Kommunikation mit dem Selbst

Ein Email-Interview mit Igor Stromajer

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Der erste Auftritt von Igor Stromajer war ein Überraschungscoup: Bei dem Netzkunstwettbewerb "Extension" der Hamburger Kunsthalle 1997 kam, sah und siegte Stromajer mit seiner Arbeit "0.html". Obwohl er in der Netzkunstszene bisher kaum auf sich aufmerksam gemacht hatte, bekam er aus dem Stand den ersten Preis, und war davon wahrscheinlich selbst am meisten verblüfft.

Animiertes GIF von Igor Stromajer.

In den folgenden zwei Jahren hat er auf seiner Domain www.intima.org eine Sammlung von eigenen Netzarbeiten aufgebaut, die zu den am besten gestalteten net.art-Werken im ganzen Internet gehören, auch wenn er selbst im folgenden Interview betont, daß es ihm nicht um WWW-Schönheit geht. Sein letztes größeres Netz-Opus "b.ALT.ica" besticht aber durch die schlichte, fast durchgehend schwarz-weiße Gestaltung mindestens ebenso wie durch die spirituell-philosophische Dimension, die sich freilich erst langsam erschließt. Auch andere Arbeiten wie zum Beispiel "e/motion" sind zum Teil visuell stark reduziert, aber gleichzeitig sehr sorgfältig programmiert. Allen gemeinsam ist die Zeichenhaftigkeit und die ikonographische Stilisierung.

Animiertes GIF von Igor Stromajer.

Doch die künstlerischen Arbeit des 32jährigen Slowenen beschränkt sich nicht auf Web Art. In seiner Heimatstadt Ljubliana hat er zuletzt im Städtischen Theater die Internet-Performance "Oppera Teorettikka Internettikka" aufgeführt, bei der er dem Publikum sein eigenes Netzkunst-Manifest ebenso wie Java-Scripts mit tiefer Stimme vorsang - eine Darbietung, die viele Zuschauer an mittelalterliche Choräle erinnerte. Mit seinem großen, kahlgeschorenen Kopf und seinem Kinnbart wirkt er bei solchen Auftritten immer ein wenig wie ein Mönch oder ein Priester. Und obwohl er selbst die kommunikative Seite seiner Arbeit hervorhebt, ist für den studierten Theaterregisseur Askese und Isolation der wichtigste Aspekt seiner Netzkunst. Das folgende Interview wurde per Email geführt.

Dein Online-Name ist "Intima". Warum hast du ihn gewählt, und was für eine Bedeutung hat er für deine Arbeit?

Igor Stromajer: "Intima" ist ein künstlerisches Zeichen, eine Art Markenzeichen für alles, was ich tue - sowohl in der Kunst wie im Leben, denn ich sehe eine starke Verbindung zwischen dem einen und dem anderen. Was mich an der Netzkunst besonders interessiert, ist der eine Betrachter, der sich gerade ein bestimmtes net.art-Projekt ansieht. Da ist immer ein invidualisierter Empfänger, der am anderen Ende am Computer sitzt. Sie oder er sind dazu verurteilt, mit der net.art-Arbeit auf eine sehr intime Art. Wenn man am Computer sitzt, kommuniziert man letztlich immer mit sich selbst. Das Betrachten von Netzkunst ist also auch eine Art Auto-Kommunikation, Masturbation, die von den künstlerischen Impulsen, die aus dem Werk kommen, beeinflußt wird.

Die Basis meiner Arbeit ist Individualität, und die Schlüsselworte für alle meine Aktivitäten sind Abgeschiedenheit und Askese. Daher kommt mein Künstlerpseudonym "intima", denn ich glaube, daß Netzkunst die intimste Art von Kunst ist, die es je gegeben hat. Und gleichzeitig die gefährlichste.

Warum und für wen wäre es denn gefährlich, wenn Leute isoliert vor ihren Computern sitzen?

Igor Stromajer: Die Arbeit mit dem Computer ist ein Prozeß sehr intensiver Kommunikation mit sich selbst. Diese Art von Kunst macht den Benutzer und Teilnehmer zu einem Mitschöpfer des Kunstwerks: man muß aktiv sein, um in dieser digitalen Umwelt zu überleben. Wenn man nichts tut, bringt einen das in eine sehr gefährliche Situation: du wirst ohnmächtig, und kannst deine Position in einem Werk nicht kontrollieren und auf die Arbeit zu reagieren. Das ist gefährlich.

Aber viele Künstler interessieren sich für das Internet nicht, weil es ihnen Kommunikation mit sich selbst erlaubt, wie du sagst, sondern weil es sie in die Lage versetzt, potentiell mit der ganzen Welt zu kommunizieren. Was du sagst, scheint eher auf Computer-Kunst zuzutreffen...

Igor Stromajer: Die Möglichkeit, mit der ganzen Welt zu kommunizieren, ist natürlich großartig, und es macht auch Spaß, zu Festivals und Ausstellungen auf der ganzen Welt eingeladen zu werden statt nur in der Galerie am Ort ausgestellt zu werden. Aber das ist nicht das Wichtigste. Im Gegenteil, viele Möchte-gern-Künstler können sich so einbilden, daß sie international bekannt sind. Was ich mit aktiver Auto-Kommunikation meine, ist der intime Prozeß zwischen dem User und der net.art Arbeit. Das Interface ist dabei nur ein Werkzeug, virtuelles Material. Worum es mir geht, ist die Geschichte, die Botschaft. Die Netzkommunikation mit anderen ist nur Oberfläche, in Wirklichkeit spricht jeder mit sich selbst. Auch eine Email-Unterhaltung ist eher ein Monolog mit Verzögerungen als ein Dialog. Wenn man sich mit einem net.art-Projekt und seiner dynamischen und verteilten Struktur beschäftigt, werden die Signale in Körperreaktionen übersetzt und dienen dazu, sich mit selbst zu beschäftigen, mit den eigenen Aktivitäten, Reaktionen, Gefühlen, ja sogar mit den eigenen Knochen,. Fleisch, Blut, Sperma: allem, was wir haben.

An deiner Arbeit fällt auf, daß du viel gefundenes Material benutzt und deine Webseiten wie digitale Collagen aussehen. Was hat dieses unpersönliche, vorgefertigte Material mit der Auto-Kommunikation zu tun, von der du sprichst?

Igor Stromajer: Ich suche mir diese ganzen Sachen im Netz zusammen, und betrachte mich mehr als Sammler denn als Schöpfer. Warum soll man noch selbst etwas erschaffen, wenn alles schon da ist? Ich brauche bloß nach nützlichem oder nutzlosem Material zu suchen, um es zu einem eigenen Statement in einer anderen Umgebung zu kombinieren. Bei meinem Suchmissionen im Netz finde ich oft Material, das mich provoziert, und ich will mich irgendwie dagegen wehren. Ich lasse es zu, daß dieses Material mich emotional berührt, und darum archiviere ich dieses Material und versuche, auch andere Menschen emotional zu berühren. Ich weine oft, und ich will anderen zeigen, daß sie auch weinen können. Damit will ich ihre Kommunikation mit sich selbst provozieren.

Aber die meisten dieser Bilder aus dem Netz wurden für kommerzielle oder Informationszwecke geschaffen. Ihr Zweck ist eigentlich nicht, uns emotional zu berühren, und schon aus technischen Gründen, wie die niedrige Auflösung und die schlechte Qualität der Bilder, ist es auch etwas schwierig vorzustellen, daß sie das tun. Wie willst du erreichen, daß sie trotzdem jemand gefühlsmäßig berühren?

Igor Stromajer: Gefühle sind weder ein Privileg von Lebewesen, und auch nicht von der Kunst. Acuh Geschäftsleute, Supermärkte, politische Propaganda, Handies, Satellitentechnologie, internationale Konzerne, medizinische Geräte und die Börsen könnten voller Emotionen sein, und sind es wahrscheinlich sogar. Willst du sagen, daß schlechte Qualität Emotionen ausschließt? Im Gegenteil, ich sehe es als eine Low-Tech-Lösung für High-tech-Kunst.

Aber entleert die Kombination von sehr verschiedenen Bildern in deinen Arbeiten diese nicht gerade von ihrer Bedeutung?

Igor Stromajer: Es gibt ihnen auf jeden Fall eine neue Bedeutung. Es macht mir sehr viel Spaß, die Bedeutung eines Bildes vollkommen zu verändern, wenn es in das Konzept meiner Arbeit paßt. Manchmal bin ich überrascht und schockiert von der alternativen Bedeutung, die ein Bild mir sehr aggressiv nahelegt. In der Welt jenseits des Internets ist es dasselbe. Wir konsumieren Bilder, und wir setzten sie auf verschiedene Arten neu zusammen. Unser Gehirn ist in der Lage, sich die fantastischsten Kombinationen auszumalen, und im Netz ist das nicht anders - natürlich mit ein bißchen Hilfe des Netzkünstlers. Wenn wir von Netzkunst sprechen, sprechen wir letztlich von unbegrenzten Betrachtungsweisen und Perspektiven, bei denen ein Bild in Verbindung mit anderen im Grunde alles bedeuten kann, was wir, also der Künstler zusammen mit dem Nutzer, wollen. Allerdings sind Bilder in meiner Arbeit nicht das wichtigste Thema.

Die Netzkunstszene ist die erste Kunstbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg, die wirklich die Grenze zwischen Ost- und Westeuropa überschreitet. Wo siehst du dich als Slowene in diesem Zusammenhang? Glaubst du, daß an deiner Arbeit etwas spezifisch "Östliches" ist? Oder glaubst Du, daß diese Paradigmen keine Bedeutung mehr haben?

Igor Stromajer: Sowohl als auch. Ich glaube an eine "Ostseele" und die spielt auch in meiner Kunst eine Rolle. Aber das hat vielleicht mehr damit zu tun, daß ich im Osten aufgewachsen bin, und weniger mit meinen konkreten Projekten, weil es mir sehr schwer fallen würde, meine Arbeit in diesem Zusammenhang zu sehen. Es ist mehr eine allgemeine Haltung, die von Offenheit, Ehrlichkeit und Aufgeschlossenheit, die nicht immer sehr rational ist, geprägt ist. Aber diese Eigenschaften sind natürlich nicht die exklusiven Vorrechte von Osteuropäern, und es ist auch nicht mein wichtigstes Interesse, nach der Grenze zwischen Ost und West zu suchen.

Ich würde gerne noch über ein bestimmte Arbeit von dir sprechen. Kannst du etwas zu "b.ALT.ica" sagen, was meines Wissens nach deine letzte Arbeit ist...

Igor Stromajer: Die neuesten Arbeiten sind "Oppera Teorettikka Internettikka - Stromajer is singing the theory of Internet", eine Bühnenperformance und "zvrst3", eine Sammlung von net.art.trash für ein Festival in Rußland.

Etwas über "b.ALT.ica" zu sagen, ist sehr schwer für. Das Projekt ist meinem Vater gewidmet, denn er lebt jetzt in "b.ALT.ica". Es ist das Land am Ende der Zeit. Das Jenseits. Und es ist sehr emotional. Es ist über die Beziehung zwischen Kommunikation und Kommunismus. Darüber, was Kunst ist und was keine Kunst ist. Über unzensierten Himmelsblick, über Unzeit-Zonen, die Definition von net.art, Viruse und das letzte Gehirnspiel. Darüber nicht zu leiden, denn jedesmal, wenn du gest, sterbe ich ein bißchen. Und darüber, wohin all die Blumen sind. Das ist "b.ALT ica", und das ist es auch, worüber ich die ganze Zeit nachdenke.

Ich habe das Gefühl, daß Netzkunst, bei der es vor allem um die Gestaltung von Webseiten geht, nicht mehr wichtig ist. Was denkst du, wohin sich die Netzkunst und besonders Deine eigene Arbeit entwickeln wird?

Igor Stromajer: Ich bin absolut davon überzeugt, daß es keine Netzkunst gibt, die lediglich Webdesign ist. Denn beim Design geht es darum, Dinge zu schaffen, die schön aussehen, aber Kunst hat im Allgemeinen natürlich nichts mit Schönheit zu tun.

Das Internet wird sich als Medium dahin weiter entwickeln, daß irgendwann alles miteinander verbunden ist, und alles, jede Waschmaschine, jeder Toaster, jeder Kühlschrank, jedes Auto, miteinander verbunden sind. Wenn man heute von Interaktion als eins der Grundprinzipien der Netzkunst spricht, ist das falsch, denn was wir jetzt haben, ist nur die unwichtige Oberfläche von etwas, von dem wir uns wünschen würden, das es eine Interaktion ist. Ist es aber nicht. Die echte Interaktion kommt erst noch. Es wird komplexe Verbindungen zwischen den Maschinen und uns und unserem Körper geben. Nano-Roboter werden sich in unserem Fleisch niederlassen, und jeder Mensch wird eine Art wandelnder Servercomputer werden, der mit allem, was ihn umgibt, kommuniziert, interagiert und sich verbindet, während er herumläuft. Das Internet als solches wird verschwinden oder sich in etwas sehr persönliches, intimes und kleines verwandeln und als Medium gleichzeitig total global und riesig sein. Es muß ein physischer und materieller Teil unseres Körpers werden, wenn es irgendwie überleben will. Also, Körper-gestützte Handies und GPS sind die Zukunft. Kannst Du Dir die Kunst vorstellen, die unter solchen Umständen entsteht?