Bauen wir Götter oder unsere möglichen Exterminatoren?

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis unsere Maschinen klüger sind als wir, meint Hugo de Garis, der sich als Brainbuilder bezeichnet

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Die Künstliche Intelligenz der Roboter entwickelt sich eine Mal Million Mal schneller als die menschliche Intelligenz. Das ist eine Folge des Mooreschen Gesetzes, das behauptet, dass die elektronische Leistungskraft der Chips sich ungefähr jedes Jahr verdoppelt, während unsere biologischen Gehirne eine Million Jahre benötigt haben, um ihre Kapazitäten zu verdoppeln. Daher ist es wahrscheinlich, dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis unsere Maschinen klüger als wir sein werden. Es ist ebenso wahrscheinlich, dass diese Entwicklung noch in diesem Jahrhundert geschehen wird, wenn die Menschheit dies zulässt.

Hugo de Garis, Foto: Tom Ray

Mein Team und ich haben an meinem Institut von Starlab in Brüssel begonnen, das erste künstliche Gehirn der Welt zu entwerfen und zu schaffen, das fast 100 Millionen künstlicher Gehirnzellen (Neuronen) enthalten wird. In ungefähr vier Jahren wird die nächste Version bereits eine Milliarde Neuronen umfassen.

Unser menschliches Gehirn besteht aus ungefähr 100 Milliarden Neuronen. Daher ist es keine Überraschung, wenn jemand wie ich von der Aussicht besorgt ist, dass die Roboterintelligenz den Intelligenzgrad der Menschen überholen wird.

Es sei zugegeben, dass eine große Rechengeschwindigkeit und -kapazität noch nicht automatisch mit großer Intelligenz gleichsetzbar sind, aber sie sind Voraussetzungen dafür. Das Potential ist da. Mein Team steht noch dem beträchtlichen Problem gegenüber, das künstliche Gehirn zu bauen. Wir müssen noch "BAs" - Gehirnarchitekten oder Brainbuilders - werden.

Gorillagehirn - Exemplar eines "alten" Modells

Trotz dieser Qualifikation glaube ich nicht nur, dass künstliche Gehirne klüger werden als Menschen, sondern ich glaube auch, dass die mögliche Intelligenz dieser massiv intelligenten Maschinen, die ich "Artilects" (artificial intellects) nenne, tatsächlich Billionen von Billionen von Billionen Mal schneller sein kann.

Falls solche astronomisch große Zahlen für Sie nach Science Fiction klingen, bitte ich Sie, einmal Folgendes zu überdenken. Das Mooresche Gesetz wird durch die Verkleinerung der elektronischen Komponenten wie den Transistoren um einen Faktor von Zwei ungefähr alle zwei Jahre erreicht. Dies halbiert die Entfernung zwischen Komponenten und verdoppelt folglich die Geschwindigkeit, mit der elektronische Signale sich zwischen ihnen bewegen können - in Lichtgeschwindigkeit, einer Naturkonstante. Diese Entwicklung war jetzt 30 Jahre lang gültig und wird wahrscheinlich bis zum Jahr 2020 weitergehen. Dann wird die Größe der elektronischen Schaltkreise bis auf die atomare Ebene geschrumpft sein.

In anderen Worten: Innerhalb einer einzigen Menschengeneration wird es sehr wahrscheinlich möglich werden, ein einzelnes Bit an Information in einem einzelnen Atom zu speichern. Es gibt eine Billion Billionen (eine 1 mit 24 Nullen dahinter) Atome oder Moleküle in Gegenständen des menschlichen Größenmaßstabs wie einer Orange. Ein Objekt, das so groß ist wie ein Asteroid, den es im Asteroidengürtel gibt, der zwischen Mars und Jupiter die Sonne umkreist, kann einen Durchmesser von Hunderten von Kilometern haben und eine Billion Billionen Atome enthalten. Die in diesen Atomen gespeicherten Bits können zwischen 0 und 1 und umgekehrt in einer Femtosekunde (dem tausendsten Teil einer billionstel Sekunde) umschalten (Bit Flip). Das entspricht einer Informationsverarbeitungskapazität von ungefähr zehn Millionen Billionen Billionen Billionen Billionen (eine 1 mit 55 Nullen) Bit Flips pro Sekunde. Wenn man damit die entsprechende Informationsverarbeitungskapazität des menschlichen Gehirns (in Bit Flips pro Sekunde) vergleicht, dann würde die Antwort schätzungsweise lauten: Zehntausend Billionen Bit Flips pro Sekunde (eine 1 mit 16 Nullen). Das ist Tausend Billionen Billionen Billionen Mal weniger. Diese Artilects könnten möglicherweise wirklich gottähnlich und unsterblich sein, praktisch unbegrenzte Speicherkapazitäten besitzen und gewaltige, von Menschen nicht mehr zu verstehende Intelligenzstufen erreichen.

Ich sehe vorher, dass die Menschheit sich in zwei große, ideologisch streng entgegengesetzte Gruppen über das Thema der "Artenherrschaft" spalten wird, d.h. ob die Menschen Artilects schaffen sollen oder nicht. Diese zwei Gruppen nenne ich "Kosmisten", die Artilects schaffen wollen, und "Terraner", die das nicht wollen. Für die Kosmisten - der Begriff geht auf Kosmos zurück - wird das Schaffen von Artilects eine mit der modernen Wissenschaft kompatible und auf ihr basierende Religion als Schicksal der menschlichen Gattung, als herausragendes Ziel sein, die nächste Stufe auf der Leiter der dominanten Arten zu bauen. Für die Terraner - der Begriff geht auf Terra, die Erde, zurück - bedeutet die Schaffung von solchen Artilects das Eingehen des Risikos, dass diese Artilect-Gottheiten in einem fortgeschrittenen Zustand eines Tages aus irgendeinem Grund zu dem Entschluss kommen könnten, dass die Menschen ausgerottet werden sollten, weil die menschliche Gattung unterlegen und eine Art Ungeziefer ist. Mit ihren gewaltigen Intelligenzen würde diese Aufgabe für sie nicht schwierig zu lösen sein.

Modell des geplanten Artilect-Katzenroboters von Genobyte

Die Terraner werden letztlich versuchen, die Kosmisten auszulöschen, wenn diese darauf bestehen, Artilects zu schaffen, um das Überleben der menschlichen Gattung zu sichern. Da der Einsatz so hoch ist, da es um das Überleben oder das Ende der menschlichen Gattung geht, werden die entsprechend Leidenschaften groß sein. Dis Kosmisten werden den mörderischen Hass der Terraner bemerken und sich selbst verteidigen. Wir haben hier alle Voraussetzungen für den Ausbruch eines großen Krieges. Über 200 Millionen Menschen starben mit dem Einsatz von Waffen des 20. Jahrhunderts im 20. Jahrhundert aus politischen Gründen (Kriege, Genozide, Aufstände etc.). Wenn wir diesen Trend für das 21. Jahrhundert mit den entsprechenden Waffen extrapolieren, dann kommen wir zu Milliarden von Toten - zu Gigatoten.

Was bin ich? Ein Kosmist oder ein Terraner? Ich bin beides. Letztlich glaube ich, dass es eine kosmische Tragödie wäre, wenn die Menschheit sich dazu entschließen würde, die Evolution auf der kläglichen Ebene des Menschen einzufrieren - mit unserem erbärmlich kurzen Leben von 80 Jahren in einem Universum, das Milliarden von Jahren alt ist und eine Billion Billionen Sterne enthält (das "große Bild"). Für mich ist die Tragödie, dass die menschliche Gattung ausgelöscht werden könnte, weniger bedeutsam als die Unmöglichkeit der Geburt von Artilects. Das klingt monströs und ist dies auch aus menschlicher Perspektive, aber die Schaffung des ersten wirklichen Artilects zu verhindern, der eine Billion Billionen Billionen Menschen "wert" wäre, würde eine viel größere, eine "kosmische" Katastrophe sein.

Als einer der führenden Gehirnbildner der Erde empfinde ich eine schreckliche Last der Verantwortung für das Überleben der menschlichen Gattung und der Erschaffung von gottähnlichen Artilects, weil ich ein Teil des Problems bin. Ich bin in diesem Punkt ziemlich schizophren. Ich würde nach meinem Tod gerne als "Vater des künstlichen Gehirns" in Erinnerung bleiben, aber sicher nicht aus der künftigen historischen Perspektive als "Vater des Gigatodes" gelten wollen. Daher versuche ich, jetzt Alarm zu schlagen, da es noch immer einige Zeit dauern wird, bis die Artilects entstehen werden. Wenn ich ein wirklicher Kosmist wäre, würde ich still bleiben und einfach weiter arbeiten. Aber ich bin der Überzeugung, dass die Menschheit die Gelegenheit haben sollte, den Aufstieg des Artilect des 21. Jahrhunderts von Beginn an zu verhindern, wenn sie dies wünscht.

CAM-Brain Machine

Sollte also die Arbeit an künstlichen Gehirnen jetzt beendet werden? Ich denke nicht. In den nächsten 30 Jahren werden gehirnbasierte Computer sich als zu nützlich erweisen, um unterdrückt zu werden. Sie werden beispielsweise intelligent genug sein, um das Haus zu putzen, die Kinder zu unterrichten, Sex zu ermöglichen oder den Menschen bei Entscheidungen zu helfen. Sie werden den Großteil der Arbeit machen und so für die ganze Erde großen Wohlstand schaffen. In der kurz- und mittelfristigen Perspektive wird die Technologie zum Bau von Gehirnen daher als Segen für die Menschheit gelten.

Doch es ist die langfristige Perspektive, die mich ängstigt und mich nachts nicht schlafen lässt. Ich sehe keinen Ausweg aus dem Gigatod-Artilect-Krieg, da die Logik so unerbittlich ist. Das Auftreten des Artilect wird wahrscheinlich unvermeidbar sein. Die ökonomischen und militärischen Zwänge, sie zu bauen, werden riesig sein. Hunderte von Milliarden Dollar werden, wie ich glaube, jährlich weltweit in den gehirnbasierten Computermarkt innerhalb von 10 oder 20 Jahren investiert werden. Die Diskussion, ob man Artilects bauen soll oder nicht, beginnt bereits los zu gehen, zumindest bei den Wissenschaftlern, die sich mit der Schaffung von Gehirn und der Künstlichen Intelligenz beschäftigen.

Die Diskussion beginnt auf andere Fachbereiche auszugreifen. Beispielsweise versuche ich Professor Peter Singer (Princeton University), den weltweit bekanntesten Philosophen der "angewandten Ethik", davon zu überzeugen, ein Buch über die "Ethik der Artilects" zu schreiben. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der dieses Thema seit kurzem in die Schlagzeilen gekommen ist, gehe ich die Wette ein, dass in wenigen Jahren die "Artilect-Diskussion" jedem bekannt sein wird.

Die Entscheidung, Artilects zu bauen oder sie zu verhindern, wird die härteste Entscheidung sein, die die Menschen jemals getroffen haben. Ich bin froh, jetzt zu leben. Wie ich kürzlich im Discovery Channel über meine Arbeit und meine Ideen sagte, habe ich Angst um meine Enkel: "Sie werden das Schreckliche erleben, und sie werden von ihm vernichtet werden."

Nachdem Prof. Dr. Hugo de Garis acht Jahre (1992-99) lang in Japan über künstliche Gehirne geforscht hat (Robokoneko), leitet er jetzt "Starbrain", das KI-Projekt des Starlab in Brüssel. Hier werden neuronale Netze mit elektronischen Geschwindigkeiten in einer speziellen "evolutionsfähigen Hardware" entwickelt. Ein Gehirn mit hundert Millionen Neuronen wird entworfen und gebaut, um Hunderte von Verhaltenseigenschaften der lebensgroßen Katze "Robokitty" zu steuern. Dadurch soll gezeigt werden, dass die Schaffung von Gehirnen möglich ist. Prof. de Garis und seine Hardware-Kollege Dr. Michael Korkin (der Entwickler und Hersteller der weltweit ersten vier Maschinen zur Schaffung von Gehirnen, die CBMs heißen) verhandeln gerade mit der europäischen Wirtschaft über ein KI-Projekt mit einem Budget von über 100 Millionen Dollar.