Die Suche nach dem Nullpunkt

Wer über "Fight Club" schreibt, verletzt auch schon die erste und wichtigste Regel des Fight Club: "Du sprichst nicht über den Fight Club". Der Club ist ein Ort der blutenden Körper, in der das alles relativierende Wort nichts zu suchen hat. Doch Kritiker waren immer schon Spielverderber, und der neue Film von David Fincher teilt keineswegs das Schweigegebot seiner Akteure.

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Alles beginnt damit, dass ein namenloser Mann (Edward Norton) keinen Schlaf findet. Sich selbst empfindet er als "die Kopie einer Kopie einer Kopie", seine Einrichtung hat er sich aus Prospekten einer bekannten schwedischen Fast-furniture-Firma zusammengestellt, und zu seinem Job gehört die Begutachtung verkohlter Unfallopfer. Eine moderne Kafka-Figur also, wenn da nicht die Selbsthilfegruppen wären, die bald zum Hobby des Namenlosen werden. Auf der Suche nach einem Ausweg aus seiner Xerox-Existenz landet er bei einer Gruppe Männer mit Hodenkrebs, die sich gegenseitig das Leid von der Entmannung klagen. Schon am ersten Abend landet der Erzähler an der gewaltigen Brust von Big Bob (Meat Loaf), eines Bodybuilders, der sich mit Steroiden und Hormonen in eine Riesen-Walküre verwandelt hat. Die Umarmung der beiden Männer wird zu einer Erlösung für den Erzähler, Enthüllung eines Leids größer als das eigene und Rückkehr zur Mutter zugleich. Schon bald hat er sich einen Selbsthilfegruppen-Stundenplan erstellt, der es ihn an jedem Abend erlaubt, ein anderes Leiden sein eigen zu nennen: Parasitenbefall, Tuberkulose im Endstadium, Gehirntumor.

Doch seine Nemesis in Form einer weiteren Xerox-Kopie seiner selbst lässt nicht lange auf sich warten. Marla Singer (Helena Bonham Carter) besucht als Zaungast dieselben Gruppen wie er, und in ihrer spiegelt sich seine eigene Lüge. Ein anderer Kick muss also her, der kurz darauf in der Gestalt von Tyler Durden (Brad Pitt) erscheint. Auch er ist eine Spiegelung des Erzählers, der Mr. Hyde zu seinem Jekyll: anarchisch, asozial, gewalttätig. Durden scheint ein wandelndes Handbuch des Anarchismus zu sein, der Sätze von sich gibt wie: "Die Dinge, die du besitzt, besitzen am Ende dich." "Du bist nicht der Inhalt deiner Brieftasche." "Selbstverbesserung ist Masturbation. Vielleicht ist Selbstzerstörung die Antwort." Das klingt revolutionär, aber man hat es schon mal gehört. Auch das radikal Andere, das Durdens Worte versprechen, erscheint als Kopie.

Doch Durden bleibt nicht bei Worten, er ist bereit, für die von ihm versprochene Differenz einen Schritt weiter zu gehen. Und wie immer muss der Körper herhalten, wenn es darum geht, einen Referenzpunkt für die eigenen Worte zu schaffen. Wort muss eben Fleisch werden. Nach einer ersten gemeinsamen Prügelei finden der Erzähler und Durden Gefallen an Schmerz und Wundmalen und gründen den Fight Club, der schon bald regen Zulauf hat. Junge Männer treffen sich in einem Keller und lassen ihre normalerweise in gleichmachenden Business-Anzügen verborgenen Körper zu Tage treten. Ziel ist es, dem anderen so viel Schmerzen zuzufügen, bis er aufgibt, dabei aber möglichst viele eigene Wundmale davonzutragen, die einen dann von den Kollegen unterscheiden. Schon bald begegnet der Erzähler überall Männern mit Pflastern und blauen Augen, die sich verschwörerisch zublinzeln, und aus einer Vereinigung zur Hervorbringung extremer Emotionen ist eine weitere Selbsthilfegruppe geworden, in der sich jeweils paarweise Männer ihre Abgründe offenbaren. Auch der körperliche Schmerz scheint also keinen Ausweg zu bieten aus der entropischen Bewegung hin zu einer Welt ohne Differenzen, und Durden muss noch einen Schritt weiter gehen. Er bildet aus dem locker gefügten Club eine faschistoide Gemeinschaft heran, deren erklärtes Ziel es ist, "alles zu zerstören". Man trägt Schwarz, spricht auswendig gelernte Sätze und gehorcht. Die Sehnsucht nach Differenz führt zur Uniformität.

Bevor nun der Eindruck entsteht, "Fight Club" sei eine kopflastige Inszenierung der Theorien von Klaus Theweleit, hier die Entwarnung: Der Film ist in erster Linie brillantes Kino. David Fincher gelingt es, ein geschlossenes visuelles Universum zu entwerfen, in der keine Einstellung aus dem Rahmen fällt. Das Setting erinnert an "Sieben", eine bräunliche Vorhölle also, in der tatsächlich fast alle Differenzen verschwunden sind. Es herrscht Dämmerung, irgendwo zwischen Tag und Nacht, Wasser fließt durch alle Räume und verwischt die Grenzen, das Haus von Durden ist in Auflösung begriffen, Privatsphären gibt es nicht (die Ikea-Wohnung des Erzählers fällt einem geheimnisvollen Brand zum Opfer), selbst geschlechtspezifische Unterschiede verschwinden, wie im Fall von Big Bob. Wie beim Erzähler erwacht auch beim Zuschauer eine Sehnsucht nach einer Ausbruchmöglichkeit aus diesem entropischen Universum.

Tyler Durden bezeichnet diese Sehnsucht als die "Suche nach dem Nullpunkt". Dieser Punkt steht für ihn am Ende eines Prozesses der stetigen Entäußerung: Gib deinen Besitz weg, verabschiede dich von deinen Meinungen, deinem Geld, deinem Ego, und am Ende bleibt etwas übrig, die unverwechselbare Essenz, in der sich das revolutionäre Potential birgt. Doch der Film straft ihn Lügen, indem er dieses Begehren nach Essenz und Revolution selbst als konventionell und gefährlich entlarvt, jedenfalls in seiner Ausrichtung auf den Körper als Ort der Differenzierung. Darin ist "Fight Club" "Glamorama", dem neuen Roman von Bret Easton Ellis, sehr ähnlich. Auch dort findet sich der charismatische Führer einer Terror-Einheit, der abgenudelte Revolutionsphrasen von sich gibt und gesellschaftliche Veränderung vor allem in der mediengerechten Zerstörung von Körpern sucht. Und wie der Film setzt auch der Roman auf gewalttätige Szenen, die in ihrer Maßlosigkeit schockieren, aber zu keinem Moment den erhofften Durchbruch bringen.

Was beide Werke so faszinierend macht, ist das Selbstbewusstsein, mit dem sie zwischen Schock-Kunst mit Veränderungspotential und oberflächlichem Medienspektakel angesiedelt sind. "Glamorama" schmeißt nur so mit Celebrity- und Markennamen um sich, und "Fight Club" hat mit Brad Pitt und Edward Norton zwei ausgesprochen publikumswirksame Stars aufzubieten. Andererseits setzen beide Werke auf außerordentliche gewalttätige, körperliche Szenen und entwerfen sinnentleerte Welten, die von herkömmlicher Hollywood-Harmonie meilenweit entfernt sind. Sowohl Ellis als auch Fincher sind sich bewusst, mit ihren Werken Medien-Spektakel abgeliefert zu haben, die genau die passive Rezeptionshaltung fördern, die sie andererseits so vehement bloßstellen wollen. Ein nicht auflösbarer Widerspruch, sieht man von bestimmten Pornokinos ab, in denen die Körper der Zuschauer vor der Leinwand mit in die Handlung einbezogen werden. Fincher lässt die Körper seiner Zuschauer unangetastet, macht aber die Illusionsmaschinerie des Kinos deutlich, indem er Durden in einem seiner Jobs als Filmvorführer Schnipsel aus Pornos in Disney-Filme schneiden lässt. Das bringt die Kleinen zum Weinen und führt bei ihnen vielleicht zu dem Schock, den Fincher bei seinem erwachsenen Großstadtpublikum nicht mehr zu erhoffen wagt. Wenn am Ende des Films kurz ein Schwanz auf der Leinwand zu sehen ist, ist das nicht die Rückkehr des verdrängten Zuschauer-Körpers, sondern nur ein weiterer selbstreflexiver Scherz. Trotzdem: Betreten auf eigene Gefahr.