Computer sind Waffen

Am 25. und 26. Oktober fand in Nürnberg die Jahrestagung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften statt. Ein persönlicher Bericht über Deutschlands oberste Moralhüter.

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Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPJS) ist nach den Worten ihres ehemaligen Vorsitzenden Rudolf Stefen "einzigartig in der Welt".1 Die Behörde geht Anträgen der Jugendämter und des Bundesfamilienministeriums nach und prüft die entsprechenden "Schriften" (Fotos, Texte, Bilder, Spiele, Musik ..) auf die von ihnen ausgehende Jugendgefährdung hin.

Das Prüfverfahren findet entweder im Dreiergremium oder, bei kontroversen Fällen, im Zwölfergremium statt. Prüfer sind Vertreter der Medien und Verlage, der Jugendhilfe, der Lehrerschaft und - immer noch - der Kirchen. Die von den Gremien der BPjS als gefährlich eingestuften Werke werden indiziert, d.h. sie werden in einer Liste (Index) eingetragen. Die indizierten Schriften dürfen Jugendlichen nicht mehr zugänglich gemacht, nicht mehr per Post versandt und nicht mehr beworben werden, was in der Praxis oft gleichbedeutend mit einem generellen Verbot ist.

"Eine Zensur findet nicht statt", so das Grundgesetz. Aber: "Diese Rechte finden ihre Schranken in [...] den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend." (Grundgesetz, Art. 5, Abs. 1 u. 2) Eine Nachzensur findet also sehr wohl statt, und zwar eine, die vor allem Jugendliche betrifft. Kinder- und Jugendrechtsaktivisten fordern deshalb schon seit langem eine tatsächliche Informationsfreiheit, z.B. Peacefire in den USA oder KRÄTZÄ in Deutschland.

Siehe zu einer anderen Position auch: Jugendschützer bilden sich fort

Teil 2 des Artikels von Erik Möller: Kinder sind Pornos

Menschen unter dem magischen Alter von 18 Jahren dürfen nicht einmal wissen, was sie nicht sehen dürfen, denn es ist verboten, die Liste der indizierten Schriften Jugendlichen zugänglich zu machen - die Kids könnten ja sonst selbst auf die Suche nach indiziertem Material gehen. Es ist allerdings nicht allzu schwer, im Internet (meist veraltete) Kopien der Liste aufzufinden. Besonders die dort gelisteten Websites dürften so schon den Weg in manche Bookmark-Liste gefunden haben.

Freiheit von Gnaden Gottes und des Kaisers

Es ist Mittwoch, der 25. Oktober 2000. Die diesjährige Tagung der BPjS findet in Nürnberg im Karl-Bröger-Zentrum statt, einem SPD-Konferenzhaus. Der Tagungsraum ist groß und freundlich - wenn auch etwas kühl. Ich werfe einen Blick auf die Anwesenheitsliste, die im Vorraum aushängt. Gut 200 Teilnehmer sind es: zahlreiche Polizeibeamte, Vertreter von Staatsanwaltschaften und Jugendämtern, von Computerspieleherstellern, Medien, Verlagen und Kirchen. Den direkt mit Indizierungen befassten Einrichtungen galt die Einladung der BPjS, eher durch Zufall erfuhr ich davon.

Stadträtin Mielenz eröffnet die Tagung mit warmen Worten. Sie erzählt uns vom gerade abgefeierten 950jährigen Jubiläum der Stadt Nürnberg. Nürnberg, so erfahre ich, tauchte in der Geschichte erstmals im Jahre 1050 namentlich auf, bei der Unterschreibung einer Urkunde zur Befreiung der Sklavin Sigena. Dies zeige doch, dass Nürnberg sowohl weiblich als auch liberal sei. Für bayrische Verhältnisse mag das stimmen.

Dr. Peter Fricke, Abteilungsleiter für Kinder und Jugend im BMFSFJ, bereitet uns auf die Themen des Tages vor. Er weist uns darauf hin, dass im Ministerium derzeit an einer Novelle der Jugendschutzgesetze gearbeitet wird und man sich von der Tagung Anregungen hierzu erhofft. Was ich hören werde, hat also u.U. unmittelbare gesetzgeberische Wirkung.

Zunächst soll es um die Wirkung bzw. die darauf beruhende Indizierung von Computerspielen gehen. Fricke verweist auf den Amokschützen von Bad Reichenhall, der vier Menschen tötete. Dieser sei begeisterter Computerspieler gewesen. Tatsächlich besaß der 16jährige Martin Peyerl eine Playstation. Sein Zimmer und seine Schulsachen waren geschmückt mit Hakenkreuzen, im Zimmer seiner Schwester, die mit einem Skinhead liiert war, hing ein Hitler-Bild, man fand Nazi-Musik und Gewaltvideos. Martin galt als verschlossener Außenseiter. Der Vater war Ex-Bundeswehrsoldat, Alkoholiker und besaß 19 Waffen, mit seinem Sohn machte er Schießübungen.2 All dies erwähnte Dr. Fricke allerdings nicht. Moderne Computerspiele belohnten das Töten möglichst vieler Gegner, und nur wenn man töte, komme man weiter. Es bestehe die Gefahr, dass dieses Prinzip in die Realität übertragen werde.

Das zweite Thema wird die "Nacktdarstellung von Kindern zu gewerblichen Zwecken" sein, wodurch Kinder zu "sexuellen Anschauungsobjekten degradiert" würden. Das Thema sei natürlich außerordentlich brisant. Wir werden auf die Indizierung der Modezeitschrift Vogue verwiesen (Erläuterung des Sachverhalts und Urteilsbegründung hier), die als Reaktion die BPjS auf Schadensersatz verklagt habe. Empörung schwingt in der Stimme des Referenten mit.

Frau Monssen-Engberding, Vorsitzende der BPjS, erläutert als nächstes die bisherige Spruchpraxis bei Computerspielen. Sie verweist auf unbestreitbar ekelhafte frühe Spiele wie den Anti-Türken-Test, bei dem es schlicht darum ging, Fragen zum Umgang mit Ausländern so brutal wie möglich zu beantworten ("Was würdest Du mit einem Türken machen?" - "Ich würde ihn in eine Mülltonne stecken!"). Sie erklärt, dass die damaligen Spiele sehr primitiv gewesen seien. Manches von damals würde man heute nicht mehr indizieren. (Ich frage mich, ob sie die gleiche Logik auch in 5 Jahren auf die Spiele von heute anwenden wird.)

Moorhuhn unterm Hakenkreuz

Frau Monssen-Engberding ist sich der mangelhaften wissenschaftlichen Begründung einer Negativwirkung von Spielen bewusst, sie verlangt deshalb, dass die Indizierungs-Opfer den Beweis einer Nichtwirkung führen. Das dürfte schwierig sein, können doch immer unsichtbare oder sehr langfristige Wirkungen unterstellt werden, solange es zur Wirkungsunterstellung keiner empirischer Daten, sondern lediglich hinreichender moralischer Entrüstung bedarf. Die BPjS aber kann nach Ansicht ihrer Vorsitzenden "den Beleg für eine Jugendgefährdung nicht führen."

Um ihre Position zu rechtfertigen, lässt die oberste Jugendschützerin eine Variante des Spiels "Moorhuhn" vorführen. Dabei, so Monssen-Engberding, schieße man nicht auf Hühner, sondern auf Juden. Nach einem Hakenkreuz-Vorspann mit Sieg-Heil schießt man dann aber wie gewohnt auf Hühner, allerdings vor einer Kulisse mit Wegweisern zu Konzentrationslagern, einem im Hintergrund flatternden Hakenkreuz-Ballon etc. (Menschenverachtende Version des Moorhuhns von US-Servern verbannt)

Was verschwiegen wird: Mit dem kostenlosen Editor kann jeder solche Varianten des Spiels innerhalb kürzester Zeit erstellen, etliche Abwandlungen existieren bereits. Nicht mehr als ein paar Stunden Arbeit stecken in dem primitiven Patch, der nur das geistige Niveau seiner Schöpfer verrät. Solche Spiele dürften in etwa so schwer auszurotten sein wie Judenwitze.

Ist hier eine Indizierung sinnvoll? Der Patch wurde ja ohnehin nie legal verkauft, und selbst beim kaum erreichbaren Erfolg einer Entfernung aus dem Netz (das solchen Versuchen bekanntlich oft mit absichtlicher Spiegelung begegnet), könnte man den Hack jederzeit mit geringem Aufwand reproduzieren. Muss der Staat mit solchen geistigen Exkrementen wirklich seine Zeit und das Geld seiner Bürger verschwenden? Wird ein Jugendlicher nach dem Spielen der Nazi-Moorhuhnjagd der NPD beitreten und Jagd auf Juden machen?

Doch angesichts der Logik der Zensoren wäre es kaum verwunderlich, wenn demnächst der Moorhuhn-Editor indiziert würde. Schließlich kann ein Schüler damit die Hühner ohne weiteres durch Fotos von Klassenkameraden ersetzen. Mit ähnlicher Logik hatte z.B. 1996 die Staatsanwaltschaft München versucht, das Grafikprogramm Corel Draw zu beschlagnahmen, weil in der Clip-Art-Sammlung auch ein Hakenkreuz und ein Hitler-Konterfei enthalten waren.3

Wissenschaft ist überflüssig

Die BPjS-Vorsitzende sieht das Spiel vor allem als Beleg für die Nichtnotwendigkeit einer wissenschaftlichen Beweisführung, da sich die Jugendgefährdung ja jedem sofort erschließe. Man sei also in diesem Bereich "nicht auf die Wirkungsforschung angewiesen".

In der Kaffeepause unterhalte ich mich mit dem Mitarbeiter eines Jugendamts und einem in der Jugendprävention tätigen Polizisten. Obwohl beide durchaus der Überzeugung sind, dass Indizierungen notwendig sind, bestätigen mir beide, dass exotische Spiele wie das Nazi-Moorhuhn dadurch erst interessant werden. Frau Monssen-Engberding erklärt mir später, was eine Indizierung von Websites in der Praxis bedeutet: fast nichts. Zwar verwenden einige Schulen, Bibliotheken und Internet-Cafés Filter, die indizierte Sites sperren, aber Privat-PCs sind davon nicht betroffen. Die Chefzensorin versichert mir, dass dies auch in Zukunft so bleiben soll.

Als nächstes stellen uns zwei junge Sozialpädagoginnen, Heike Esser und Tanja Witting, die Theorie zur Wirkung von Games vor.4 Sie ordnen Spiele mit Gewalt gemäß ihrer Unmittelbarkeit auf einer Skala ein:

  1. Staatensimulationen à la Civilization: sehr symbolhaft, indirekt, ein Reiter steht z.B. für eine ganze Armee (es wird jedoch ein Screenshot von Sim City gezeigt, das unter dem Folientitel Gewaltspiele nichts zu suchen hat)
  2. Schlachtensimulationen wie Panzer General, bei denen es um das Nachspielen historischer Feldzüge geht
  3. Echtzeit-Strategicals à la Command & Conquer, wo der Spieler sofort auf angreifende gegnerische Truppen reagieren muss
  4. Gefechtssimulationen wie z.B. Shogun, in denen Kampfhandlungen zwischen Armeen direkt dargestellt werden
  5. Space-Shooter wie Star Wars, die den Spieler in die Rolle eines Weltraum-Angreifers versetzen
  6. Maze Shooter wie Quake, die das Spielgeschehen aus der Ich-Perspektive zeigen (hierbei wurde jedoch fälschlicherweise behauptet, dass man den Spieler niemals sieht, das Gegenteil ist aber bei Spielen wie Tomb Raider und Shadow Man der Fall)
  7. Duel Fighter wie Virtua Fighter, bei denen es um die 1-zu-1-Konfrontation geht.

Die Unterteilung erscheint mir sinnvoll, wenngleich einige Spieltypen unerfasst bleiben (z.B. Sidescroller, die teilweise durchaus brutal sein können). In der Genreliste beginne die negative Wirkungsvermutung, so die Sozialpädagoginnen weiter, bei den Echtzeitsimulationen. Tatsächlich hat man z.B. in der Command & Conquer-Reihe Blut durch Maschinenöl ersetzt, um einer Indizierung vorzubeugen.

Laut den Referentinnen sind vor allem zwei wirkungstheoretische Ansätze zu unterscheiden, zum einen die Idee des Spielers als reines Reiz-Reaktions-Wesen, das passiv die Spiele konsumiert, die unbemerkt auf ihn einwirken, und zum anderen das Bild vom Spieler als aktiver Nutzer, der sich vom Spiel etwas verspricht und Spiele nach seinen Wünschen und Intentionen auswählt.

Computerspiele als Konkurrenz zur Armee?

Wir werden auf das Buch Stop Teaching Our Kids to Kill von Lt. Col. (!) Dave Grossman und Gloria DeGaetano verwiesen, das die Referentinnen selbst nicht für wissenschaftlich halten. Darin werde eine direkte und unmittelbare Wirkung unterstellt, eine Erziehung zum Töten durch Computerspiele und Fernsehen. Empirische Belege für die Behauptung fehlten, es handle sich vor allem um die Meinung der Autoren.

Ein Ansatz der Autoren aber wird von den Referentinnen aufgegriffen: Bei den Schulmassakern und dem Amoklauf in Bad Reichenhall spielten die Täter vor einem "imaginärem Bildschirm" erlernte Bewegungsabläufe ab. Weder die geringe Zahl von sinnvollen Variationen bei der Durchführung eines Amoklaufs noch das Üben an der realen Schusswaffe noch die Ähnlichkeit der heutigen Taten mit denen vor der Zeit der Games scheinen eine Rolle für diese Analyse zu spielen.

Von Computerspielen könnten Handlungsimpulse ausgehen. Typische Fälle seien Jugendliche, die am Computer eine Basketball-Simulation spielen und die dort gelernten Bewegung auch in der Praxis anwenden. Man sieht auf einem Screenshot einen Slam-Dunk, und die Vortragenden berichten von einem Jugendlichen, der daraufhin selbst den entsprechenden Wurf ausprobiert habe. Ein anderer Jugendlicher, ein Rollenspiel-Fan, habe bei einem Besuch des Kölner Doms daran gedacht, einen Stein anzuklicken, in Erwartung einer Geheimtür. Wichtig sei die Ähnlichkeit der Spielsituation mit der realen (beide Wirkungen berühren natürlich keine moralischen Grenzen).

In der folgenden Pause verrät mir ein BPjS-Beisitzer des Lehrergremiums, dass seit dem Regierungswechsel zunehmend auch fragwürdige Gruppen wie katholische Erzieher an den Indizierungsentscheidungen mitwirkten. Da sich die Beisitzer turnusmäßig abwechseln, scheint es für einen Hersteller oft reine Glückssache zu sein, ob er an einen Moralfundamentalisten oder einen passionierten "Age of Empires"-Zocker gerät. Bereits 1990 äußerte sogar das Bundesverfassungsgericht Kritik an der Auswahl der BPjS-Beisitzer und forderte eine Änderung des entsprechenden Gesetzes (siehe auch unten).

Empirischer wird es bei den nächsten Referenten, Dr. Rita Steckel und Dr. Clemens Trudewind von der Ruhr-Uni-Bochum - Bochum, so verrät mir ein Jugendschützer aus Nürnberg später, reicht besonders viele Indizierungsanträge ein; in Nürnberg habe man dafür kaum Zeit. Zwei Studien zur Wirkung von Computerspielen werden uns vorgestellt. Bei der ersten, bereits veröffentlichten Studie von Frau Steckel handelt es sich um eine Untersuchung von 167 Jugendlichen im Alter von 7 bis 14 Jahren.

Nach einer Aggressionseinschätzung ordnete Dr. Steckel die Kinder zufällig einem aggressionsorientierten Videospiel (Street-Fighter II) bzw. einem aggressionsfreien Spiel (Yoshi's Cookie) zu, das sie für 30 Minuten spielten. Es war keine unmittelbare Aggressionsanregung nach dem Spielen feststellbar, lediglich hoch aggressive Kinder waren nach dem Spielen (auch von Yoshi's Cookie) aggressiver. Vergleiche mit anderen Freizeitaktivitäten wurden nicht durchgeführt.

Stumpfen Computerspiele ab?

Weiterhin wurde sowohl in dieser Studie als auch in der zweiten, von Dr. Trudewind durchgeführten Studie an 280 Kindern im Alter von 8-14 Jahren, versucht, Veränderungen in der Empathie (der Fähigkeit zum Mitfühlen) nach dem Spielen festzustellen. Dies geschah durch das Zeigen von "belastenden Bildern" (Kind mit Krankheit, Wunde etc.) im Anschluss an das Spiel. Tatsächlich wurde in beiden Studien festgestellt, dass sich Spieler von Gewaltspielen die belastenden Bilder signifikant länger anschauen. Allerdings galt dies in der 2. Studie auch für das Spiel "Der kleine Prinz", das wohl kaum als Gewaltspiel gelten kann.

Ein überraschendes Ergebnis der Studie von Dr. Trudewind: Von den 280 Kindern hätten rund 95% Zugang zu PCs oder Konsolen. Die durchschnittliche Spielzeit der befragten Kids betrage 7 Stunden pro Woche, wobei Mädchen rund halb soviel spielten wie Jungen. Interessant ist die Zusammensetzung der Top-10 Liste der gespielten Spiele:

  1. Fifa, Fußballspiel
  2. Mario, Jump & Run
  3. Tomb Raider, 3D-Shooter
  4. Tekken, Kampfspiel
  5. k.A., Autorennen
  6. Grand Turismo, Autorennen
  7. k.A., "Aggressions-Spiel" (indiziert?)
  8. Command & Conquer, Echtzeit-Strategie
  9. Tetris, Geschicklichkeit
  10. Street Fighter, Kampfspiel

Es scheint weit hergeholt, angesichts dieser Zusammensetzung einen Trend zur Selektion immer brutalerer Games zu unterstellen. Und diese Daten geben nicht die Verkaufszahlen, sondern die tatsächliche Präferenz wieder.

Wie schon gesagt wurde in der zweiten wie in der ersten Studie eine Senkung der Empathie-Fähigkeit nach dem Spielen aggressiver Games diagnostiziert. Wie ich später im Gespräch herausfinde, wurde aber nicht überprüft, ob die Belastbarkeit nicht möglicherweise von rein physiologischen oder kurzfristigen psychologischen Veränderungen abhängig ist. Dies wäre z.B. mit einer Kontrollgruppe möglich, die statt des Computerspiels Fußball spielt. Steigt auch bei ihnen die "Belastbarkeit" kurzfristig, würde das einen alternativen Erklärungsansatz für die "Empathie"-Differenzen liefern. Denn ohne jeden Zweifel ist das Gewaltspiel Virtua Fighter aufregender als das andere Testspiel der zweiten Studie, "Die Abenteuer der Zobinis".

Somit haben diese Ergebnisse bis zu einer genaueren Überprüfung nur geringe Relevanz. Weiterhin wäre im Interesse der Medienfreiheit z.B. auch die Reaktion auf als unbedenklich eingestufte Filme zu prüfen. Ist diese quantitativ höher als bei den Games, so ist eine Indizierung schwerlich zu rechtfertigen.

(Ein interessanter Einschub: Fast alle Gewaltspiele benutzen Gewalt lediglich als Action-Element. Es tut sich einfach etwas auf dem Schirm: Dinge explodieren, Monster werden mit riesigen Waffen weggepustet, es kracht und rumst. Rein sadistische Spiele, bei denen es nur Gewalt, aber keine Action gibt, existieren kaum. Die Funktion der Gewalt in Spielen wird jedoch kaum untersucht.)

Dr. Trudewind unterstellt aber auch eine langfristige Negativwirkung von Gewaltspielen. Es gäbe eine starke Korrelation zwischen den Spielstunden pro Woche und der Empathie der Kinder. Außerdem führten häufigere Verbote zu empathischeren Kindern (dabei sehe ich auf dem Schaubild allerdings nur einen geringen Unterschied auf dem Empathie-Index von 36 zu 35 Punkten). Die Autoren unterstellen eine Kausalität, da die Daten nur bei einer angenommenen Wirkrichtung widerspruchsfrei zueinander passten. Mit anderen Worten, man könne aufgrund der Datenanlage nicht davon ausgehen, dass weniger empathische Kinder aufgrund ihrer Psyche häufiger Computerspiele spielen.

Da die Daten nicht offen liegen, lässt sich diese Behauptung nicht überprüfen. Es wäre zu prüfen, inwieweit andere Einflussfaktoren untersucht wurden (z.B. der sozioökonomische Status der Eltern), und ob das häufigere Spielen eine direkte psychische Wirkung hat (was die Indizierung besonders stark wirksamer Games stützen würde), oder ob es eine indirekte Wirkung hat, da die entsprechend häufig (bis zu 50 Stunde pro Woche) spielenden Kinder schlicht sehr wenig Kontakt zu Gleichaltrigen haben und damit auch keine Empathie entwickeln können, was zwar generelle Computer-Einschränkungen für Kinder legitimieren würde, aber keine spezifischen Indizierungen. Ferner müssten einzelne Extremspieler evtl. aus dem Sample herausgerechnet werden, um die Wirkmechanismen genauer zu untersuchen.

Letztlich konstatieren die Autoren, dass nur 15% der festgestellten Empathievarianz mit Games erklärbar seien. Auch wenn man die hier gestellten Fragen unbeantwortet lässt bzw. diese im Sinne der Autoren beantwortet werden, stellt sich die Frage, inwieweit dies ein Jugendverbot legitimiert. Erneut wäre hier ein Vergleich mit anderen Aktivitäten, denen Jugendliche ungehindert nachgehen können, notwendig.

In den Klauen der Voodoo-Sekten

Bevor ich in der Pause dem Referenten meine Fragen stellen kann, spricht ihn ein Mann mittleren Alters an. Er bedankt sich bei Dr. Trudewind und weist ihn darauf hin, dass es seiner Ansicht nach eine weitere "ganz bedrohliche Entwicklung" gebe, um die man sich unbedingt kümmern müsse. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich nicht, dass der Mann Pastor ist, aber sein Ton lässt mich bereits so etwas ahnen. Er warnt vor Spielen, die den Kindern "gefährliche Religionen" nahebringen und führt "Shadow Man" als Beispiel an, da es den Kindern Voodoo-Magie vermittle.

Nach der Mittagspause soll es um den Computerspielemarkt gehen. Es referieren "Achilles und Schäfer" vom Verband der Unterhaltungssoftware Deutschland, in einer Parodie auf Hauser und Kienzle, um das allzu langweilige Zahlenmaterial etwas aufzupeppen. (Wer sich für die Zahlen interessiert, kann die komplette Präsentation auf der Homepage nachlesen. Ronald Schäfer weist auf die Dominanz relativ gewaltfreier Genres wie Management u. Strategie hin, die am PC-Markt rd. 35 % ausmachen, auf der Playstation werden Renn- und Sportspiele mit zusammen 42 % bevorzugt, am Gameboy gibt es mit 67 % fast ausschließlich Jump & Runs.

Außerdem hören wir von der Unterhaltungsselbstkontrolle, die im Vorfeld Games auf ihre Eignung für Jugendliche prüft und mit entsprechenden Empfehlungen versieht. 80% der Bestseller erhalten eine Auszeichnung für Kinder unter 14 Jahren.

Am Ende des Vortrags gibt es die erste Publikumsmeldung, der Herr Pastor verliest einige Zahlen. Es handelt sich hierbei um die Verfügbarkeit von indizierten Spielen in Schulklassen seiner Umgebung: "Klasse 9a der Realschule .. 12 von 13 Jungen" usw. - Die langweilige Aufzählung erscheint mir durchaus realistisch, die Kids können sich ohne weiteres Kopien der indizierten Games brennen und untereinander tauschen. Ironischerweise belegt der Pastor damit nicht die Notwendigkeit, sondern die Nutzlosigkeit einer Indizierung.

Die vorgespielte Lockerheit und Liberalität des VUD geht flöten, als das Thema Raubkopien zur Sprache kommt. "Dabei handelt es sich um eine Straftat", so Hermann Achilles. "Die Lehrer sollen Kinder, die raubkopieren, anzeigen." Es geht ein Raunen durch den Raum, schließlich sind etliche Lehrer anwesend. "Aber das ist eine Diskussion, die wir hier nicht führen können." Schnell verabschiedet sich der Referent.

Über die Chancen von Computerspielen spricht Jürgen Hilse, Diplom-Psychologe und Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS) in NRW. Er weist darauf hin, dass nicht alle Spiele schlecht seien, manche z.B. die Reaktionsfähigkeit schulten oder das strategische Denken. Bei einem Rennspiel überbiete der Sohn den Vater mit Leichtigkeit, was zeige, wie durch die Spiele Fingerfertigkeit geübt wird. "Viele Spiele schulen das strategische Denken, den Umgang mit Stress-Situationen und die Konzentration." Hilse zitiert keine empirischen Daten und verwendet weder Folien noch Beamer, so dass der Vortrag kaum jemanden im Publikum überzeugen wird.

Teil 2: Kinder sind Pornos