Kunst im Keller

Ein unterirdischer Kulturraum in München

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Es kommt zwar nicht oft vor, aber manchmal paßt alles zusammen: der Ort, die Zeit und die Situation. Jahrzehntelang war es ungenutzt, ein 2.000 Quadratmeter großes Labyrinth im Untergrund von Haidhausen. Das System aus fünf großen Hallen, mehreren kleinen Räumen und Nischen, Hunderten Meter Gängen - ursprünglich war es der Kühlraum einer Brauerei, damals, als es noch keine elektrischen Kühlaggregate gab. Erst nach jahrelangen Diskussionen stand die künftige Verwendung fest - als Kulturzentrum, Heimat von fünf Institutionen, die als Initiativgruppen auftraten: das Freie Musikzentrum (FMZ) von Haidhausen, der Jazzklub Unterfahrt, das Theater Rechts der Isar, das 'Kino im Museum' und die 'Echtzeit-Halle'". Der Übergang von der Planung zur Realisierung wurde durch ein Programm zur Arbeitsbeschaffung möglich, die Eigentümerin der Kellerräume, die Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung, wendet sieben Millionen Mark auf, um hier ein Theater, ein Kino, ein Videocafé und noch vieles mehr entstehen zu lassen.

Noch stecken die Arbeiten am Anfang, Arbeiter ziehen Mauern und legen Böden, und dazwischen sieht man Künstler, für die aus der feuchten Dämmerung heraus schon Visionen von Diskussionsräumen, Videolaboratorien und Musik-Begegnungsräumen auftauchen. Um die Öffentlichkeit vorzubereiten, wurde unter der Federführung des FMZ eine Ausstellung zum Thema Medienkunst inszeniert. Dabei geschah das kleine Wunder: Kaum hatte sich die Kunde von der neuen Kunststätte in München verbreitet, da meldeten sich bei Jörg Schäffer, Bernhard Thurz und Dieter Trüstedt vom FMZ, die mit der Organisation betraut waren, Dutzende von Künstlern, die ohne größere Formalitäten einfach mitmachen wollten. Und so kam, ohne lange Planungen, eine Ausstellung zustande, die höchst verschiedene Aspekte der Medienkunst aufzeigte, aber in jedem Objekt eigenständig, eindrucksvoll und anregend. Und ebenso, gewissermaßen von selbst, ergab sich der Name des Kulturellen Zentrums - plötzlich wurde es wegen der benachbarten Einsteinstraße "Einstein" genannt. Und dementsprechend hieß die Ausstellung 'Installationen im Einstein'. Es gab kaum Geld, einige tausend Mark mußten reichen, es gab keine großen Ankündigungen und Presseveranstaltungen, und trotzdem erschienen an den vier Tagen Mengen von Besuchern; sie kamen vom Lichthof des Häuserblocks der Einsteinstraße 42 in eine fremdartige Welt, in der die Anmutung der Höhle zusammen mit den Licht- und Toneffekten der Medienobjekte zu einem einmaligen Erlebnis führten.

Die Räume waren nur so weit vorbereitet, daß man sich unbeschadet hindurchbewegen konnte, sonst aber war noch alles im alten Zustand belassen. Es ist feucht und kalt, unter den Füßen knirscht Ziegelgrus und Mörtel, stellenweise ist es so dunkel, daß man sich an den Wänden vorwärtstasten muß. Und dann gelangt man plötzlich in einen endlosen Gang, an dessen Ende wie eine wundersame Erscheinung ein Spiel von farbigem Licht abläuft - das 'Lichtfenster' von Florian Trüstedt.

Nur wenige Schritte weiter liegt ein Raum, dessen einzige Lichtquelle ein Laser ist, der Strahl von Silberpapier reflektiert und in tiefroten Flecken an Wände und Decke geworfen, dazu kommen computergesteuerte Toneffekte aus den vier Ecken des Raums - es ist die Installation "AusZeit" von Jörg Stelkens. In einer großen Halle sind aus Papier geschnittene Flächen aufgehängt, von projizierten Bildern beleuchtet. Der Besucher muß sich dazwischen "durchwühlen" und erlebt immer wieder überraschende Änderungen von Licht und Dunkel - das Objekt "Colors in motion" von Ute Illig.

Ein ähnliches Erlebnis hat man in einem Lichtraum, "ShyLight" von Bernhart Thurz; es handelt sich um eine Batterie halbtransparenter Stoffquadrate, die das Licht aufhalten oder durchlassen, abhängig vom Besucher, der die Rahmen bewegt. Die Grenze zur Wissenschaft steckt die "Arbeitsgruppe Chaos, Musik und Kunst" mit Peter Neubäcker ab - mit einem sogenannten Chaospendel, dessen Bahn durch elektromagnetische Abstoßung über unvorhersehbare Wege geleitet wird; diese Bewegung wird durch Sensoren aufgenommen und in Töne umgesetzt.

Zu den eindrucksvollsten Präsentationen gehört "Être - Hommage à Descartes" von Jörg Schäffer - in der größten Halle ist auf dem Boden durch eine Vielzahl brennender Kerzen die Figur eines Kreuzes ausgelegt, dazwischen kleine Figürchen mit symbolischer Bedeutung. Diese Präsentation strahlt eine unbeschreibliche Ruhe aus, eine Wirkung, die ohne den großen leeren Raum und die Dunkelheit nicht zustande gekommen wäre. Nur selten findet ein Künstler, der nicht zu den ganz großen Stars gehört, eine solche Gelegenheit zur Präsentation seines Werks.

Die Renovierungsarbeiten im unterirdischen Gelände werden weitergehen, und auch verschiedene Kunstveranstaltungen sind geplant. Lichtanlagen werden gelegt, Heizungen eingebaut, Boden, Decken und Wände geglättet. Die künftigen Benutzer warten schon auf den Moment, in dem sie hier wohnliche Räume zum ständigen Aufenthalt zur Verfügung haben. Und trotzdem drängt sich eine leise Wehmut auf: Es wird nie wieder so sein wie damals, bei der ersten Ausstellung, als man, die Hände tastend vorgestreckt, zwischen Mauerresten und Säulen dahinwanderte und jedes hinter einer Ecke auftauchende Objekt zu einer faszinierenden Entdeckung wurde.

Alle Fotos von Jens Groh, München

Nähere Angaben über das "Einstein", über Ausstellung und Künstler sind über Internet erhältlich: Einstein