Werkeln an der Zollstation

Die deutsche Musikindustrie wirbt für ihr nationales Blockiersystem RPS bei Internetprovidern

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Die Musikindustrie wirbt erstmals direkt bei deutschen Providern für den Einsatz ihres Rights Protection Systems (RPS). Anfang letzter Woche trafen sich in Düsseldorf auf Einladung der deutschen Landesgruppe der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) Vertreter deutscher Provider und der Musikindustrie.

Unter den Geladenen befanden sich Vertreter von AOL, T-Online und der Providervereinigung eco. Dazu stießen Repräsentanten von Novell, die mit ihrem Cache-System die Software-Grundlage liefern, und Compaq, deren Hardware zum Einsatz kommt.

Seit Anfang dieses Jahres trommelt die IFPI für ihr Konzept einer technischen Lösung für die zahlreichen Urheberrechtsverletzungen im Netz. RPS soll dabei als eine Art Zollstation den Datenverkehr auf den grenzüberschreitenden Verbindungen der Provider filtern und so die Auswüchse der Musikpiraterie unterbinden. Sollte sich das Vorhaben einer Grenzziehung im Internet als lösbar erweisen, käme RPS auch für andere Einsatzgebiete in Frage.

Die IFPI möchte den Provider mit RPS beweisen, dass das Gebot des Teledienste-Gesetzes, Rechtsverletzungen zu unterbinden, wenn es technisch möglich und zumutbar ist, hier zutrifft. Bislang bezweifelten die Provider die technische Machbarkeit. Die Frage, ob RPS auch zumutbar ist, wurde in Düsseldorf nicht geklärt. Sowohl die rechtlichen Aspekte wie die Frage der Kosten wurden schlichtweg ausgeklammert.

"RPS", erläutert Dietmar Schlumbohm vom Referat für Technologie der IFPI, "beruht auf einer Negativliste von Web-Adressen illegaler Dateien." Erstellt werde die Liste über Programme, die automatisiert das Netz absuchen. Zum Einsatz käme dabei ein Programm der Münchener Firma Conscope, aber auch eigene Entwicklungen der IFPI. Eine manuelle Kontrolle solle sicherstellen, dass die Liste korrekt ist.

Conscope ist eine Tochterfirma des Münchener Providers Freshnet. Dort ist Zurückhaltung Programm. Die Webseite von Conscope verrät nicht mehr als eine Email-Adresse. Eine Pressemeldung, die auf Anfrage verschickt wird, treibt es auf die Spitze: "Da es sich bei den Diensten von conscope jedoch im hohem Grade um sicherheitsrelevante Anwendungen handelt, unterliegen alle detaillierten Angaben zu Hardware und Technologie der Geheimhaltung." Auf Nachfrage nimmt Conscope für sich in Anspruch das Web, FTP-Server, aber auch Napster und Gnutella absuchen zu können.

Die Provider reagieren unterschiedlich auf das Werben der IFPI. Bei AOL, so Sprecher Jens Nordlohne, werde das Thema diskutiert, die Meinungsbildung sei jedoch noch nicht abgeschlossen. Harald Summa, Vorsitzender der Providervereinigung eco, stellt dagegen schon konkrete Forderungen. Vor dem Hintergrund, dass die Zollstation Geschwindigkeitseinbußen im Datenfluss nach sich ziehen könnte, meint er: "Es kann nicht angehen, dass RPS zu Lasten des Service der Provider geht." Ein weitere Problematik dürfte sich mit der notwendigen ständigen Akualisierung der Negativliste durch die IFPI einstellen, da die IFPI hierfür einen Zugang zum System benötigt.

Die Frage der Schnelligkeit ist auch Gegenstand eines Gutachtens, für das der Hamburger Informatik-Professor Klaus Brunnstein im Sommer den Auftrag bekam. Brunnstein gilt als Experte für die Analyse von Computerkriminalität. Außerdem soll das Gutachten prüfen, ob das System seine Aufgabe zuverlässig erfüllt, und ob es sich an die unterschiedlich gestalteten Netze der Provider anpassen lässt.

Während Brunnstein die letzten beiden Fragen bejaht, fehlen noch Messungen wie sich RPS auf den Datenfluss auswirkt. Getestet wurde es bislang mit dem Standard einer hausintern üblichen Ethernet-Verkabelung von 100Mbit/s. Es soll jedoch auch seine Leistungsfähigkeit bei höheren Bandbreiten unter Beweis stellen. Brunnstein möchte das Gutachten mit einer Betrachtung der Sicherheitsaspekte abrunden.

Derzeit hat RPS noch mit verschiedenen Mängeln zu kämpfen. Es kann nur den Web-Verkehr filtern. Surfer könnten jedoch unter dem Schlagbaum durchtauchen, indem sie Anonymisierungsdienste nutzen, etwa Anonymizer.com oder Rewebber.de, zu deren Features auch die Verschlüsselung der angeforderten URL gehört.

Weiterhin, das räumt auch Schlumbohm ein, hadert die Musikindustrie in diesen Monaten weniger mit illegalen Angeboten im Web als mit den Tauschbörsen, wie Napster oder Gnutella. Beide Dienste kann RPS nicht kontrollieren. Zwar scheint es Konsens zu sein, dass der Einstieg der Bertelsmann Music Group bei Napster in diesem Kontext spannende Fragen aufwirft, aber das grundlegende Problem löst die Gruppe damit auch nicht: Der Kauf des Vorbilds sorgt nicht dafür, dass die Klone verschwinden.

IFPI hat einiges an Lobbyarbeit für RPS geleistet. In den Berliner Ministerien für Wirtschaft, Justiz und Finanzen sind die Pläne bekannt und stoßen auf Verständnis. Das Finanzministerium etwa kann sich vorstellen, sollte RPS sich als erfolgreich erweisen, es als Anknüpfungspunkt für die Besteuerung von Online-Geschäften zu nutzen. Da die Ministerien jedoch keinen Anlass sehen, die Initiative zu ergreifen, stellt sich die Frage, ob das Verständnis für das Anliegen tatsächlich der Lösung oder eher der Notlage der Musikindustrie gilt.

Sollten sich die technischen Fragen klären lassen, stehen weitere Streitpunkte ins Haus: Wer soll RPS bezahlen? IFPI oder der jeweilige Provider? Werden DM 250.000 pro System veranschlagt, kämen gerade auf Netzbetreiber mit mehreren Auslandsverbindungen, wie die Telekom, enorme Kosten zu.

Ebenfalls ungelöst sind die rechtlichen Aspekte. Wer soll die Rechtmäßigkeit von Sperrungen feststellen? Bei derzeit vielleicht 700.000 Adressen weltweit wäre jeweils der Einzelfall zu prüfen. Zudem bestreitet Oliver Süme, Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied von eco, schon die Grundlage des Ansinnens. Das Teledienstegesetz träfe nicht zu. Statt dessen könne es nur zu einer freiwilligen Zusammenarbeit von Providern und Musikindustrie kommen.