"Kinderpornos bei: (bitte selbst ausfüllen)"

Ein hübscher Titel, immer für eine Diffamierung gut

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Das LKA Bayern, so Spiegel Online am 9. Januar, ermittle wegen Verdachts auf Kinderpornos. Wie üblich, werden Einzelheiten oder Fakten nicht genannt. Die Quelle ist das Online-Magazin Computer Channel: Kinderpornos bei Filesharing-Diensten oder hier. Dort heißt es jedoch genauer, dass "neben den Filesharing-Diensten Gnutella und MyNapster auch bei dem mit etwa 40 Millionen Nutzern größten Napster-Netzwerk Kinderpornos aufgetaucht und auch heruntergeladen werden können."

Warum? Etwas wird angeboten, wenn eine Nachfrage vermutet wird - ein ehernes Gesetz des Kapitalismus. Bisher tauchten - äußerst selten - im Internet Relay Chat kinderpornografische Abbildungen auf, die meist aus den siebziger Jahren stammen und von Suchprogrammen wie Perkeo indiziert werden. Dazu gibt es noch eine "Grauzone" von FKK-Fotos ohne dezidiert sexuellen Inhalt. Auch im Usenet, selbst in einschlägigen Newsgroups wie alt.binaries.pictures.erotica.pre-teens sind anonym eingespeiste illegale Fotos extrem selten.

Welche Botschaft steht hinter der Meldung? Alle Programme, mit denen digitale Daten verschickt und empfangen werden können, werden auch von Kriminellen genutzt. Die Ultrabösen, noch böser als die Nazis, nutzen eine Software. Vermutlich tun sie das. Sie nutzen vermutlich auch das Telefon und "das Internet", um kein Klischee auszulassen. Wer die Gesetze der Medien kennt, weiß, dass sich jetzt keines leisten kann, eine Meldung "Kinderpornografie im (bitte selbst ausfüllen)" nicht zu bringen. Es bleibt daher eine diffuse Emotion zurück: Das Internet ist böse, weil es die Bösen nutzen. Programme, die Daten übertragen, sind böse. Etwas ohne Ausführungsverordnung, Durchführungsbestimmung und eindeutige Hierarchien samt Internet-Blockwart ist böse. Software, die nicht den Konzernen wie Bertelsmann gehört, ist böse.

Wie üblich vergessen die Artikel zum tabubeladenen Thema "Kinderpornografie im ..." dass es jedem Internet-Experten der Polizei schnell gelingen sollte, des Kriminellen "im Internet" habhaft zu werden. Der Provider des betreffenden Kunden und Napster-Nutzers muss ohnehin die Daten - Adresse und Telefonnummer - herausgeben, die IP-Adresse kann ermittelt werden. Das geht bei Programmen wie Napster noch leichter als bei Freespace-Hostern, da nur selten ein anonymer Socks-Proxy - ein Protokoll, das mit einem Firewall kommuniziert - im Spiel ist.

Heiße Luft kann noch getoppt werden, wenn sie mit einer Pressemeldung des Verfassungsschutzes kombiniert wird. Der Spiegel führt nach dem "Verdacht auf Kinderpornografie" - ohne Absatz! - an, der VS habe berichtet, Napster habe sich "zur zentralen Plattform für den Austausch rechtsextremer Musik entwickelt." Es könne Musik verbreitet werden, die zu Mord aufriefe. An dieser These ist vieles falsch: Zentrale Plattformen für die Jung-Rechten zum Musiktausch sind - neben normalen Emails - ICQ und der AOL Instant Messenger. Man muss nur die Diskussionen in den einschlägigen "MP3 White Power"-Foren verfolgen, um das zu merken. Aber das macht der VS natürlich nicht, weil er nach eigenen Angaben 80 Prozent seiner Informationen aus "öffentlichen Quellen" bezieht, also aus der Zeitung. Und dort steht zum Thema "Das Böse im Internet" viel, wenn der Tag lang ist - und oft grober Unfug. Und wer die Skandaltruppe Verfassungsschutz als vermeintlich seriöse Quelle nutzt, ohne jedes Detail nachzurecherchieren, verfügt noch nicht einmal über die Grundlagen des journalistischen Handwerks.

Fazit? Bertelsmann, der frisch gebackene Besitzer Napsters, "verurteilte den Missbrauch der Musikbörse zur Verbreitung von Hass und Gewalt". Was zu erwarten war. Und jetzt alle zusammen: "Wir verurteilen den Missbrauch von (bitte selbst ausfüllen: Telefon, Email, WWW, Usenet, IRC, ICO, Napster, Gnutella, AIM, Brieftaube, TV, Printmedien) zur Verbreitung von Hass und Gewalt".