Es ist geil ein Arschloch zu sein oder Blödheit als "geistiges Eigentum"

Die Alchemisten des Informationszeitalters

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Was ist eigentlich das "geistige Eigentum", das in den Debatten über eine Verschärfung des Urheberrechts und seiner verwandten Rechte derzeit immer wieder als besonders schützenswertes Gut auftaucht? Auf die Spur bringt uns der frühere AOL-Bertelsmann-Europa-Chef Andreas Schmidt, der auf die Frage, mit wie viel das AOL-Maskottchen Boris Becker an der Firma beteiligt sei, antwortete, er wolle das nicht so genau sagen, Becker sei aber auf jeden Fall durch den Einsatz seines (Beckers) "geistigen Eigentums" beteiligt.1 Ah ja.

Bobbele, der in Werbespots vor dem Computer sitzt und seine eigene Inkompetenz zelebriert, erzeugt auf diese Weise also geistiges Eigentum. Ist nun die ebenso ausgeprägte Inkompetenz eines Alzheimer-Patienten oder eines Kiosk-Säufers beispielsweise ebenso schützenswertes geistiges Eigentum? Und falls ja, warum verdient dann Herta W., Hausfrau aus der Uckermark, die dem Zustandekommen eines TCP/IP-Protokolls ebenso staunend gegenübersteht wie einem schweren Ausnahmefehler im Sektor P ihres Egon (und die ebenfalls Drei von Sieben subtrahieren kann) nicht ebensoviel wie das AOL-Mündel? Weil beim geistigen Eigentum nämlich nicht das "geistige" (also eine schöpferische Leistung) die entscheidende Rolle spielt, sondern das "Eigentum". Dasjenige der Medienkonzerne nämlich, die Beckers Gesicht und Lautäußerungen verwerten - und nicht die von Millionen anderer Minderbemittelter. Ein Konzern kann nämlich ohne weiteres aus Scheiße Gold bzw. aus Blödheit "geistiges Eigentum" zaubern.

Bestes Beispiel hierfür ist der Zustand der deutschen Top Ten in diesem Jahr. Teilweise tummelten sich darin bis zu drei Stücke von ehemaligen Insassen der niemals endenden Verfilmung des Fertigmöbel-Katalogs als Sitcom mit wechselnden Knallchargen - Big Brother. Nach dem Verlassen des Containers gehört ein Gutschein auf einen "Musik"-Hit zum Entlassungszeugnis. Egal ob als Gnadenbrot (unbrauchbarer Loser) oder Sprungbrett (z.B. ins Bett von Jenny Elvers) gemeint, die Ergebnisse sind in jedem Fall musikalische Hiroshimas, deren Fallout einen von überall her anfällt. Entweder man geriert sich mit Kirmes-Disco-Bums als fesche Reinkarnation von "Ruckizucki"-Ernst Neger (der seinerzeit wenigstens den Anstand hatte, nur im Fasching aufzutreten) oder mit Deutsch-"Rap" gleich als MC Ernst Neger. Danke Massa, ich mach Kassa.

Allein drei Nr.1-Hits, Zlatkos "Ich vermiss Dich wie die Hölle" (wie die Hölle? wie das Finanzamt? wie die Telekom?), "Ich will nur Dich" von Alex und "Großer Bruder" von Zlatko und Jürgen, produzierte die Vermarktungsmaschinerie aus Endemol, RTL2 und Bertelsmann dieses Jahr. Mit Stimmen, die selbst nach der Computer-Bearbeitung noch klangen wie im mäßig humoristischen Karaoke-Sketch. Und sogar Kerstin, das "Breitmaulnashorn" (Big Brother - Das Magazin) erhielt nach dem Containeraufenthalt trotz weitgehender Talentfreiheit plötzlich Schauspielrollen. Überall wurden fleißig aus Dummheit und Talentlosigkeit Urheber- und Leistungsschutzrechte generiert.

Auch die neue Besetzung hat sich bereits gut in das System eingefügt: am 13.11. erscheint bei Bertelsmanns BMG Christians Es ist geil ein Arschloch zu sein. Aber es hilft finanziell wenig ein Arschloch zu sein, wenn nicht die geballte Medienmacht von RTL und Bertelsmann als Mikrofonhalter zur Verfügung steht. Unter diesem Gesichtspunkt versteht man die Besorgnis um das geistige Eigentum, welche die Medienindustrie seit geraumer Zeit an den Tag legt. Nicht jeder ist Metallica und hat einen Manager, der einem nach dem OpenAir-Auftritt den Joint aus der Hand nimmt und zärtlich ins Ohr flüstert: "Du, Lars, wir verlieren Kohle, ich klag mal...". Manche Leute haben keinen Manager, sondern gern Rund-um-die-Uhr-Betreuung, weil sie ausgewiesenermaßen zu dumpf sind, außerhalb eines Containers halbwegs in Würde ihr kleines Leben zu fristen. Dort erfolgt dann eine Betreuung durch Supervisoren, die ihre journalistische Karriere in erster Linie im Bordell verbracht haben und damit für RTL2 prädestiniert waren. Und der Bertelsmann-Konzern, der diese Objekte dann musikalisch verwaltet, klagt auch nicht erst lange gegen Napster - er kauft seinen Schützlingen das Spielzeug einfach. Bertelsmann kauft auch gerne andere Sachen. Was sich halt so anbietet. Der Bundestagsabgeordnete Steffen Kampeter z.B. macht sich plötzlich Sorgen um die Rock- und Popmusik in Deutschland. Erklärt das vielleicht den in letzter Zeit bekannt verwahrlosten Zustand der Bundestagstoiletten?

Wie dem auch sei: Spuren hinterließ die Lobbyarbeit von Bertelsmann und Co. dort auf jeden Fall: Herr Kampeter bringt eine "große Anfrage" mit dem Titel Bestandsaufnahme und Perspektiven der Rock- und Popmusik in Deutschland in den Bundestag ein. Laut Pressemitteilung macht er sich besondere Sorgen um die "Veränderung der Verbreitung dieser Musikrichtung, vor allem durch das Internet, und die sich daraus ergebenden Auswirkungen". Dem nicht genug: Er ist "in großer Sorge, dass es durch die neuen technologischen Veränderungen und die damit verbundene Aufweichung des Urheberrechtsschutzes zu einer Beeinträchtigung auch der Rock- und Popkultur kommen kann". Woher hat Kampeter das? Z.B. von Thomas M. Stein, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Bertelsmann Music Group (BMG), Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft und oberster Mahner wider den Weltuntergang durch mp3. Stein will eine drastische "Neuregelung der privaten Vervielfältigungsrechte"2 und stellt fest: "Es ist mittlerweile nämlich technisch sehr wohl möglich, private Vervielfältigung zu kontrollieren und individuell zu vergüten." Außerdem hält er es noch für notwendig, Radiosendern legal diktieren zu können, welche Stücke sie spielen dürfen und welche nicht: "Das traditionelle Senderecht ermöglicht den ungehinderten Zugriff auf das gesamte musikalische Repertoire ohne Zustimmung der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller." Eine Situation, die Stein des Wohlergehens seiner Schützlinge wegen für untragbar hält. Warum muss nun das "geistige Eigentum" mit so drastischen gesetzgeberischen Maßnahmen geschützt werden? Stein hat auch hierauf eine Antwort parat:

Die Schneise, die der Krieg in die deutsche Musiklandschaft geschlagen hat, ist nun zugewuchert. Selbst die deutsche Sprache feiert wieder ein Revival.

Wir haben es schon immer vermutet - Stein bestätigt es: "Großer Bruder" von Zlatko und Jürgen ist der direkte Anschluss an "Alte Kameraden". Die neuen technologischen Entwicklungen aber bedrohen laut Stein diese von ihm geschätzte Entwicklung und müssen deshalb mit Staat und Gesetz neutralisiert werden. Also: härtere Urheberrechte, damit es kulturell wieder mehr wie im Dritten Reich zugeht! Wenn es um solch bedeutende Kulturwerte geht, dann kuscht auch die Regierung: Dort streicht man zwar einerseits die Zuschüsse zur Künstlersozialkasse um 25%, macht sich aber andererseits an die Ausweitung der Urheberrechtssteuer auf Computerteile und akzeptiert Eingriffe in Geldbeutel und Privatsphäre durch die geplante Europäische Urheberrechtsrichtlinie (Europäische Musiker überreichen Petition an das EU-Parlament). Die "Leermedienabgabe" benannte Urheberrechtssteuer geht dann über die Zentralstelle für private Überspielungsrechte (ZPÜ) als Subvention in die Kassen der GEMA/GVL-Bürokratie, die damit wiederum die Erzeugung von "geistigem Eigentum" belohnt. Aber auch bei der GEMA gilt nicht etwa der Gleichheitsgrundsatz "gleich blöd - gleich viel Geld". Nein: auch hier schießt man neben einer ordentlichen Subventionsspritze für die klassische Musik durch die Bemessung nach Airplay und Diskothekeneinsatz fast ausschließlich denen zu, die sich in den Hitparaden tummeln: Zlatko, Jürgen, der Bundeskanzler und ihre Erfüllungsgehilfen aus der Musikindustrie. Und so schließt sich der Kreis der Alchemisten des Informationszeitalters, die den Stein der Weisen (oder besser: "Stein der Blöden") gefunden zu haben scheinen.