Das Gesetz der Aufmerksamkeitsökonomie

Attraktiv für Frauen sind die Männer, die schon für andere Frauen attraktiv sind

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Das Gesetz der Aufmerksamkeitsökonomie, nämlich dass das in aller Regel mehr Aufmerksamkeit findet, was neu bzw. in irgendeiner Weise herausragend ist oder was bereits Aufmerksamkeit gefunden hat, gilt nicht nur für Medieninhalte, Themen, Waren oder Prominente, sondern auch in der sexuellen Selektion bei Tieren - und bei Menschen. Anders ausgedrückt: Wer hat, dem wird gegeben. Daher sind Stars, wie amerikanische Wissenschaftler herausgefunden haben wollen, ebenso wie verheiratete Männer für Frauen attraktiver als Geschlechtspartner.

Offensichtlich sind an solchen Studien aber nicht nur die Wissenschaftler interessiert. Zumindest wurde von einem britischen Online-Frauenmagazin, bei dem es neben Mode, Schönheit oder Konsum vornehmlich um Sex geht, gerade eine Umfrage unter 2000 Frauen über Sex am Arbeitsplatz veröffentlicht. Angeblich sind die Redakteurinnen von New Woman über das Thema gestolpert, als sie erfahren haben, dass manche Firmen Affären als Verletzung des Arbeitsvertrages betrachten wollen. Also hätten sie beschlossen, die Umfrage zu machen, um zu sehen, ob das wirklich ein Problem sei. Herausgestellt habe sich, dass 28 Prozent der befragten Frauen zwischen 18 und 35 Jahren (offenbar die Zielgruppe von New Woman) bereits Sex am Arbeitsplatz gehabt und von diesen 65 Prozent nicht nachher bedauert hätten.

Normalerweise machen dies die jungen arbeitsamen Britinnen im Büro von ihm (25 Prozent), das eigene ist schon weniger begehrt oder will man schonen (16 Prozent), schließlich habe genau so oft Sex auch im Klo, manchmal auch im Lift, auf dem Parkplatz, in der Kantine oder gar in einem Schrank stattgefunden. Überhaupt scheinen die britischen Frauen dauernd mit dem Flirten beschäftigt zu sein. Zumindest sollen dies 82 Prozent der Befragten bei der Arbeit machen, und 89 Prozent meinen denn auch, dass würde die Stimmung heben und sei gut für die Gesundheit.

Und was die sexuelle Selektion oder Partnerwahl angeht, so haben angeblich nicht nur bereits 12 Prozent Sex im Zimmer des Vorgesetzten und 10 auf seinem Schreibtisch gehabt, sondern 20 Prozent sagen auch, dass sie dies auch mit dem Chef machen würden, wenn sie dadurch berufliche Vorteile hätten. Ein Viertel findet den Vorgesetzten überdies anziehend. Ach ja, und Sex mit dem Boss scheint sich zu lohnen, denn 15 Prozent haben ihn danach geheiratet: auch vielleicht ein Karrieresprung. So also geht es nach New Woman bei den Briten zu.

Konkurrenzkampf um die Prominenten

Die Vorgesetzten, also diejenigen, die einen herausgehobenen Status haben, scheinen mithin bevorzugt zu werden. Auch bei den Prominenten zählt nicht unbedingt das gute Aussehen, sondern vornehmlich die Bekanntheit, die anzieht. Und weil dies so ist, tobt nach Ansicht von Alan Dugatkin und Michael Cunningham von der University of Louisville, wie New Scientist berichtet, ein Konkurrenzkampf zwischen den Frauen, was den umkämpften nur noch attraktiver macht. Bei den gewöhnlichen Männern sei schon allein die Tatsache, dass sie keine Singles sind, sondern eine Partnerin oder auch Ehefrau haben, das Signum einer kleinen Prominenz, das die Frauen eher anzieht. Wer erwählt wurde oder umschwärmt wird, muss ja etwas haben, was begehrenswert ist. Zudem fällt von der Prominenz vielleicht etwas auf die eigene Person ab, denn akkumulierte Aufmerksamkeit lässt sich weiter reichen, und dahinter steckt wahrscheinlich die biologische Überlegung, dass die umkämpften Männchen, die herausragende Positionen einnehmen, auch für den genetischen Nachwuchs besser sein könnten.

Wenn eine Frau nur hört, dass eine Geschlechtsgenossin sich mit einem Mann verabredet, so die beiden Wissenschaftler, erweckt das schon Interesse: "Das ist der Grund, warum Popstars, die nicht besonders attraktiv sind, dennoch so viele Frauen anziehen", sagt Dugatkin, der übrigens ein ähnliches Verhalten auch bei Guppy-Weibchen beobachtet haben will. Auch die imitieren nämlich die Partnerwahl ihrer Konkurrentinnen. "Wenn Frauen andere Frauen beobachten, wie sie beim Anblick der Popstars beinahe ohnmächtig werden, finden sie diese auch attraktiv. Das kann eine Veränderung in der Mode bewirken, weil Männer wiederum das Aussehen des Popstars nachahmen. Sie haben bemerkt, dass das ein Aussehen ist, das Frauen mit Männern assoziieren, die bei Frauen erfolgreich sind." Bei Guppys läuft das ein wenig anders: Weibliche Guppies neigen instinktiv dazu, Männchen mit einer starken orangenen Tönung zu bevorzugen. Wenn man ein Guppy-Weibchen von seinem Schwarm isoliert und so trainiert, dass sie ein Männchen bevorzugt, das eine blassere Farbe als die gewöhnliche sex-stimulierende Färbung besitzt, und sie dann wieder zu ihrem Schwarm gibt, dann werden die anderen Weibchen Angezogensein von Männchen bemerken, die zuvor von ihr gemieden wurden. Auch die anderen Guppy-Weibchen beginnen sich für die neue modische Farbe zu interessieren und finden sie sexy.

Der Masse folgen, die nicht falsch liegen kann

Um seine These zu testen, haben Dugatkin und Cunningham ein Experiment durchgeführt. Sie gaben mehr als 160 Studentinnen einen Artikel, den angeblich fünf ihrer Kolleginnen aufgrund eines 20-minütigen Interviews mit einem Mann namens Chris geschrieben haben. Die Studentinnen konnten die Beurteilung der Attraktivität des fiktiven Chris von den fiktiven Kolleginnen lesen, die auf einer Skala von 1 bis 10 eingetragen wurde. Überdies wurde angeführt, wieviele der Kolleginnen sich mit Chris gerne treffen würden. Chris erhielt entweder drei oder 10 Punkte. Dann wurden noch vier, eine oder keine der Frauen sich mit treffen wollen.

Wenn die Studentinnen erfuhren, dass Chris alle 10 Punkte erhalten hatte, interessierten sich mehr dafür, ihm zu begegnen, als wenn er nur 3 Punkte bekam. Und diejenigen, die den Artikel lasen, bei dem sich angeblich vier der fünf Kolleginnen mit Chris treffen wollten, waren da natürlich auch mehr interessiert. Je mehr Frauen sich für einen Mann interessieren, so die Hypothese, desto mehr muss an ihm dran sein. Das ist so, wie wenn sich irgendwo eine Menschenansammlung bildet und jeder stehen bleibt, um zu sehen, was es da gibt, weil es ja wichtig oder interessant zu sein scheint, wenn sie viele Menschen dafür interessieren: eine Art Quotenprinzip also. Gefragt, was Chris attraktiv für die anderen Kolleginnen machen könnte, antworteten, so Dugatkin, mehr, dass dies mit Reichtum zusammenhänge, als mit Humor oder sozialen Fähigkeiten.

Offenbar haben die beiden Wissenschaftler das Experiment auch mit Männern durchgeführt, wobei Chris in dem Fall eine Frau war. Angeblich verließen sich die Männer dabei weniger auf das Urteil ihrer Geschlechtsgenossen. Noch deutlicher seien die Unterschiede, wenn die Versuchspersonen gefragt wurden, ob sie daran interessiert wären, Chris zu heiraten. Bei den Männern habe die hohe Einstufung nur die von den Versuchspersonen vorgenommene Einstufung durchschnittlich um einen halben Punkt erhöht, während das Interesse der Frauen zwei oder drei Mal soviel zugenommen habe.

Bei einer Wiederholung des Experiments wurde bei der Hälfte der Artikel hinzugefügt, dass Chris Akademiker(in) mit der Aussicht auf ein kärgliches Jahreseinkommen von 40000 Mark sei, für die andere Hälfte hatten die Eltern von Chris gerade 18 Millionen Mark gewonnen, so dass er/sie jährlich eine Million Mark zur Verfügung habe. Wenn alle anderen Angaben gleich blieben, löste der/die reiche Chris bei Frauen und Männern ein größeres Interesse aus. "Ein Grund, warum die Menschen Reichtum wichtig finden", interpretiert Dugatkin, "ist, dass er als Indiz für Ehrgeiz und allgemein für Persönlichkeit gilt."

Und was ist der evolutionäre Vorteil der Konkurrenz mit den anderen Frauen, deren Wahl nachgeahmt wird? Auch dafür hat Dugatkin eine Antwort. Möglicherweise reduziert das die Arbeit, einen Partner durch eigene Entscheidung zu finden, und lässt mehr Zeit, anderen wichtigen Dingen wie der Suche nach Lebensmitteln oder, in der heutigen Welt, dem Shopping nachzugehen. Vielleicht aber ist die Suche nach einem geeigneten Geschlechtspartner mit Qualitäten auch kognitiv überfordernd oder gar unmöglich, so dass die Frauen anstatt auf den Zufall komplexitätsreduzierend auf Männer zurückgreifen, die auch von anderen Frauen als attraktiv betrachtet werden. Das engt die Auswahl ein, lässt die nicht im Kegel der Aufmerksamkeit Stehenden, keine hohe gesellschaftliche Position Einnehmenden oder ärmlichen Männchen allerdings schlecht aussehen, auch wenn sie noch so gut aussehen.