Wachsende Besorgnis über BGH-Urteil gegen Holocaust-Leugner

Kann ein Land über die Rechtsmaßstäbe im globalen Internet bestimmen?

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Der Versuch des Bundesgerichtshofs, im Fall des Holocaust-Leugners Fredrick Töben deutsches Recht weltweit auszudehnen, stößt international nicht auf besondere Gegenliebe und verstärkt vor allem die kulturelle und politische Kluft zu den USA, wo das Abstreiten der Massenvernichtung der Juden im Dritten Reich unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fällt. Der Streit um die Frage, was im internationalen Internet weltweit erlaubt sein soll und welche Nation welche Strafbestände ahnden darf, geht in die nächste Runde.

Esther Dyson wirkt leicht frustriert: "Die Balkanisierung des Internet ist unvermeidlich", fürchtet die ehemalige Vorstandsvorsitzende der kalifornischen Domainverwaltungsorganisation Icann mit Blick auf die Entscheidung des 1. Strafsenat des Karlsruher Gerichts. Der hatte Fredrick Töben, einen Australier deutscher Herkunft, vergangene Woche der "Friedensstörung" hier zu Lande für schuldig befunden (Leugnung des Holocaust im Internet nach deutschem Recht strafbar). Töbens Vergehen: Als Direktor des Adelaide Institute in Australien hatte der promovierte Wissenschaftler nach Ansicht des Gerichts "volksverhetzende Äußerungen" auf der Website (www.adelaideinstitute.org) des Instituts publiziert, die unter das Verbot der "Auschwitzlüge" fallen. Da der ausländische Server auch Internetnutzern in Deutschland zugänglich sei, hatte der Bundesgerichtshof darin eine Gefahr für das "Inland" erkannt. Töben droht nun eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Wegen Verbreitung von "revisionistischen" Flugblättern in Deutschland hatte er bereits zuvor mehrere Monate in einem deutschen Gefängnis verbracht.

Generell empfindet Dyson die Aufsplitterung des Internet in immer mehr regionale Inseln zwar nicht "notwendigerweise schlecht." Verschiedene Rechtsprechungen machten durchaus Sinn - solange sich die Surfer frei von einer nationalen Jurisdiktion zur nächsten bewegen könnten. Problematisch würde die Sache allerdings, wenn ein Gericht eines Landes wie im Fall des BGH sich plötzlich darauf versteife, dass "meine Regeln überall gelten sollten".

Verheerende Signalwirkung

Der Berliner Hacker Andy Müller-Maguhn, den die europäischen Surfer im Oktober in den Icann-Vorstand gewählt haben, geht in seiner Kritik noch weiter: Seiner Meinung nach ist der Erlass des Bundesgerichtshofs derzeit eine der unglücklichsten Entscheidungen "im Internet-Kontext überhaupt". Der Sprecher des Chaos Computer Clubs fürchtet um die Auswirkungen, "wenn andere Länder auch nur ansatzweise sich an dem Grundsatz orientieren würden, dass ihre Regeln und Sanktionsmaßnahmen im Bezug auf Meinungsäußerungsrechte auch für im Ausland handelnde Bürger anderer Staaten gelten".

Deutsche Studenten müssten dann etwa für die etwaige Teilnahme an Diskussionsforen im Web bei der Einreise nach China gleich mit einer einstweiligen Erschießung rechnen, zeichnet Müller-Maguhn ein Horrorszenario auf. Aber auch Mitarbeiter der westlichen Werbeindustrie mit Überlebensdrang würden dann wohl starke Einschränkungen ihrer Reisefreiheit, beispielsweise in arabische Länder, hinnehmen müssen.

Das Fazit des Hackers: "Der Bundesgerichtshof hat eine Entscheidung mit verheerender Signalwirkung gefällt, deren direkte Durchsetzung darüber hinaus höchst fragwürdig ist."

Der Besorgnis Müller-Maguhns will sich Jörg Tauss, Beauftragter der SPD-Bundestagsfraktion für Neue Medien und seit kurzem auch ihr Bildungs- und Forschungssprecher, in dieser Form nicht anschließen: "Fatal wäre es gewesen, wenn der Bundesgerichtshof auch Provider zur Verantwortung gezogen hätte, über die die Töben-Site abrufbar ist", kommentiert der Politiker die Entscheidung. Die Daten-Übermittler seien allerdings explizit aus der Geschichte rausgehalten worden.

Generell hält Tauss das Urteil für richtig, da sich Jemand, der sich in Deutschland als Person strafbar mache, nicht auf Straffreiheit berufen könne, nur weil er Ausländer sei. Schon 1995 habe er sich in der damals tobenden Debatte um den angeblich "rechtsfreien Raum" des Internet dafür ausgesprochen, Autoren auch dann zu belangen, wenn sie hier zu Lande strafrechtlich relevante Inhalten auf ausländischen Servern publizieren. Daran würden selbst Warnhinweise für deutsche Surfer nichts ändern.

Globaler Wertekonsens ist eine Utopie

Derartige Ansprüche müssten dann natürlich auch für andere Nationen gelten, ist sich Tauss klar. "Auch andere Länder werden ihr nationales Recht im Cyberspace nicht aufgeben", so der Internetexperte der SPD. Für einen User, der sich auf seiner Homepage in üblen Beschimpfungen des Islams ergehe, sei es demnach nicht geraten, in den Iran zu reisen. Tauss glaubt allerdings nicht, dass deswegen künftig die Meinungsfreiheit im Internet zur Farce wird: "Was wirklich strafbar ist, ist im internationalen Rechtskontext nach wie vor überschaubar." Einig sei sich die weltweite Staatengemeinschaft beispielsweise in der Ächtung von Kinderpornographie.

Doch damit hört der von Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin so gern im Munde geführte "globale Wertekonsens" in der Regel auch schon auf. Die Bundesregierung bemüht sich zwar seit längerem, durch internationale Konferenzen und die im Juni verabschiedete "Berliner Erklärung" (Berliner Erklärung gegen den Hass im Netz) auch (rechten) Extremismus im Web weltweit zu ächten. Doch gerade in den USA, wo die "Free-Speech"-Kultur deutlich stärker ausgeprägt ist als in Deutschland, sind die Bemühungen des Bundesjustizministeriums bisher auf wenig Akzeptanz gestoßen.

"Es gibt ein paar Regeln, die überall gelten sollten", erkennt zwar auch die Netzlady Esther Dyson an. Wenn es beispielsweise um Mord oder Betrug gehe. Doch bei Fragen wie der Regulierung von Netzinhalten oder des anonymen Surfens sieht die sich stark in Russland engagierende Wagniskapitalgeberin keine Einigung im internationalen Rahmen am Horizont. Der einzig gangbare Weg sei daher, "den Individuen Kontrolle über das zu geben, was sie hören und sehen wollen."

Die Herausforderung sei allgemein, niemandem zu viel Macht zu geben - Macht, um beispielsweise andere zum Schweigen zu verurteilen. Nicht die Inhalte seien das Hauptproblem, sondern Versuche, Kritiker mundtot zu machen (It's not the Nazis, Stupid!).

Wiesenthal-Center gratuliert den deutschen Behörden

Von ganzem Herzen begrüßte den Schiedsspruch des Bundesgerichtshof dagegen Rabbi Abraham Cooper, stellvertretender Dekan des Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles, der seit Jahren mit Däubler-Gmelin im Gespräch ist. "Wir gratulieren den deutschen Behörden dazu, dass sie zu ihrem Engagement stehen", sagte er gegenüber Wired News. Die Advokaten der freien Meinungsäußerung in den USA sollten endlich akzeptieren, dass mit der Popularität des Internets weltweit auch viele für einzelne Völker sensitive Bereich berührt würden. Cooper denkt dabei nicht nur an die deutschen Empfindlichkeiten, sondern auch an die der Franzosen: In Paris hatte ein Richter jüngst das im Silicon Valley beheimatete Portal Yahoo dazu verurteilt, wegen "Verletzung des kollektiven Gedächtnisses" für französische Surfer den Zugang zu Yahoo-Auktionen auf Servern in den USA zu sperren, bei denen Nazi-Gedenkstücke versteigert werden (Das französische Yahoo-Urteil gilt für alle Nazi-Inhalte).

Der Sprecher des Wiesenthal-Centers sieht es als selbstverständlich an, wenn Gesellschaften ihren Umgang mit Problemen wie Hassäußerungen oder Holocaust-Verleugnungen auch im Internet durchsetzen wollen. Dass dadurch auch Behörden in Ländern mit anderen Praktiken und Kulturen unter Druck geraten - die australischen Strafverfolger überlegen momentan, ob sie nach der Pornographie auch "verletzende Inhalte" aller Art aus dem Cyberspace verbannen sollen -, nimmt der Rabbi als willkommenen Nebeneffekt in Kauf.

Technische Regulierungsansätze problematisch

Doch selbst wenn sich im umstrittenen Bereich freier Meinungsäußerung in Zukunft international klarere gemeinsame Regulierungsansätze durchsetzen würden, wie das Wiesenthal-Center hofft, sind die technischen Fragen zur Durchsetzung solcher Absprachen nach wie vor ungeklärt. Man könnte zwar langfristig alle Netzbürger dazu verpflichten, sich beim Besuch eines Servers zunächst mit Hilfe eines digitalen Passes in Form einer elektronischen Signatur auszuweisen. Doch Experten halten den Aufbau derartiger "Sicherungszwangsinfrastrukturen" für kaum durchsetzbar. Auch die Abweisung von Surfern aufgrund der IP-Nummern ihrer Rechner ist momentan noch zu ungenau.

An Netzfiltern (Die große Filteroffensive) und Protokollen zur Verständigung zwischen Clients und Servern (Wenn Maschinen zu viel mauscheln), die das Internet einfacher regulierbar machen würden, wird zwar gearbeitet. Doch auch hier bleibt die Frage, ob sie von den Usern wirklich gewünscht werden bzw. von Politikern in demokratischen Gesellschaften durchgesetzt werden können.

Die Debatte um Inhalte und Free Speech im Netz wird daher noch lange andauern. Konkret bemüht sich Müller-Maguhn derzeit um eine Aussprache mit einem Richter vom BGH während des diesjährigen Chaos Communication Congress Ende Dezember in Berlin. Doch in Karlsruhe scheint die Weihnachtspause bereits begonnen zu haben - eine Antwort auf die Email-Anfrage des Hackers liegt bisher noch nicht vor und die Telefonzentrale scheint unbesetzt zu sein.