Innovatives Mammutprojekt oder Luftschloß?

Das Projekt CargoLifter

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Die Vision der CargoLifter AG, gegründet von Dr. Carl von Gablenz, dem Vorstandsvorsitzender, im September 1996, ist ein auf Helium-Luftschiffen basierendes globales Transportsystem für Schwerlasten. Es soll diese "point to point" zu beliebigen Bestimmungsorten zu transportieren. Ab dem Jahr 2004 will man den CL160 mit einer Länge von circa 260 Metern und einem Durchmesser von etwa 65 Metern in Serie fertigen. Die Flugleistungen des Luftschiffes sind eine Reichweite von 10.000 km bei einer maximalen Flughöhe von 2.000 m und einem Volumen von 550.000 m3. Die von CargoLifter-Experten avisierte Nutzlast von 160 Tonnen des "Fliegenden Krans" bedeutet ein Gewicht von etwa 480 Tonnen. Damit wäre ein CargoLifter etwa um ein Drittel schwerer als ein vollbeladener Jumbo-Jet.

Ein Luftschiff ist kein Flugzeug. Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden der CargoLifter AG, Dr. Carl von Gablenz.

Laut Marktstudien des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) in Bremen und der Universitäten in Frankfurt sowie Mainz besteht ein Mindestpotential an Transportdienstleistungen von 750.000 Tonnen pro Jahr, die im Rahmen von 5.000 Transporten zu befördern wären. Dies entspricht etwa 25 % des geschätzten Marktpotentials für den CargoLifter von 3 Millionen Tonnen bei einem Marktvolumen von 30 Millionen Tonnen.

Ab dem Start der Serienproduktion sollen etwa 4 Luftschiffe pro Jahr von der CL Development in Berlin und später ebenso viele an einem noch zu bestimmenden Standort in den USA gebaut werden, die von der CL Financing & Leasing finanziert und dann von der CL Transport betrieben werden. Um das Jahr 2013 herum könnten laut von Gablenz mindestens 50 "fliegende Kräne" im Einsatz sein. Vier Antriebs-Motoren mit Propellern von je 6,5 Metern Durchmesser und zusammen etwa 8200 PS Leistung sollen für eine Transportgeschwindigkeit von 80 bis 100 Stundenkilometern sorgen. Der durchschnittliche Spritverbrauch bei etwa 100 km/h soll sich auf nur 4,5 Liter pro km belaufen. Manövriertriebwerke mit einer kurzfristig verfügbaren Spitzenleistung von insgesamt bis zu 24.500 PS werden für die Lastaufnahme und das Absetzverfahren zugeschaltet.

Ein Mammutprojekt

Als Zielmärkte für den CargoLifter werden der Maschinen- und Anlagenbau, das Bauwesen, der Automobilbau und dessen Zulieferindustrie, die Offshorebranche sowie Spezialprojekte wie Hilfs- und Katastropheneinsätze angegeben. Die durchschnittlichen Kosten, die für Sondertransporte von Schwergütern über Land ermittelt wurden, liegen gemäß einer Studie des VDMA bei etwa 26 Pf/Tonnenkilometer. Für eine Boeing 747 rechnet man mit etwa 50 bis 60 Pf/Tonnenkilometer. Beim CargoLifter dürften die in der Luftfahrt üblichen direkten Betriebskosten (DOCs) pro Tonnenkilometer jedoch mindestens um den Faktor 5 höher liegen als beim Frachttransport mit dem Flugzeug und mindestens um den Faktor 10 größer sein als bei den üblichen Containerschiffen.

Studien von Lockheed und von McKinsey zeigen, daß bestehende Luftschiffkonzepte gegenüber herkömmlichen Transportmitteln nicht wettbewerbsfähig sind. Berücksichtigt man, daß der CargoLifter das 5-fache Volumen des Luftschiffes "Graf Zeppelin" LZ 127 und das 2,5-fache Volumen des Luftschiffes "Hindenburg" LZ 129 aus den 30er Jahren aufweist, so wird die Dimension dieses äußerst ambitionierten Mammutprojektes deutlich. Um dieses riesige Luftschiff zu bauen, wird gerade in Berlin der zentrale Werfthalle mit einem Investitionsaufwand von 162 Millionen DM realisiert. Mit den Abmessungen von 340 m Länge, 200 m Breite und 100 m Höhe wird die Luftschiffhalle eine der weltweit größten freitragenden Hallen sein.

Die hohen Gesamtinvestitionen von circa 900 Millionen sollen zur Hälfte über die Börse, zu etwa 9 % über Fördermittel und zu etwa 41 % über Kredite finanziert werden. Innerhalb von nur 2 Jahren sind bereits erhebliche Finanzmittel an der Börse eingespielt worden und die Zahl der Aktionäre ist mittlerweile auf über 5.000 angestiegen. Auf der ordentlichen Hauptversammlung am 10. März 1999 wurde beschlossen, das Grundkapital auf 31,5 Millionen DM aufzustocken und den Gesellschaftssitz nach Berlin zu verlegen.

Mittlerweile helfen auch der Bund und das Land Brandenburg kräftig mit. So wurde im Verhältnis 60:40 von Bund zu Land eine 80 %-ige Ausfallbürgschaft über Kredite für den Bau der geplanten Luftschiffhalle und des ersten Prototyps der CargoLifter AG in Höhe von insgesamt 104 Millionen DM genehmigt. Das Bankenkonsortium, welches die Kredite finanziert, setzt sich aus der Commerzbank, der Deutschen Bank, der Landesbank Berlin, der Bayerischen Landesbank sowie der Kreditanstalt für Wiederaufbau zusammen. Auch der deutsche Bundespräsident Roman Herzog ist mittlerweile zusammen mit den Projektinitiatoren abgelichtet worden, die im Land Brandenburg 250 neue Arbeitsplätze schaffen wollen.

Entwicklungskosten von über 2 Milliarden DM?

Während die Entwicklung des neuen Zeppelin LZ N07 in Friedrichshafen mit 8.200 m3 etwa 60-70 Millionen DM bis zur Serienfertigung kosten wird, sollen sich die Entwicklungskosten des CargoLifters mit dem nahezu 70-fachen Volumen des LZ N07 auf lediglich 218 Millionen DM belaufen. Der CargoLifter verfügt über eine Antriebsleistung von 33.000 PS bei einem Gewicht von 480 Tonnen. Demgegenüber hat das Commuter-Flugzeug Dornier Do 328 eine Antriebsleistung von insgesamt 3.600 PS bei einem Abfluggewicht von 12,5 Tonnen. Der CargoLifter benötigt somit eine um den Faktor 9 stärkere Antriebsanlage als die Do 328 und das Gesamtgewicht ist sogar um den Faktor 40 größer als beim Commuter.

Da jedoch bereits die Entwicklung des Dornier-Commuters, der im Vergleich zum CargoLifter wie ein Zwerg anmutet, über 1 Mrd. DM Entwicklungskosten verursacht hat, ist abzusehen, daß der Gigant der Lüfte weit höhere Kosten als heute angegeben verursachen könnte. Betrachtet man die in der Luftfahrt üblichen Entwicklungskosten, so dürfte die Entwicklung des CargoLifter mindestens 2 Milliarden DM kosten. Dies bedeutet jedoch nichts anderes, als daß man sich möglicherweise bei den Entwicklungskosten um den Faktor 10 verschätzt hat und daß die Kalkulationen der CargoLifter AG mit einem deutlichen Fragezeichen zu versehen sind.

Berücksichtigt man, daß der Stückpreis pro Kilogramm z.B. bei der technisch einfachen Konstruktion des Blimp (760 DM/kg) etwa doppelt so hoch ist als bei einem Jumbo-Jet (ca. 375 DM/kg), so müßte der Stückpreis für den CargoLifter mindestens bei etwa 200 Millionen DM liegen. Das heißt, dieser wäre doppelt so teuer wie von der CargoLifter AG errechnete Stückpreis von 100 Millionen DM. Hinzu käme die Entwicklungsumlage pro Stück, welche wesentlich von den Verkaufszahlen abhängig ist. Ob 10 oder 50 CargoLifter in zehn Jahren in Betrieb sind, kann heute niemand vorhersehen. Last but not least müssen auch die avisierten Betriebskosten kritisch hinterfragt werden.

Die von CargoLifter genannten Betriebskosten von 4.200 DM/h (100.000 DM/Tag) erscheinen jedenfalls unrealistisch, wenn man berücksichtigt, daß diese bei einem Businessjet schon bei 6.000 DM/h liegen. Geht man von der optimistischen Annahme von lediglich 8.000 DM/h für den CargoLifter aus, so lägen die Betriebskosten bei 200.000 DM/Tag. Dies bedeutet jedoch, daß ein fünftägiger Transport nach China Mindestkosten von 1 Million DM verursachen würde und dies ohne daß Versicherungskosten und Infrastrukturkosten für die Transportgüter berücksichtigt sind.

Die Stunde der Wahrheit kommt noch

Daß von Gablenz ein exzellenter Marketingstratege ist, wird durch den sensationellen Erfolg des Verkaufs der CargoLifter-Aktien deutlich. Von Gablenz weiß genau, daß er die Aktionäre nicht bei Laune halten kann, wenn das Projekt zu hohe Kosten verursachen würde. Deshalb arbeitet man bei der CargoLifter AG nach der Scheibchenmethode. Weitere Kapitalerhöhungen werden deshalb notwendig sein, um die Größenordnung des Projektes sukzessive nach oben zu schrauben. Nun ist es nicht so, daß diese Vorgehensweise per se falsch ist, da es ja nicht das erste Mal in Deutschland wäre, daß ein innovatives Projekt vorzeitig dem Rotstift zum Opfer fiele. Doch bei diesem Projekt liegt die Innovation nicht allein im Fluggerät, sondern vor allem in der neuartigen Logistikdienstleistung. Entscheidend für den Erfolg des Projektes, für das ein optimistisch hohes Marktpotential abgeschätzt wurde, wird jedoch sein, ob die verwendeten Technologien sicher sind und zu vernünftigen Kosten eingesetzt werden können.

Wenn sich der Trend fortsetzt, daß immer mehr Schwellenländer zur Eigenproduktion von Maschinen und Anlagen übergehen, welche heute aus Europa geliefert werden, so muß natürlich auch die Frage gestellt werden, inwieweit der prognostizierte Markt auch noch in 10 bis 20 Jahren Bestand hat. Leistungsfähigere Helikopter und Transportflugzeuge mit Kurzstart- und -landeeigenschaften als auch Großraumflugzeuge wie der Airbus A3XX oder Projekte wie das "Blended Wing Body-Konzept" von Boeing, die ebenfalls eine Nutzlast in der Größenordnung des CargoLifters haben werden, könnten zusätzlich mögliche Marktanteile reduzieren. Ob und inwieweit der Kapitalmarkt den immer größer werdenden Finanzbedarf für eine möglicherweise im Jahre 2010 nicht mehr wettbewerbsfähige Dienstleistung einspielen wird, bleibt deshalb abzuwarten. Bezüglich der Konstruktion, der Aerodynamik und der Erprobung des Lasttransportverfahrens befindet sich die Entwicklung des CargoLifters erst in einem Anfangsstadium. Bisher wurde zum Beispiel die beim CargoLifter vorgesehene Wasserrückgewinnungsanlage, die den Ballastverlust durch den Treibstoffverbrauch ausgleichen soll, niemals in Serie gebaut und in Langzeittests erprobt.

Fazit

Sicherheitsstandards, die für Luftfahrtgeräte gelten, lassen sich nicht so ohne weiteres zurückschrauben und die Integration von Systemen ist ein zeit- und kostenintensives Unterfangen. Diese Erfahrung mußten auch die Zeppelinbauer in Friedrichshafen machen. Dort ist man nach langjähriger Entwicklungsarbeit dabei, ein innovatives Luftfahrtgerät serienreif zu machen, dessen erster Prototyp sich nunmehr in der Flugerprobung befindet. Diesen dornigen Weg hat die Firma CargoLifter erst noch vor sich. Ob und inwieweit bisher in der Luftfahrt geltende Kostenstrukturen - wie von der CargoLifter AG prognostiziert - unterschritten werden können, wird die Zukunft zeigen. Von Gablenz Vision, daß der CargoLifter ein Zwitter zwischen einem Seeschiff und einem Luftfahrtgerät sei, könnte spätestens dann Schiffbruch erleiden und zu einem "Luftschloß" degenerieren, wenn die Luftfahrtbehörde, die für Geräte "Leichter als Luft" üblichen Zulassungsrichtlinien zur Anwendung bringen wird.

Die eigentliche technische Herausforderung und damit verbundene mögliche Kostenüberschreitungen werden auf das Entwicklungsteam in Brand (einem ehemaligen Militärflughafen vor den Toren Berlins) erst dann zukommen, wenn die Integration der unterschiedlichen Systeme ansteht und die zu erwartenden Probleme bei der Flugerprobung auftreten, unter anderem beim komplexen Be- und Entladeverfahren. Dann schlägt die Stunde der Wahrheit, nicht nur für die Ingenieure, sondern vor allem auch für die Aktionäre.

Die von Helmut Reinicke beschriebene Sozialpathologie der Deutschen hinsichtlich des Zeppelinkultes als ein "Opfer der Schwärmerei - ein völkischer Potlatsch (Geschenkhybris)", könnte dann ein jähes Ende an den Finanzmärkten erleben. Die Ethnologen kennen darüber hinaus den Cargokult: Wenn im Amazonas die Ureinwohner mehrmals Flugzeuge über den Himmel ziehen sahen und irgendwann sogar etwas Gutgemeintes für Sie herunterfiel, haben sie angeblich zwischen den Bäumen Flugzeugattrappen hin- und hergezogen, in der Hoffnung, daß wieder etwas für sie vom Himmel fällt. So funktioniert nach David Hume die menschliche Intelligenz.