Die Erde tönt

Online lässt sich über einen niederfrequenten Empfänger jetzt die irdische Symphonie hören

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Permanent tönt unsere Erde, nur wir können es nicht hören, weil diese Radiowellen zu niedrige Frequenzen für unsere Ohren haben. Aber sie lassen sich mit Hilfe von niederfrequenten Radioempfängern in Schallwellen umwandeln, die wir vernehmen können.

Unsere Ohren können Schwingungsfrequenzen zwischen 20 Hz und 20 kHz wahrnehmen (nicht 10 bzw. 20 kHz und 30 kHz wie ursprünglich falsch geschrieben: Danke den aufmerksamen Lesern!). Die niederfrequenten Radiowellen in der Atmosphäre reichen von Null bis zu 10000 Hz, aber wir können sie nicht wahrnehmen, weil wir keine Antennen besitzen. Um sie hörbar zu machen, kann man sie mittels eines niederfrequenten Radioempfängers (VLF) in Schallwellen umwandeln. Das sind einfache Empfänger, die nur aus einer Antenne und einem Verstärker bestehen und Radiowellen auf Frequenzen zwischen einigen 100 Hz bis zu 10 kHz empfangen können.

Die Geräusche, die sich derart auf der Erde hören lassen und ihre permanente Kulisse darstellen, stammen von Blitzen, die nicht nur den hörbaren Donner und den Lichtblitz, sondern auch ein breitbandiges, von 15 Hz bis zu Millionen kHz reichendes Spektrum an Radiowellen erzeugen. Verwandelt man die niederfreqenten Wellen in Schallwellen, so hört sich das etwa wie das Knacken eines Feuers an, zumal wenn die Blitze sich in der Nähe des Empfängers befinden. Auf Englisch nennt man diese Geräusche "Sferics", was schlicht eine Abkürzung von "atmospherics" ist. Blitze lassen sich allerdings auch hören, wenn sie viele Tausend Kilometer entfernt sind, weil die Erde für niederfrequente Wellen eine besondere Eigenschaft hat: die Ionosphäre und die Erdoberfläche bilden einen natürlichen Hohlleiter (waveguide), der die elektromagnetischen Wellen kanalisiert. Zwischen der Ionosphäre, die in 90 Kilometern Höhe beginnt und der Erdoberfläche, springen die Wellen hin und her. Und weil es jede Sekunde auf der Erde an die 100 Blitze gibt, kehrt eigentlich niemals Stille ein.

Diejenigen "Sferics", die sehr lange durch den irdischen Hohlleiter reisen, werden zu "tweeks", bei denen die hohen Frequenzanteile früher den Empfänger erreichen als die niedrigen. Je nach Größe des Hohlleiters werden niederfrequente Wellen abgeschnitten. Je näher eine Welle diesem Schnittpunkt kommt, desto langsamer wird sie. Beim irdischen Hohlleiter liegt dieser Punkt etwa bei 3 kHz. Das ist die Frequenz, bei der die Hälfte der Wellenlänge zwischen Erdoberfläche und den Beginn der Ionosphäre passt.

Dynamisches Spektrum eines Tweeks

Und dann gibt es noch eine Gruppe von Geräuschen, die dadurch entstehen, dass Blitzentladungen in die Ionosphäre gehen und ganz aus der Atmosphäre entweichen. Sie folgen magnetischen Feldern, die sie bis in Höhen von 10000 Kilometern führen, bis zur Magnetosphäre: "Blitzentladungen, die den ganzen Weg bis zur Magnetosphäre und wieder zurück reisen", so der Physiker Dennis Gallagher vom Marshall Space Flight Center der Nasa, "weisen eine hohe Dispersion auf, sehr viel mehr als bei den tweeks. Wir nennen sie 'whistlers', weil sie wie langsam abklingende Töne klingen." Bei den Whistlers ist die Dispersion deswegen so hoch, weil sie große Strecken durch magnetisiertes Plasma reisen. Ihre Frequenz liegt meist im Bereich zwischen 1 und 9 kHz.

Gallagher hat einen niederfrequenten Radioempfänger bei der MSFC Atmospheric Research Facility in Huntsville online installiert, so dass jeder über Quicktime die Geräusche der Erde hören kann. Während der Nacht und vor allem der Dämmerung oder dem Tagesanbruch - in Huntsville natürlich - ist die Musik der Erde live am besten zu hören.

Gallagher hat dazu einen sogenannten INSPIRE-Empfänger (Interactive NASA Space Physics Ionosphere Radio Experiments) verwendet. Er wurde im Rahmen eines 1989 gestarteten Programms am Goddard Space Flight Center entwickelt. Hier können Schüler oder Studenten ihren eigenen Empfänger mit einem Baukasten bauen und an einem globalen Netzwerk von Beobachtungsstationen teilnehmen, zu dem mehr als 1500 Schulen gehören. Die Leiter von INSPIRE führen immer wieder groß angelegte Experimente durch. Beispielsweise wurden die Radiowellen während einer Sonnenfinsternis beobachtet. Ein Empfänger flog mit einem Wetterballon 1999 und 2000 auch bis in die Stratosphäre, um die von den Leoniden ausgehenden Emissionen zu beobachten, d.h. natürlich zu hören.