WeltWeitWeiblich

INTERNATIONALER FRAUENTAG 1998 im NETZ

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Pop~Event

Am 6. März fand der Internationale Frauentag 1998 statt. EU-Medientechnologie-Offensiven und die Mobilmachung zum Teleworking wurden ausgerufen. So stand auch der Frauentag unter dem Motto WeltWeitWeiblich und fand zum Teil direkt im Internet statt. Haben solche Ghetto-Veranstaltungen aber überhaupt noch Sinn? Springen die Fraueninitiativen nicht verspätet auf den Infobahn Zug auf?

"Neue" Technologien und Cyber-, vor Feminismus gestellt, verweisen immer auf das Feld der Utopien, der ungeahnten Möglichkeiten, der Überwindung von Real Life und Erwerbslosigkeit durch Teleworking und Infogüter.

Auch wenn Aktivitäten zum Frauentag im Netz stattfinden und nicht mehr wie in den Womens Liberation Tagen Women Only gedacht sind, so bleiben sie es dennoch. Isolation macht im heutigen Zusammenhang einer offensiven Frauenpolitik aber kaum Sinn. Gerade in den sogenannten Neuen Technologien stehen differenziertere Formen der Positionierung an, weg von Sex zu Gender-Technologien.

Sicher sind Vorteile und Notwendigkeit von geschützten Diskussionsräumen für Frauen unleugbar. Es muss aber unterschieden werden, wann frau zu konspirativen Treffen besser unter sich bleibt und wann zur Repräsentation die Grrls Power auch öffentlich gezeigt werden muss. Das erspart dann unnötige Fragen wie: "Dürfen Männer denn auch kommen?"

FRAUEN UND=VERSUS NEUE TECHNOLOGIEN

Besteht der Gegensatz Frauen und... tatsächlich?

Technologien könnten direkt an das Geschlecht angefügt werden. Entsprechend der Mischsprache des Computerzeitalters wäre hier das mehrdeutige Wort aus der klassischen US-amerikanischen Feminismusdebatte "Gender" passender: GENDERTECHNOLOGIEN.

Netz-Diskussion zum Frauentag

Unter dem zweipoligen Titel Frauen & Neue Technologien fand zum Frauentag 1998 im Linzer Ars Electronica Center telematisch verbunden mit dem Wiener Siemensforum das Event WeltWeitWeiblich statt. Die EU Kommisärin für Frauenfragen Emma Bonino, die östereichische Frauenminsterin Barbara Prammer und die südafrikanische Ministerin Geraldine Joslyn Fraser-Moleketi waren über eine Telekonferenzschaltung mit Frauen im Netz, Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen auf den Diskussionspodien in Linz und Wien verbunden.

Die südafrikanische Ministerin Geraldine Joslyn Fraser-Moleketi

Die südafrikanische Ministerin beschrieb die Entstehung eines neuen sozialen Gefüges und demokratischen Saatsgebildes in ihrer Heimat:

"Wir arbeiten gerade daran, dass ein soziales System entsteht, das sich von Vorurteilen, Rassismus und Sexismus emanzipiert. Bei der Befreiung von der Diktatur waren Frauen massgeblich beteiligt. Nun, bei der Schaffung einer neuen demokratischen Gesellschaft sind Sie das erste Mal in der Geschichte von Anfang an gleichberechtigt mit dabei."

Ein Vergleich mit der im Moment entstehenden Technogesellschaft bietet sich an. Frauen sind von Anfang an bei der Formierung und Sozialisierung des Datenraums dabei. Netzwerkgesellschaft(en?) erhalten möglicherweise eben durch die weibliche Präsenz und weniger nur durch den technologischen Aspekt ein völlig anderes Gesicht, andere Strukturen, als wir es in vortechnologischen oder besser Vor-Netzwerk-Gesellschaften gekannt haben.

ONLINE COMMUNITIES - GEMEINSCHAFT VERSUS GESELLSCHAFT

Wenn die soziale Form der Gemeinschaft schon als überholt angesehen worden ist, entsteht nun im digitalen Netz ein neues Verständnis von Community als Tribe, als Info Netzwerk, als emotional verbundene Gruppe. Diese Form der Bandenbildung hat Berechtigung und vielleicht verbreitet der so called Cyberfeminism hier Problembewusstsein zu Sozialität, Geschlecht, Arbeit.

GENDERTECHNOLOGIEN

Darunter können Formen der Auseinandersetzung mit Technologien jenseits der eindeutig festgelegten sexistischen Sichtweise - männlich erfindet / weiblich wendet an- verstanden werden. Es geht um den Aspekt der erfinderischen Nutzung und dadurch inhaltlichen Neubesetzung von vorhandenen Ressourcen. Inhalt der Gendertechnologien ist auch die Möglichkeit der Definition der eigenen Geschlechtsaspekte in den technologischen Umgebungen: Das Geschlecht der Technik und die Techniken des Geschlechtes.

Andrea Sodomka, Künstlerin beim kreativen Techno-Experiment

Technohistorische Identifikationsfiguren von Ada Lovelace bis Admiral Grace Hopper (Mutter des Personal Computers in der US Army) wurden für die etablierte Technikgeschichte zur fem-net-istischen Rettung ausgegraben. An die Stelle der Annahme archaischer Argumentationsstrukturen "Wer-Wann-als Erster" kann aber der souveräne Umgang mit Technologie treten. Die Rollenzuteilung als HomeworkerIn, wie sie die Softwareindustrie vornimmt, hat mögliche Nebenwirkungen:

Kreative Netzexperimente und Fem-Netzwerke, erkennbar an selbstironischen "Tournament"- Namen, wie Old Boys Network, pop~Tarts, Gashgirls, Technowhores und Bitwitches sind entstanden.

Gender-Praxis in der Netzwelt heisst also semiotische Kommunikationsguerilla zu betreiben. Auch für die Definition des weiblichen Daten _Sets gilt der Satz Roland Barthes:

"Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu zersetzen anstatt sie zu zerstören."

PRODUKTIVES TELECOMUTING- AFTER-HOURS HOMEWORK

Julie is a marketing manager who sometimes brings work home...

Teleworker Solutions, Motorola 1998

Realökonomische Bedingungen der TeleworkerIn leiten sich ab von online verbrachter Arbeits- und Lebenszeit vor dem elektronischen Webstuhl. "After-Hour" ist die neue Arbeitszeit. Leitungen sind in der dunklen Hälfte des Tages billiger, freier, schneller, besser.

SEX AM DESKTOP- Der Text-ver-arbeiter und die Tele-typ-istin

"Ich lebe von E-Mail!", Esther Dyson, Autorin von "Release2.0, Die Internetgesellschaft".

Die Funktion der Frau als Mit-Schreiberin, Stenotypistin, Telefonistin, Teleworkerin findet nun in der arbeitsmarkttechnischen Inszenierung als Teletyp-erin am Home-Computerdesktop Ausdruck. Das ist eine der realpolitischen Bedingungen von Cyberfeminismus. Dazu gehört der kritische Diskurs zu Arbeitswelt, Macht- und Technologiestrukturen. Die Hinterfragung der Netz-Protokolle, inhärenten Ideologien, Sexismus, Rassismus zerlegt industrielle Rollenstereotypien.

DISPARATE MULTISENSORY TEXTURES

Screenshot der telematischen Performance zum Frauentag

Als eine Aktion zum Frauentag fand auch die telematische Performance von drei Künstlerinnen statt, die über das Netz verbunden waren und Texte, Sounds, Visuals und Live Aktionen mixten. Bilder der Realkörper der Performerinnen, aus Textzeichen bestehenden Körper, VRML- Visualisierungen überlagerten sich. Die Frauen an den verschiedenen Orten in Linz und Wien verfolgten die Performance über die Konferenzschaltung und fühlten sich als "Textverarbeiterinnen" angesprochen. Das Event ist jetzt noch als REAL VIDEO abrufbar.

Nachdem ich selbst Performerin war, bin ich sicher nicht objektiv, kann aber eine kurze Beschreibung des technischen und inhaltlichen Aufbaus bieten.

Performance Context:

Eine auf mehrere Orte und Sinne verteilte Umgebung, Disparate Mutlisensory Environment, entsteht für die Dauer der Performance. Meine persönlichen, in Objekte und Töne übersetzten Spuren von Aktivitäten im Datennetz werden mit den Interventionen der beiden anderen Frauen gemixt. Ich definiere meine Datenkörper basierend auf live gestarteten Traceroutes auf verschiedene Internet-Server. Durch Netz-aktionen entstehen Logfiles, Textkörper. Diese ASCIIkörper werden AUDIO- und VISUALisiert. In einer VRML- Umgebung werden die automatisch mitgeschriebenen Bildschirmfenster zur 3D Textur.

Auf diesen unterschiedlichen Ebenen korrespondiere ich mit den beiden Performancepartnerinnen: Isabella Bodoni definiert ihren Körper über Sprache und Textur, die von Infrarot- Bildern ihres Körpers stammen. Andrea Sodomka gibt mit ihrem Biofeedbacksystem einem HCI, Human Computer Interface, die perfekte Antwort auf das angebliche Human Interface des 3rd Web.

Eine Metasprache von Codes, der Grenzüberschreitung zwischen Skripting, Text und Texturen wird in einer temporären autonomen Zone, dem weiblichen "Room for my own" im Dialog mit anderen Frauen-Zimmern entworfen.