Von der Dummheit der Menschen

CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz fürchtet, dass die Bürger jede Parodie für Wahrheit halten, weswegen seine Anwälte gegen eine Telepolis-Glosse vorgegangen sind

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Das Leben ist sicherlich für Politiker schwer, die ständig in der Öffentlichkeit stehen und der Kritik ausgesetzt sind. Wenn es manchmal zu hart wird und auch parteiintern der Friede nicht mehr stimmt, mag man durchaus dünnhäutig werden. So ist es offenbar dem CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz oder seinen Anwälten ergangen, als sie eine sicherlich etwas hämische Glosse des TP-Autors Ernst Corinth vom 3.7. zur Kenntnis nehmen mussten und heute gleich mit weiteren rechtlichen Schritten drohten, wenn der Artikel bis morgen nicht aus dem Netz genommen wird.

Der Anlass des Artikels, der in der Rubrik Glosse unter eben der URL veröffentlicht wurde, die jetzt dieser Artikel hat, war ein Streich von anderen bösen Jungen aus München. Die hatten frecherweise eine Domain www.fotzenfritz.de eingerichtet. Und wer so begierig, ungeschickt oder was auch immer war, auf diese zu geraten, wurde flugs und ohne jeden weiteren Kommentar zur offiziellen Website des Fraktionsvorsitzenden geführt.

Ernst Corinth, in Telepolis zuständig für Glossen, also meinungsbetonten Kommentaren, die böse, spöttisch, polemisch, auch höhnisch oder grotesk sein können, aber auf keinen Fall wahrheitsgemäße Darstellungen eines Sachverhalts sind, hat sich diesen Umleitungsscherz vorgenommen und ein wenig damit gespielt, dass Friedrich Merz in Nachahmung zum erfolgreichen Outing des Sozis Wowereit, der zuvor schon von Corinth durch den Kakao gezogen wurde, sich hätte just so outen können.

Um aber sicher zu gehen, dass nichts in die falschen Hälse rutscht, fügte Corinth noch hinzu, dass alles nur eine Parodie, also erschwindelt war: "So weit, so modern. Doch leider hat die Geschichte einen Haken. Die Fotzenfritz-Domain samt Umleitung auf die echte Homepage des Politikers hat nämlich Friedrich Merz gar nicht selber angemeldet, sondern ein Witzbold aus München. Und damit es auch jeder mitbekommt, steht die falsche Adresse gleich mehrfach im neuen Heft des Satiremagazins Titanic."

Und ganz am Schluss kam dann auch noch für all diejenigen, die es noch immer nicht verstanden haben, dass es sich um eine Parodie gehandelt hat: "Kleiner Nachtrag: Natürlich hat Friedrich Merz es nie heftig mit Frauen getrieben und daher auch nie den Spitznamen "Fotzenfritz" gehabt, dafür stammen aber die im Text verwendeten Zitate von seiner echten Homepage."

Das alles aber scheint Friedrich Merz und seinen Anwälten doch für die Leser eine Überforderung darzustellen. Diese müssten ja nicht nur erkennen, dass der Artikel unter der Rubrik Glosse eingeordnet ist, sondern auch über einige Zeilen hinweg lesen, um bis zur aufklärenden Stelle zu gelangen. Ansonsten glauben die Leser - so stellen sich Politiker ihre Wähler oder zumindest deren Anwälte die Bürger vor - jedes Wort, das sie lesen. Daher steht im Fax der Rechtaanwaltkanzlei, dass in diesem Artikel ein "unwahrer" Sachverhalt dargestellt wird, was andererseits in dem Artikel ja selbst gesagt wird. Nach einer längeren zitierten Passage, in der scheinbar Friedrich Merz überlegt, wie er Aufmerksamkeit finden könnte, folgt dann noch einmal: "Diese Darstellung enthält eine Vielzahl falscher Tatsachenbehauptungen. Insbesondere hat unser Mandant die vorstehend ihm in den Mund gelegten Worte nie geäußert."

Moniert wird, dass die "Bezeichnung unseres Mandanten als 'Fotzenfritz' ebenso wie die von Ihnen in Bezug genommene Verwendung der gleichnamigen Domain ehrverletzend (ist) und eine Herabsetzung der Person und der Würde unseres Mandanten (bedeutet)." Man räumt zwar widerwillig ein, weil man es kaum überlesen kann, es werde ausdrücklich festgestellt, dass Friedrich Merz "weder der Urheber der Äußerung noch der Besitzer der Domain" ist. Aber man habe mit der Parodie dennoch die "Persönlichkeitsverletzung perpetuiert". Die folgenden Begründungen müssen wir wörtlich zitieren, weil sie die Öffentlichkeit angehen, die im Schreiben des Anwalts ob ihrer intellektuellen Eigenschaften charakterisiert wird:

"Zum einen gelangen nicht alle Leser des Artikels beim Lesen bis zu diesem aufklärenden Hinweis. Viele Ihrer Leser verbleiben in dem Glauben, dass tatsächlich unser Mandant die beanstandete Domain eingerichtet hat, um Aufmerksamkeit zu erregen. Schon jetzt wird das Gästebuch auf der Internetseite und der Server unseres Mandanten mit Eintragungen auch solcher Personen verstopft, die Ihren Artikel gelesen haben."

Nach eigener Nachprüfung habe ich zwar keine solcher Eintragungen gefunden, die das jedermann zugängliche Gästebuch "verstopfen" würden - möglicherweise wurden sie auch schnell wieder entfernt -, aber das ist auch, neben der unterstellten kurzen Aufmerksamkeitsspanne der Leser und deren Naivität - eine interessante und originelle Begründung dafür, dass ein Artikel aus dem Internet entfernt werden müsse. Um "der Perpetuierung der Verletzung der Persönlichkeitsrechte unseres Mandanten nicht länger Vorschub zu leisten", wurden also der Heise-Verlag gebeten, den Artikel "kurzfristig" zu entfernen. Vorläufig haben wir das auch getan, um selbst weitere rechtliche Schritte überdenken zu können.

Wer jetzt übrigens auf www.fotzenfritz.de kommt, wird nicht mehr weiter transportiert, sondern findet diese Bemerkungen:

Um den strafrechtlichen Konsequenzen zu entgehen, die uns der Justitiar der CDU/CDU-Bundestagsfraktion Andreas Schmidt MdB angedroht hat, haben wir die automatische Weiterleitung zu seinem Vorsitzenden entfernt.

gez.: Die schwulen Frisöre

Auch schön: www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/glosse/3618/1.html

Nennt man jemanden Fotzenfritz, so ist dies sicherlich meist beleidigend gemeint. Die interessante Frage in diesem Zusammenhang aber wäre, ob eine Domain dieses Namens, die auf die Webseite von jemanden weiterleitet, als eine "Ehrverletzung" gewertet werden kann ...