Godzilla 98 ist tot! Lang lebe Godzilla!

Plädoyer für ein unamerikanisches Monster

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Nachdem Roland Emmerichs Godzilla in Amerika gefloppt ist, marschiert das schwäbisch-amerikanische Monster nun seinen diversen Europastarts entgegen (in Deutschland: 10. September 1998). Über das Wie und Warum des Scheiterns dieses Remakes herrscht unter Kritikern und Zeitgeistlern auf beiden Seiten des Atlantik einig Uneinigkeit. Blockbustermüdigkeit? Animations-Overload? Ein zu unamerikanisches Monster?

Sommerzeit! Blockbusterzeit! Katastrophenzeit! Auf einer Pressekonferenz anlässlich des diesjährigen amerikanischen Unabhängigkeitstages sagte der amerikanische Präsident Bill Clinton, dass die wahren Helden sich nicht im All befänden, um Asteroide zu bekämpfen (Anspielung auf den Film "Armageddon"), sondern sich in Florida zu Tausenden mit den dort wütenden Buschfeuern reale Gefechte liefern würden. In dieser kleinen Rede drückt sich, dramatisch-skurill, etwas von den Zeichen der Zeit aus, etwas von den realen Ängsten Amerikas und etwas von der amerikanischen Unersättlichkeit nach patriotischen Heldenepen, die in Welt-Blockbustern verpackt, amerikanische Schlachten thematisieren. "Godzilla" hat vor dem US-Start des Films für eine Weile versprochen, die thematische Lücke zwischen der übrigen Welt und Amerika mit dem Remake eines nicht-amerikanischen Nationalepos, in diesem Fall aus Japan, schliessen zu können. Diese Hoffnung bleibt unerfüllt.

Das ist insofern schade, als dass Godzilla ein ambivalent besetzter Megamythos besonderer Art ist, und in eben diesem Jahr, mit Tagesthemen wie der Globalisierung, asiatischen Wirtschaftskrisen, orientalischen Nuklearbomben usw., ein angemessenes Remake durchwegs lohnend gewesen wäre. Statt dessen ist Godzilla 98 ein ausserordentlich peinliches Produkt. Mehr als nur zynisch wirkt, dass das amerikanische Godzilla-Monster auf diversen US-Titelblättern unter anderem für die "New Economy" (auf dem Juni-Wired) strammsteht, während in Japan, seiner eigentlichen Heimat, die Wirtschaft in Truemmern liegt. Tröstend wirkt bei soviel Taktlosigkeit nur, dass es Amerika mit diesem unsäglichen Remake nicht gelungen ist, einen Erfolg für die eigene Industrie zu verbuchen.

Der Saurier und der Mutant sind uns nichts Neues. In zyklischer Wiederkehr tauchen beide Arten immer wieder in unseren Unterhaltungsmärchen auf. Insbesondere der Saurier ist dem Menschen in den letzten Jahren besonders nahe gerückt und hat sich ausgedehnte Markt- und Bewusstseinssegmente erobern können. Neben solch ethischen Fragen wie dem menschlichen Wachstum und einem natürlichen Untergang unserer Art, waren die spezifischen Saurierfantasien der 90er von den Fragen nach der Kraft des Gens geprägt. Wir dürfen eigentlich nicht damit spassen, aber im Spiel mit den genetischen Codes erschaffen wir nicht nur ausgestorbene Spezien, sondern möglicherweise auch uns selbst neu. Das ist verführerisch und macht selbst ein Monster wie den T-Rex auf eine - freilich diabolische - Weise sexy. Jurassic Park war mit seinem Aufbau, der Anwendung, Entwicklung und Thematisierung des Stoffs über domestizierte (virtual reality) Urweltbestien, ein Paradeepos über unsere Befindlichkeiten bezüglich unseres Seins und unserer Fantasien, unsere materielle Wirklichkeit mit synthetischen (biotechnischen, digitalen) Mitteln zu überwinden. Auf dieser Ebene konnten wir uns mit den Sauriern verbandeln, in dieser Identifikation kamen viele der widersprüchlichen Empfindungen und Begehrlichkeiten für uns in einem Film zusammen.

Die thematische Nähe des Mutanten zum Saurier muss für Emmerich und Co. einen garantierten Filmhit im Sinne eines ebenbürtigen Erben des Jurassic Park versprochen haben. Macher und PR von Godzilla sparten denn auch nicht mit diversen konkurrierenden Vergleichen. Abgesehen von rein äusserlichen Ähnlichkeiten, entspricht der Mutant allerdings einem fundamental entgegensetzten Populärmythos als der Saurier. Während der Saurierepos vom reizvollen Spiel mit den Möglichkeiten unserer Experimente kündet, berichtet der Mutant, hier: Godzilla, von Deformierung, Tod und Verwüstung, nachdem wir die aus dem Experiment ausgebrochenen Kräfte nicht mehr kontrollieren können. Roland Emmerich hat gemeinsam mit seinen Produktionspartnern seine Fähigkeiten für Verwüstungs-Inszenierungen in "Independence Day" bereits beeindruckend zur Schau gestellt. Zu einem Godzilla-Remake gehört allerdings mehr als nur Zerstörungslust - auch wenn die Heimsuchung New Yorks durch das Monster zu einem der furchterregendsten Spektakel gehört, das jemals auf Zelluloid gebannt worden ist.

Der Original-Godzilla "Gojira" (Regie: Inoshiro Honda, ein Schüler Akira Kurosawas) erstand 1954 als mutierte Meerechse aus den radioaktiv verseuchten Gewässern Japans - damals ein Land, dessen Stimmung von einem seit 45 anhaltenden Nukleartrauma gezeichnet war. Der eigentliche Entschluss zur Realisierung von Godzilla kam, als japanische Fischer 1953 im Südpazifik in den Fallout amerikanischer Atombombentests gerieten und durch die Verstrahlung bedingt (unter Anteilnahme der gesamten japanischen Bevölkerung) binnen Wochen qualvoll verstarben. Der Film, so bezeugen es seine Macher noch heute, hatte heilsam austreibende Wirkungen, auf die von solchen Realängsten gequälten Japaner. Nach dem Erstling folgten bis dato 40 Nachfolgefilme. In diesen Filmen wandelte sich das Monster sehr schnell vom bösartig-schuppigen Menschenfeind zum rundlich-freundlichen Märchenmonster, zum Menschenfreund und -verteidiger. Alle erfolgreichen Godzillafilme Japans wurden im Uebrigen klassisch produziert, d.h. in "Suitmation" (Darstellung in Monsterkostümen) und in Modellbau-Landschaften. Diverse Versuche in den 80ern diese Produktionsweise, wie auch den Charakter des Monsters zu "modernisieren", wurden vom Publikum abgelehnt.

Back to the Future: Beim eigentlichen Godzilla 98 Monster haben sich die Macher sehr viel Muehe gegeben, um sich vom Märchenmonster der Japaner abzusetzen. In Emmerichs Version ist das Monster eine schlank-schnittige Echse, mit deutlichen Design-Einflüssen aus "Alien", sowie - wie beschrieben - dem T-Rex aus Jurassic Park. Die amerikanische Godzilla Online-Site ist dem schnittigen Design-Konzept angemessen. Technisch aufwendig blinkt und zappelt die Site in den Godzilla 98 Farben Grün und Schwarz (Ökologie und Tod?), man offeriert ein Online-Godzilla Spiel, Trailerclips, Godzillagebrüll, Details vom Set, Hintergründe, Interviews usw. Die schiere Informationsmasse wurde offensichtlich aus den grosszügig im Netz bereitgestellten Godzilla Fan-Webseiten übernommen. Das mag auf den ersten Blick nicht weiter aufhalten, vergleicht man aber die Inhalte der Sites, entdeckt man einen weiteren Hinweis auf das Wie des Scheiterns von Godzilla 98: Die Godzilla-Fansites verschenken nicht nur massenweise Stories, Stils und Filmausschnitte aus den 40 Godzillafilmen (Godzilla Raids Again, Godzilla vs. King Kong, Godzilla vs. Mothra, Godzilla vs. the Smog Monster usw.), in den zahlreichen Abhandlungen wird vor allem immer wieder der menschliche Anteil an der Katastrophe und die positive Botschaft der Godzillafilme betont: Nur in der Gemeinschaft kann der Mensch seine Ängste, die von Menschen gemachten Alpträume unseres Zeitalters bändigen. Und: Indem wir unsere Monster vermenschlichen, werden diese für uns kontrollierbar.

Godzilla 98 hat dem weder inhaltlich noch formal etwas Überzeugendes hinzuzufuegen. Die nach Stereotypen zusammengestellten, von einander isoliert handelnden Charaktere (Broderick als ökobewusster Wissenschafter, Pitillo als Freundin, Azaria stellt einen Kameramann, Reno einen zwielichtigen Franzosen dar) fügen zwar zuweilen so etwas ähnliches wie eine Substory in die Monsterauftritte ein, aber schliesslich führen all die Schwächen der Handlung und der Charakterentwicklungen, gepaart mit den vielen schlechten Animationen, entgültig zu gähnender Langeweile und schierem Verdruss. Kurzum: Hätte man in Godzilla 98 dem widersprüchlich, menschlichen Potential des grossartigen Urstoffs mehr Respekt gezollt, wer weiss: Vielleicht wäre mit ein paar erzählerischen Handgriffen der Sprung vom 50er Kultmonster zum Gegenwartsmonster gelungen und wäre aus Godzilla 98, trotz schlechter Computeranimation, doch noch ein guter Film geworden.

In diesem Film hätten wir möglicherweise Ängste, Begehrlichkeiten und andere Empfindungen entdecken können, mit denen wir uns in diesem Jahrzehnt konfrontieren sehen. Wer braucht Godzilla 98, wenn wir im Zeitalter von "New Order", "New Economy", eines "globalen Marktes" und anderer Realbedrohungen leben? Es bräuchte mindestens einen waschechten, einen menschlichen Godzilla, um uns die Angst vor diesen Monstern zu nehmen. Also: Godzilla 98 ist tot! Lang lebe Godzilla!

Godzilla
USA, 1998
R: Roland Emmerich.
P: Sony/Colombia TriStar
D: Matthew Broderick, Maria Pitillo, Jean Reno u.a.
Sites:
BRD: www.columbiatristar.de/filme/godzilla/content.html USA: www.godzilla.com