zu vereinheitlichen, so blieb der christliche Kalender doch nur einer unter vielen anderen. So findet für jeden der anderen existierenden Kalender nicht nur der Jahreswechsel an einem unterschiedlichen Tag statt, auch das christliche Jahr 2000 ist aus der Sicht von anderen Kalendern keineswegs bedeutsam. Im byzanthinischen Kalender etwa ist das christliche 2000 das Jahr 7508, im chinesischen 4636, im islamischen 1420 oder im jüdischen 5760.

Trotz Globalisierung ist also selbst noch der Kalender relativ und regional. Doch im Zeitalter der Kolonialisierung, als die Globalisierung und vor allem die technischen Kommunikationsmittel einheitliche Standards erforderten, konnten die westlichen Staaten, freilich im Gerangel untereinander, weitgehend ihre Maße als universelle Normen durchsetzen. So fand im Jahr 1884 in Washington eine internationale Konferenz statt, um den Meridian und eine universelle Zeit festzulegen. Greenwich wurde bekanntlich zum globalen Zeitmaßstab erwählt, so daß der Tag und die Zeit am Greenwich-Meridian zur universellen Zeit wurde. Wie das Royal Observatory sagt, beginnt aufgrund dieses Übereinkommens der 1. Januar 2000 um Mitternacht in Greenwich.

Dann aber gibt es, für unser Thema entscheidend, noch die internationale Datumsgrenze, die vom 180. Längengrad östlich oder westlich von Greenwich markiert wird. An dieser Grenze verändert sich das Datum, springt also der eine Tag über in den nächsten, entscheidet sich die Gleichzeitigkeit. Für die Datumsgrenze wurde jedoch kein bindendes Abkommen geschlossen, weswegen Länder, die nahe an ihr liegen, sich entscheiden können, ob sie das Datum gewissermaßen vor oder nach der Grenze wählen. Und damit beginnt auch der erste Konflikt darüber, wo der erste Sonnenaufgang am 1. Januar 2000 stattfinden wird. So hat die Republik Kiribati - vorausschauend oder nicht - ab dem 1.1.1995 entschieden, daß die Inseln in der Phoenix-Inselgruppe dasselbe Datum wie die Gilbert-Inseln haben. Dadurch beult sich die internationale Datumsgrenze nach Osten aus, also in Richtung des frühesten Sonnenaufgangs am 1.1.2000. Und innerhalb der Phoenix-Inseln befindet sich auch die Insel Caroline am 150. Längengrad, auf der am 1.1.2000 um 5 Uhr 43 nach der örtlichen Zeit die Sonne aufgehen wird, allerdings "eigentlich" am 31.12.1999 um 15 Uhr 43 Greenwich-Zeit.

Der Zeitpunkt des Sonnenaufgangs hängt freilich auch von der Höhe des Horizonts und des Beobachters ab. Das spielt aber im Fall der Insel Caroline keine Rolle. Kiribati jedenfalls hat flugs die Insel - ein Atoll mit 38 kleinen Inseln - zur "Millennium-Insel" umgetauft und erwartet sich Geschäfte. Angeblich soll eine japanische Fernsehgesellschaft bereits vor drei Jahren einen Strand "gemietet" haben, von dem aus sich der früheste Sonnenaufgang beobachten läßt. 1988 lebten auf der Insel vier Menschen, was eine Bevölkerungsdichte von 1,1 Menschen pro Quadratkilometer bei einer Gesamtfläche von 3,8 Quadratkilometer ausmacht. Mit einem "Isolationsindex" von 115 versehen, also ziemlich hoch, ist die nächste benachbarte Insel 230 Kilometer entfernt. Ganz schön einsam also für die Millennium-Globetrotter.

Allerdings gibt es noch mehr Anwärter, beispielsweise die Chatham-Inseln, die zu Neuseeland gehören und 800 Kilometer östlich der Hauptinsel liegen. Dort ist die Antipodes-Insel auf dem 178. Längengrad und der Sonnenaufgang findet um 15 Uhr 55 Greenwichzeit, mithin 12 Minuten später, statt. Als erste bewohnte Insel kann Neuseeland auch die Pitt-Island auf dem 176.Längengrad bieten, auf der 17 Minuten später als auf der Millennium-Insel der Tag anbricht. Die Tourismusbranche hat sich schon auf die Jahrtausendwende vorbereitet und verkündet, daß die Chatham-Inseln nach der National Geographic Society eben der erste "bewohnte" Ort seien, an dem die Sonne aufgeht. Aber wenn man einmal so anfängt, könnte es noch mehr Kategorien geben. So wären auch die zwei Küstenorte Gisborne und Hastings auf der North Island gerne die ersten. Weil sie aber doch weiter zurückliegen, sind sie deswegen die ersten Städte des neuen Jahrtausends, an denen die Sonne aufgeht. Tonga, bekannt, weil hier der König bislang erfolgreicher als der von Tivalu (.tv) seinen Domainnamen .to an den Mann bringen konnte, will auch mit von der Partie sein und offeriert das Hotel Dataline.

Doch die Royal Society hat sich jetzt mit ihrer Autorität eingemischt und einen anderen Favoriten genannt: die Katchall-Insel im Nicobar- und Andaman-Archipelag, der zu Indien gehört und im Osten der bengalischen Bucht liegt. Eigentlich sei ja, so Robin Catchpole, ganz genau genommen, die Jahrtausendwende erst am 1. Januar 2001, aber "praktisch" könne man schon darüber reden, auch schon am 1.1.2000 das neue Jahrtausend zu begehen. Unabhängig davon aber beginnt der 1. Januar der universellen Zeit (UTC) um Punkt Mitternacht der Greenwichzeit (GMT). Geht man davon aus, dann kommt man anscheinend auf die Katchall-Insel, auf der Punkt 24 Uhr GMT die Sonne um 6 Uhr nach der lokalen Zeit am 1.1.2000 aufgeht.

Die meisten der über 300 Inseln des Archipelag sind unbewohnt und überdies Sperrgebiet. Hier gibt es Korallenriffe, weiße Sandstrände und angeblich noch sauberes Wasser. Die Briten haben im letzten Jahrhundert auch hier ihre Spuren zurückgelassen, denn die Inseln dienten vornehmlich als "Gefängnisse" für indische Widerstandskämpfer gegen die Kolonialmacht. Noch gibt es auf den Inseln eine ganze Reihe von Ureinwohnern, doch ihre Zahl schwindet schnell.

Auch die Katchall-Insel steht dem Tourismus nicht offen und wird vom Stamm der Nicobarese bewohnt. Sehr zum Leidwesen der vom Rechenergebnis der Royal Society erfreuten Tourismusbranche muß also erst einmal die Genehmigung seitens der indischen Regierung erfolgen, daß dort und auf benachbarten Inseln die erwarteten 20000 Touristen eine Unterkunft finden können. Umweltschützer fürchten allerdings, daß der Strom der Jahrtausendwende-Touristen nicht nur die Natur auf der Insel gefährden, sondern auch die Ureinwohner bedrohen könnte, weswegen man die Touristen lieber, wenn sie schon kommen müssen, auf andere, benachbarte Inseln schicken würde, die unbewohnt sind. Bei 20000 Touristen, so fürchten die Umweltschützer, entstehen tonnenweise Fäkalien, die Pathogene enthalten könnten. Sie könnten gegen Antibiotika resistent sein, sich im tropischen Klima schnell vermehren und den kaum mit Antibiotika in Berührung gekommenen Ureinwohnern gefährlich werden. Das wäre dann wirklich ein Jahr-2000-Bug, wäre aber ein Schritt weiter in Richtung Globalisierung.

Weniger vielleicht für die Jahrtausendwende-Touristen haben auch die USA Anspruch erhoben, die ersten zu sein, selbst wenn der offerierte Ort mit einer tropischen Insel nicht ganz mithalten kann. Ganz unbescheiden will man gleich auch den letzten Sonnenuntergang im ausgehenden Jahr anbieten und so zumindest den Jahrtausendwenderekord einstellen. Zwischen dem Dibble-Gletscher und der Victor Bay in der Antarktis wird um 15 Uhr 8 Greenwichzeit am 31. Dezember 1999 die Sonne 35 Minuten früher als auf der Millennium-Insel aufgehen. Allerdings wird die Sonne, wie die Wissenschaftler vom Royal Observatory skeptisch anmerken, in dieser Nacht gerade einmal eine halbe Stunde hinter dem Horizont verschwunden sein. Ansonsten geht in der Antarktis die Sonne schon am 22. September auf und im nächsten Jahr am 22. März unter. Den letzten Sonnenuntergang des alten Jahrtausends haben wir also, wenn wir nicht der vom Royal Observatory eigentlich als korrekt vorgeschlagenen "puristischen Ansicht" folgen, schon verpaßt. Wer es ganz eilig hat und früher als die vermeintlich ersten auf der Katchall-Insel oder der Millennium-Insel mit gefälligerem Klima sein will, könnte sich also auf den Weg in die Antarktis machen. Aber noch "mitten" in diesem Jahr zu feiern, ist wohl doch noch seltsamer, als eine Fotografie eines Sonnenaufgangs von einer tropischen Insel den Zuhausegebliebenen und zu spät Gekommenen zeigen, der so aussieht, wie jeder andere auch.

Von großem geographischem Interesse aber, so die Wissenschaftler vom Royal Observatory, seien auch Inseln, die zu Fidschi gehören, selbst wenn sie nicht zu den Favoriten für die Jahrtausendwendefeiern gehörten. Die liegen nämlich wie Vanua Levu, Rambi und Taveuni genau auf dem 180. Längengrad, also auf der Datumsgrenze. Der höchste Berg auf Taveuni mit dem exotischen Namen Uluinggalau liege gerade 200 Meter westlich des Längengrads. Ganz verstanden habe ich allerdings nicht, worin hier das "geographische Interesse" liegt.