Konrad Zuse - War der Erfinder des Computers doch kein Musterschüler?

"Aufmerksamkeit: nur in Mathematik gut, sonst oft abgelenkt"

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Alle Jahre wieder! Kurz nach Weihnachten steht in Berlin eine neue Bescherung vor der Tür, nämlich die Vergabe der Halbjahreszeugnisse in den Schulen. Ein Grund zum Jubeln? Nicht unbedingt, wie viele Schüler schon ahnen, und deswegen soll hier, rein prophylaktisch, über die Schulnoten eines bekannten Wissenschaftlers berichtet werden. Damit leisten wir vielleicht einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Familienfrieden, da aufgeweckte Schüler ihren Eltern ein anderes Zeugnis unter der Nase halten können als das eigene.

Gemeint sind die Schulzeugnisse von keinem geringeren als Konrad Zuse (1910-95), der hierzulande als Vater des Computers anerkannt wird. Zuse wurde in Berlin geboren, kam später in Braunsberg (Schlesien) in die Schule und hat schließlich in Hoyerswerda, Sachsen, die Hochschulreife erworben. An der Freien Universität Berlin arbeiten wir seit 1998 am Konrad Zuse Internet-Archiv, in dem Zuses Patente und seine technischen Schriften in elektronischer Form gesammelt werden, um sie Forschern und interessierten Lesern zur Verfügung zu stellen. Aber auch andere Dokumente, wie eben Schulzeugnisse, sind bei diesem Projekt ans Tageslicht gekommen.

Ein "Einser-Schüler" war Zuse mit Sicherheit nicht, wie er selber in seinen Memoiren zugibt. Er hat "immer gerade so viel gearbeitet", dass er "nicht sitzenblieb". Und die Schulzeugnisse aus der Zeit sprechen eine deutliche Sprache. Sie berichten auch auf indirekte Weise über die Wirren des Krieges und die politischen Veränderungen in Deutschland.

Die ersten von Zuse vorhandenen Schulzeugnisse stammen von der Evangelischen Mädchenschule in Braunsberg. Das Wort "Mädchenschule" ist in den Zeugnissen durchgestrichen worden, was vermuten lässt, dass die Schule kurz zuvor für beide Geschlechter zugänglich gemacht wurde. Später, 1919, verwandelte sich das Gymnasium in Braunsberg auf Zuses Zeugnispapier vom "königlichen" in ein "staatliches" Gymnasium. In dem hier abgedruckten Zeugnis ist nur das Wort "königlich" durchgestrichen worden.

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Zuse war zum Zeitpunkt dieses Zeugnis 9 Jahre alt. "Sehr gut" bzw. "gut" hat Zuse nur in Betragen, Latein, und Naturwissenschaften erhalten. Aber in Religion, Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Schreiben und Handschrift hat er jeweils nur eine Vier bekommen (genügend) und in Singen, Turnen und Rechnen glatte Fünfer (mangelhaft). In einem anderen Zeugnis, hier nicht abgebildet, hat die Klassenleiterin, Frau Ludwig, in einer schriftlichen Anmerkung auch gleich verraten, wo das Problem lag: "Aufmerksamkeit: nur in Mathematik gut, sonst oft abgelenkt".

Zuse hat in seiner Autobiographie bestätigt, dass er ordentliches Pauken weder an der Schule noch an der Universität für erstrebenswürdig fand. An der Technischen Hochschule in Berlin hat er am Anfang des Studiums das Fach gleich dreimal gewechselt (von Maschinenbau zur Architektur und dann endlich zum Bauingenieur) und sich sogar einmal ein Jahr beurlauben lassen, um sein Glück als Reklamezeichner zu versuchen. Seine Eltern waren natürlich nicht gerade begeistert, aber er brauchte den Freiraum, um sich zu entfalten. Er ist immer ein Querdenker gewesen und wollte nie den bequemen, von allen benutzten Weg gehen, sondern eigene Pfade verfolgen.

Hier ähnelt Zuses Biographie dem Werdegang jenes illustren Physikers, der Albert Einstein hieß und der von jeher als Musterbeispiel des schlechten, später berühmt gewordenen Schülers hochgehalten wird. Wie viele Schülergenerationen haben sich nicht damit getröstet, dass "der Einstein es auch nicht besser wusste". Wie eine Internetseite eines Schülers stolz proklamiert: "Einstein had bad notes. Mine are worse".

Einstein hatte es nicht leicht: Er musste die Disziplin eines Müncheners Gymnasiums über sich ergehen lassen, und so entschied er sich mit 15 Jahren ohne Abitur zu seinen Eltern nach Mailand zu ziehen. Kurz danach versuchte er an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich aufgenommen zu werden, fiel aber durch die Aufnahmeprüfung glatt durch und musste noch zwei Jahre Schule in der Schweiz absolvieren. Einstein war aber eigentlich kein schlechter Schüler, sondern er ist sogar extrem begabt gewesen. Wenn ihn jedoch etwas nicht interessierte, hat er wie Zuse nur soviel gelernt, dass er nicht sitzenblieb. Einstein hat später nur mit Abscheu an sein altes Gymnasium gedacht : "Man habe die Freude, die heilige Neugier des Forschens erdrosselt; denn dies delikate Pflänzchen bedarf neben Anregung hauptsächlich der Freiheit. Es sei ein großer Irrtum zu glauben, dass Freude am Schauen und Suchen durch Zwang und Pflichtgefühl gefördert werden."

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Für Konrad Zuse lag die Neugier des Forschens in seinem Stabil Baukasten versteckt. "Durch Stabil zum Ingenieur" war das Motto von Walther Stabil, Hersteller des Konstruktionssystems für Kinder. Der Platz, den heute LEGO- und Fischer-Technik-Bausteine einnehmen, füllten damals die Stabil-Baukästen. Für Zuse war der Baukasten "mein ein und alles". Viele Stunden hat er mit der Konstruktion von immer aufwendigeren Projekten verbracht, für die er auch verschiedene Preise eingeheimst hat. Das zweite hier gezeigte Dokument ist ein Zeugnis eines dieser Preise. 1928 erhielt er eine Ehrenurkunde für die Einreichung eines "Kohlenverladekrans" beim Wettbewerb der Firma Stabil. Wer die Urkunde aufmerksam inspiziert, findet das Siegel der Firma, das ziemlich ähnlich zum Siegel der späteren DDR ist. Das ist ja aber wohl nur ein interessanter Zufall.

Nur zehn Jahre nach diesen ersten kindlichen Experimenten hat Konrad Zuse 1938 die erste programmierbare Rechenmaschine der Welt in Berlin zu Ende gebaut, die Rechenmaschine Z1. In nur zehn Jahren war der abgelenkte Schüler bis an die Grenze des Wissens über den Rechenmaschinenbau vorgestoßen und in eine ganz neue Welt eingetreten. Das Zeitalter des Computers war damit angebrochen.

Liebe Schüler: Die weitere Verwendung des abgebildeten Zeugnisses sei Euch erlaubt. Druckt es aus, klebt es an das eigene oder lasst es zufällig auf dem Küchentisch liegen. Damit hätte es schon große Dienste geleistet. Jedoch liegt die eigentliche Botschaft dieser Dokumente in der Feststellung, dass nur derjenige, der jenseits von Pauken und Schulpflichten einer großen Idee unermüdlich nachgeht, diese auch in Realität verwandeln kann. Wie einst die Schüler Albert Einstein und Konrad Zuse.

Prof. Dr. Raul Rojas ist geschäftsführender Vorstand des Instituts für Informatik an der FU Berlin