Klone aller Länder vereinigt euch!

Zur Genphilosophie des Mausoleums anlässlich der projektierten Wiederauferstehung von Lenin

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Die Geschichte ist eine Fundgrube verpasster Gelegenheiten, vorschneller Filmrisse und überflüssiger Passagen zur allgemeinen Glückseligkeit. Wie oft konnte sich die List der Vernunft nicht der dummen Zufälle erwehren, die den geraden Weg ins Paradies behindert haben. Was hätten jene pluripotenten Helden, Beinahe-Götter oder früh Vollendete wie Mozart in längerer Lebenszeit noch leisten können, wenn sie ihr widriges Genschicksal nur gelassen hätte.

Im "Copyshop des Lebens" (Judith Kröll) ist seit der prometheischen Entscheidung des britischen Unterhauses, das Klonen von embryonal gewonnenen Stammzellen für zulässig zu erachten, die autoevolutive Hölle auf Erden los. Hiltrud Breyer, Abgeordnete der Grünen im Europaparlament, erkennt im gentechnologischen Vorstoß der Briten gar einen "ethischen Dammbruch" und die üblichen Verdächtigen stimmen in diesen dunkelsten Generalbass ein.

Aber was sind schon ein paar Stammzellen gegen die Wiederauferstehung von Komplettpersönlichkeiten der Weltgeschichte? Der Biologe Ilja Sbarski, Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften, erklärte jetzt, in dem einbalsamierten Restkörper Lenins seien "genügend DNA-Moleküle" für dessen Klonwiedergeburt vorhanden. Das riecht nach posthumem Klassenkampf, nach neosozialistischer Internationale, nach dem Revival(!) der Weltrevolution mit anderen, eben gentechnologisch aufgerüsteten Mitteln. Oder müsste dafür Trotzki auch noch nach dem schnöden Eispickelmeuchelmord eine zweite Lebenszeit erhalten?

Wahrscheinlich träumte schon Theodor W. Adorno von roten Stammzellen, als er orakelte: "Philosophie, die einmal überholt schien, erhält sich am Leben, weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward." Nun holt den Biovisionär Ilja Sbarski aber kleinmütiger Schrecken vor der eigenen Nachschöpfungscourage ein, wenn er sich den garantiert unsterblichen Revolutionsführer so vorstellt: "Es hat kaum Sinn, einen derart strengen, auf Zerstörung des Menschen bedachten Mann wie Lenin zu klonen." Papperlapapp, Sinn, kaum Sinn, Unsinn - das soll der futuristische Materialismus (Futumat) selbst beantworten, wenn er mit Noam Chomsky demnächst gegen den menschenfressenden Neoliberalismus reitet.

Vielleicht haben wir die Welt nicht von unseren Kindern, sondern von den gen-ialen Toten geliehen, reden von Fortschritt, wo allein die Reaktion der Schädelstätte uns weiterhelfen würde, eine kleine Zeit mit großen alten Ideen zu überwinden. Zugegeben: Lenin hatte seine kommunistische Utopie ein bisschen aus dem klassenkämpferischen Auge verloren, aber der Redivivus hätte jetzt die einmalige bis tausendfache Chance, die stalinistische Pervertierung seines Paradieses im Feed-back der Geschichtslektüre zu überdenken, aus den Fehlern seines blutroten Erbprinzen zu lernen.

Lebt also ab morgen nicht nur James Bond mindestens zwei Mal, wird das Sein endlich von seiner unerträglichen Leichtigkeit hin zur völligen Schwerelosigkeit erlöst. Nietzsches Kreisel der ewigen Wiedergeburten käme so richtig in Schwung, samsara forever, selbst der wieder geborene Lama würde ohne Seinsverluste 1:1 wiedererleuchtet, ohne erst mühselig von tibetanischen Mönchen in der Gestalt eines spanischen Knäbleins aufgespürt zu werden.

Doch schon wird die Euphorie von der Daseinsarroganz der Lebenden eingeholt. Nach Ilja Sbarski sollte Lenin aus dem Mausoleum entfernt werden, ja es ist in Russland schon die Rede davon, die explosiven Gen-Fundstätte zu schließen. Die Russen sind bemerkenswert inkonsequent, haben sie doch einige Tage zuvor noch Wladimir Iljitsch zum "Mann des Jahrhunderts" gekürt, knapp gefolgt von der stählernen Menschheitsplage Stalin. Der Menschenrechtler Andrej Sacharow landete dagegen auf dem dritten, Gorbi sogar abgeschlagen auf dem fünften Platz. Nostalgie heilt eben Wunden.

Was meint Lenin eigentlich selbst zu seiner Resurrektion? "Die einzige Eigenschaft der Materie, an deren Anerkennung der philosophische Materialismus gebunden ist, ist die Eigenschaft, objektive Realität zu sein, außerhalb unseres Bewusstseins zu existieren". Mit anderen Worten: Erlöst uns von dem nebulösen Andenken Lenins in unseren Köpfen und gebt ihm eine zweite Gelegenheit, wieder zur objektiven Realität zu werden. Das sozialistische Ersatzgewebe einer besseren Wirklichkeit ist doch längst wieder bereit, zum Menschheitswohle zu wuchern. Lenins Revolutionskollege Anatoli Lunatscharski hatte das bereits 1904 prophezeit, als er einen Organismus als umso vollkommener und lebensfähiger bezeichnete, je größer sein Vermögen zur Selbsterhaltung ist. Und was Tutanchamun, Ramses und Hatschepsut recht ist, ist roten Monarchen eben billig.

Mausolos sei Dank, unsere gruftigen Gendatenbanken, Nekropolen und Beinhäuser sind randvoll mit dem kostbaren Stoff, aus dem die Träume des immergrünen Genpools sind. Nicht länger müssen wir uns lediglich auf das "angenehme Gefühl" bescheiden, "aus dem Innern des Grabes heraus" auf die Seelen der Menschen zu wirken (d`Holbach), wenn der total recall von Körper und Geist möglich wird. Sollte das Gen noch viel egoistischer sein, als es Richard Dawkins behauptet hat, um mit Luk. 15,32 festzustellen: "Mortuus erat et revixit" (Er war tot und ward wieder lebendig).

Bestimmt wird der "Gott & Golem Inc." (Norbert Wiener) noch erheblich mehr einfallen, als es bereits die Klonierung des Zarenbezwingers hoffen lässt. Noch ein paar Verfeinerungen der Gentechnologie und schon bald wird uns klar, warum die Kurie seit je ihre Reliquien wie Augäpfel hütete. In den Worten des heiligen Ignatius von Antiochien, dessen Überreste in Rom lagern, wird der gottgefällige Genteig so beschrieben: "Gottes Weizen bin ich, und ich werde von den Zähnen der wilden Tiere gemahlen, um als reines Brot gefunden zu werden."

Neben diesem Knochen(be)fund gibt es freilich noch erheblich brisantere Ausgrabungsoptionen: Die heilige Stiegen in Rom oder auf dem Bonner Kreuzberg sollen gar neben Lacrimae Christi einige Tropfen Erlöserblut bergen. Vielleicht hilft auch das Turiner Grabtuch weiter, dessen Authentizität endlich unter Vollbeweis gestellt werden könnte. DNA-klontauglich? Sollte das so sein, wäre das für 2001 Frohbotschaft und Verpflichtung zugleich. Der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Martin Hein, muss dann nicht länger befürchten, dass die Fundamentalmaxime des christlichen Glaubens "Gott wird Mensch" in ihr Gegenteil umgekehrt werde.

Wahrscheinlich hat die Bibel doch Recht! Vielleicht macht Sir Steven Spielberg einen Film daraus ... die Welt vor 2001 Jahren. Oder doch gleich der gencineastisch reanimierte Stanley Kubrick? Wer interessiert sich schon für Saurier, wenn es um Götter und Revolutionshelden geht?