Klonen und die fragwürdige Ethik der Verbote

Zur bioethischen Kritik der Menschenwürde

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Die ethische Reflexion der Menschenwürde hat sich anlässlich der Perspektiven des so genannten therapeutischen Klonens zu einer erregten Angstdiskussion entwickelt. Offensichtlich "...wird also Fürchten selber zur ersten, präliminaren Pflicht einer Ethik geschichtlicher Verantwortung".1

Der Glaube herrscht vor, dass evolutionäre und humane Risiken neuer Technologien bereits durch Verbote und Beschwörungen beseitigt werden könnten. Chancen gibt es den Kritikern zufolge wenige, da die Ausblicke auf eine menschenwürdigere Zukunft mit fragwürdigen Leitmotiven verstellt werden. Huxleys "Brave New World" erscheint als Utopieparadigma am dunklen Horizont einer gentechnologisch rückhaltlos manipulierenden und manipulierten Menschheit oder es werden - insbesondere in der deutschen Diskussion - die schrecklichen Erfahrungen einer inhumanen Wissenschaft zurzeit des Nationalsozialismus als unzulängliche Diskursfolie technologischen Fortschritts eingesetzt.

Der Mensch als Produkt der Gentechnologie?

Exemplarisch ist etwa die jüngste Aussage der Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin, die im Klonen die Würde des Menschen verletzt sieht, weil der eben gerade kein Produkt, sondern Geschöpf, also unverwechselbares Individuum sei. Zudem würde Klonen den Menschen der technischen Verfügbarkeit preisgeben.

Technologische Eingriffe in den Körper haben mit einer - mehr oder minder unangefochtenen - bioinvasiven Medizin in immer nachhaltigerer Weise das Verständnis der "conditio humana" verändert. Unser neues Bild vom nachbesserungsbedürftigen Menschen hat sich auch bereits ohne Eingriffe in seine genetische Disposition von dessen Naturwüchsigkeit hin zu seiner Plastizität entwickelt. Wer sich für eine Brille, ein künstliches Hüftgelenk oder einen Herzschrittmacher, aber auch Schönheitschirurgie entscheidet, akzeptiert seinen Körper bereits nicht mehr in seiner von Gott oder seinen Eltern geschenkten Funktion und Erscheinung. Ohne permanente technische und medizinische Eingriffe in die fragile Körperverfassung würde der Mensch noch erheblich mehr Gebrechen erdulden müssen, als jeder ohnehin im Angesicht von nach wie vor unbesiegten Krankheiten statistisch zu erwarten hat.

Aber nicht nur eine Technologie der Krankheitsvermeidung und -bekämpfung, auch die Unzufriedenheit des Menschen mit der "funktionellen Armut" (Vilém Flusser) seines Organismus wird zum historischen Motor von Körperextensionen. Die mit neuen Technologien eingekehrten Dynamiken rufen den Wunsch wie die Notwendigkeit nach größeren Wahrnehmungs- und Handlungsräumen hervor, als sie der angestammte Körper des Mängelwesens "Mensch" gewährt. Körperfunktionen sind zwar auch durch Maschinen immer weiter aufgerüstet worden, ohne in seine Verfassung einzugreifen. Aber es fragt sich, ob der menschliche Körper selbst noch länger als Demarkationslinie einer avancierten Naturbeherrschung gelten kann.

Hans Jonas, dessen einflussreiche Ethik für die technologische Zivilisation die kritische Abwehr solcher Konzepte beherrscht, hat die "Hütung des Ebenbilds" zur humanen Chefsache erklärt. Die Integrität des Ebenbilds gilt ihm "als das Offensein für den immer ungeheuerlichen und zu Demut stimmenden Anspruch an seinen immer unzulänglichen Träger". Anders bestehe die Gefahr, dass das menschliche Erbe und dessen Erben in Zukunft degradiert würden.

Wer den Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes definiert, will seine Eigenschaften freilich so weit konservieren, wie es seine gottgegebene biologische Verfassung vorzuschreiben scheint. Das mag moralisch vertretbar sein - die Zeugen Jehovas tun es etwa mit weit reichenden Einschränkungen für das Wohlergehen ihrer Mitglieder -, aber das Unantastbarkeitspostulat stößt sich fortwährend an einem Naturbeherrschungswillen, der zumindest in seinen technologischen Möglichkeiten noch nicht an sein Ende gekommen ist.

Wer in dem Ebenbild des Menschen ein Bollwerk seiner immer währenden Seinsverfassung erkennt, gerät leicht in Gefahr, einer diskriminierenden Ethik zu folgen. Es ist eben diese Schräglage einer auf das Ebenbild des Menschen zurückgebundenen Ethik, die einerseits um die Menschenwürde von Zellklumpen vor der Nidation kämpft und andererseits aus ökonomischen Gründen Hunderttausende von Rindern tötet, ohne dem Programm der "Mitgeschöpflichkeit" ethisch effektive Imperative abgewinnen zu können.

Evolutionär spricht vieles dafür, den Menschen auch jenseits seiner Stammesgeschichte als eine Übergangsform ansehen zu müssen, aber es könnte ja sein, dass der autoevolutive "Reißbrettmensch" auf eine rechtlich bewehrte Bioethik stößt, die diese Zukunft verhindert. Aus der Ebenbildlichkeit des Menschen darf ein säkularer Staat indes keine gegenläufigen Kriterien festlegen, diesen Prozess im Verweis auf ein Menschenwürde christlich-humanistischer Lesart einzufrieren, wenn stärkere ethische Gründe fehlen.

Unverwechselbarkeit des Individuums

Ähnlich wie die Ministerin Däubler-Gmelin meint der Ethiker Hans-Peter Schreiber:

"Geklontes neues Leben ist damit praktisch die Xeroxkopie einer existierenden Person - eine eklatante Verletzung der Menschenwürde."

Auch die Unverwechselbarkeit des Individuums jenseits der christlichen Seelenlehre ist kein Argument eo ipso gegen die ethische Zulässigkeit des Klonens. Zunächst sind Menschen, ohne dass ihre Würde dadurch leiden würde, in ihren standardisierten gesellschaftlichen Rollen, bei unzähligen Lebensvollzügen und in den Verhaltenserwartungen anderer nicht nur verwechselbar, sondern Gesellschaften würden ihre relative Funktionalität verlieren, wenn sie eine rückhaltlose Individualisierung überhaupt zuließen. Das Individuelle ist in der Ironie nivellierender Massengesellschaften ein paradoxer Fetisch, weil er zur Standardproklamation von Gesellschaften wird, die ihre Funktion nicht zuletzt darauf gründen, Individuen auch als austauschbar zu behandeln.

Aber abgesehen von ihrer widersprüchlichen Hypostasierung wird die Individualität eines Menschen durch das Klonen ohnehin nicht aufgehoben. Auf Grund von hochkomplexen Umweltbedingungen, der Sozialisation des Menschen, seiner konkreten Lebenserfahrungen wäre selbst eine identische genetische Verfassung kein Hindernis für ein individuelles Leben. Anderenfalls müsste eineiigen Zwillingen, die natürlich generiert werden, auch die Individualität abgesprochen werden. Die Verfechter dieser Interpretation von Menschenwürde, die doch die Achtung vor dem Leben als zentrales Begründungselement reklamieren, schützen in letzter Konsequenz das wirklich zu lebende Leben vor sich selbst. Führt man den Gedanken des reproduktiven Klonens von Menschen ohne die Scheuklappen eines fehlinterpretierten Menschenwürdeprinzips weiter, dürfte sich eher die Frage stellen, ob eine solche Gentechnologie nicht ohnehin ein flüchtiges Kapitel gegenüber dem Zentralthema künstlichen "Menschendesigns" ist.

Humanbiologische Planwirtschaft

Kritiker der Gentechnologie perhorreszieren danach auch viel weiterreichend die Ausblicke auf eine totalitären Gesellschaft künstlicher Menschen, die mit vorprogrammierten Fähigkeiten ihr Lebensschicksal bestreiten müssen. Vor allem: Wer soll über die genetische Verteilung von Intelligenz, Ausdauer, Sensibilität zukünftiger Generationen entscheiden, wenn nicht mehr der Zufall regiert? Zwar sind längst sind nicht die technischen Voraussetzungen einer so weit reichenden Bestimmung menschlicher Eigenschaften geschaffen, aber selbst die konservativen Kritiker der Gentechnologie nehmen zur Kenntnis, dass die Ausblicke auf die Möglichkeiten des Klonens zuletzt das Ende einer gentechnologischen Zukunft sein könnten.

Robert Spaemann verweist in der Zeit auf die gescheiterten sozialistischen Planwirtschaften zu Gunsten des Markts, um im gleichen Atemzug eine humanbiologische Planwirtschaft zu verwerfen. Es ist bereits sonderbar, von den biotechnischen Visionen neuer Menschenentwürfe sogleich auf deren politische und soziale Konsequenzen zu extrapolieren. Gerade ein Ethiker, der gelernt hat, von der Machbarkeit nicht auf das Machen zu schließen, erklärt andererseits die Planwirtschaft als gesellschaftlichen Folgeautomatismus von Laborversuchen. Weder Staat, Unternehmen noch private Haushalte haben sich je auf die unsichtbare Lenkung eines gottähnlichen Steuermanns verlassen. Steuerungsprozesse sind eben nicht mit sozialistischer Planwirtschaft gleichzusetzen, sondern die einzige rationale, wenn auch zugleich fehleranfällige Form der Wirklichkeitsgestaltung.

Holzschnittartig lautet das voraufklärerische Argument Robert Spaemanns: Verlasst euch nicht auf Vernunft und irdische Weisheiten, sondern auf Gott, die divine Evolution und ihre Eingebungen, weil Irren menschlich ist. Gewiss: curiosity kills the cat. Aber der Irrtum Spaemanns liegt darin, nicht zu realisieren, dass Irren zwar menschlich ist, aber menschliche Fehlbarkeit zugleich die notwendige Voraussetzung rationalen Handelns ist, eben auch nicht zu irren. Die biologische Evolution, die seit Äonen mit Versuch und Irrtum spielte, hat es immer nur zu diesem Preis gegeben. Von dieser Bürde kann sich auch eine gentechnologische Evolution nicht frei machen.

Der Zufall als Menschenwürde

Ethik-Professor Hans-Peter Schreiber formuliert ein dem verwandtes Movens der Gentechnologiekritiker so:

"Die Ungeplantheit ist gewissermaßen zu einem Menschenrecht geworden. Eine Fortpflanzungstechnik, die dieses fundamentale Recht nicht gewährt, darf in einem demokratischen Rechtsstaat nicht akzeptiert werden."

Die Verteidigung des Zufalls, ob nun im ökonomischen oder humanbiologischen Bereich, ist als generalisiertes Argument der Ethik zunächst schon deshalb sonderbar, weil es hinter seinen eigenen moralischen Standard zurückfällt. Jede Ethik, die die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeiten erfüllt, will sich doch gerade nicht mit den bestehenden Zufällen einer defizitären Moral, mit den vorgefundenen Verletzungen der Menschenwürde und Verteilungsungerechtigkeiten abfinden. Die Achtung vor der Existenz des Zufalls hat zu oft die Leiden der Welt besiegelt. Gegenüber dem planlosen Umgang mit ihr, etwa bei der Verschwendung natürlicher Ressourcen, besteht eine Öko-Ethik gerade auf den Eingriff in den Zufall.

Aber auch in der Fokussierung auf die natürliche "Geworfenheit" des Menschen gerinnt der Zufall zu einer philosophisch und anthropologisch diffusen Kategorie. Der gen-ethische Zufall beruht auf der vordergründigen Differenzierung von Natürlichkeit und Künstlichkeit, die kurzerhand in das Menschenwürdeprinzip introjiziert wird. Warum sollten aber Eingriffe in die DNA-Struktur a priori weniger natürlich sein als die Natur des Zeugungsakts selbst?

Helmuth Plessner hat in seinen anthropologischen Grundgesetzen dem Menschen bescheinigt, von Natur aus, aus Gründen seiner Existenzform künstlich zu sein. Der Mensch als exzentrisches Wesen schaffe sich nur sein Gleichgewicht mit Hilfe der außernatürlichen Dinge. Will der Mensch die unerträgliche Exzentrizität seines Wesens fliehen, dann kann er das "nur mit Dingen erreichen, die schwer genug sind, um dem Gewicht seiner Existenz die Waage zu halten."

Offensichtlich ist die Welt - selbst in biblischer Lesart - keine in ihrer Natürlichkeit zu belassende Konstruktion, sondern ihre Bearbeitung, Beeinflussung, Weiterentwicklung durch menschliche Pläne und Handeln ist nicht weniger natürlich. Sollte die Welt eine Schöpfung sein, gilt es wohl selbst für die Apologeten des Mythos, das Geschenk Gottes auch auszupacken, mithin seine prometheischen Potenzen zu entfalten. Alles andere manifestiert eine unkreative und evolutionswissenschaftlich unhaltbare Nachgeschichte der schon zu ihrem relativen Ende gelangten Welt und ihrer Bewohner. Der Zufall der Menschwerdung ist ein biologisches Konstruktionsprinzip, das keine Sollensdimension besitzt.

Neue Sklavenhaltergesellschaften?

Robert Spaemann sieht in der Genmanipulation die Gefahr der systematischen Produktion von Sklaven, Untermenschen Menschen mit inferioren Eigenschaften für inferiore Tätigkeiten. Huxlexys "Epsilons", die kastenangehörigen subhumanen Arbeiter der schönen neuen Welt haben sich - ebenso wie der Übermensch - in einem technologischen Diskurs verirrt, der inzwischen von einer negativen Soziologie stratifizierter Gesellschaften überformt wird. Würde die bestehende Gesellschaft aus funktionalen Gründen noch Sklaven zur ihrer Selbstreproduktion benötigen, würde sie vermutlich wie frühere Gesellschaften zuletzt auf Gentechnologie angewiesen sein.

Gerade der von Kritikern wie Spaemann so hartnäckig verteidigte Zufall hat doch im menschenunwürdigen Zusammenwirken mit sozialen Auslesebedingungen die ausreichende Zahl von Menschen mit inferioren Eigenschaften ohnehin immer garantiert. Diese "natürlichen" Mechanismen eines mit dem genetischen Zufall verkoppelten Sozialdarwinismus haben die Ungleichheit im schlechten Sinne des Worts besiegelt und sind weiterhin zuständig für die inhumanen Unerträglichkeiten der Welt. Es ist analytisch unredlich, in einer monokausalen Linie Gentechnologie mit einem eindimensionalen Menschen- und Politikbegriff hochzurechnen, um die in dieser vorschnellen Gleichung entstehenden Gesellschaftsbilder mit Feuer und Schwert verwerfen zu können. Weder beinhaltet der Eingriff in die DNA ein individuell oder kollektiv garantiertes Glücksprogramm noch beschert er den Rückfallautomatismus in inhumanere Gesellschaften, als sie etwa Europa und Amerika gegenwärtig bieten.

Die relative gentechnologische Planbarkeit menschlicher Eigenschaften beinhaltet keine hinreichende Begründung für Utopien, welcher soziologischen Bauart auch immer sie folgen mögen. Insofern lassen sich daraus auch keine ethischen Erkenntnisse in dem philosophisch unfruchtbaren Konflikt zwischen dem Prinzip Hoffnung (Ernst Bloch) und dem Prinzip Verantwortung (Hans Jonas) ermitteln.

Wie viel Glück ist planbar?

Spaemann provoziert die Gentechnologie weiterhin mit der vordergründig unentscheidbaren Frage:

"Was ist ein wünschenswerter Mensch? Soll er intelligenter sein oder glücklicher? Oder warmherziger, kreativer, genügsamer, robuster, sensibler? Man muss die Frage nur stellen, um ihre Absurdität zu erkennen. Außerdem wäre es eine unerträgliche Hybris der jeweils lebenden Generation, die kommende so weit dominieren zu wollen, dass diese ihr Sosein den zufälligen Präferenzen ihrer Vorfahren verdankt."

Auch das Argument nicht planbaren Glücks fundiert in der Differenz von Naturwüchsigkeit und menschlicher Welterschließung. Zwar hatte Immanuel Kant, der für die Menschenwürdekonzeption des Grundgesetzes mit herangezogen werden darf, in seiner Anthropologie bereits gefordert, dass die "Menschengattung" selbst "Schöpferin ihres Glücks" sein soll und kann. Aber die Planung oder gar Gewährleistung des Glücks durch Technologie hat sich nie in dem Umfang erfüllt, den euphorische Techno-Visionäre mitunter am Horizont menschlichen Leidens sehen wollten und ihre Sozialutopien zu Recht in Verruf gebracht hat.

Zur Absurdität eines immerhin auch technologisch unterstützten Glücksverlangens kommt es freilich nur, wenn man die Fragestellung zu einer philosophischen Aporie verdreht und auf absoluter Gewissheit des Bildes künftiger Gesellschaften insistiert, die diese Welt eben nicht vorsieht. Dass letztlich diese Absurdität aber auf den Fragesteller zurückfällt, wird besonders deutlich, wenn Spaemann die zufälligen Präferenzen der Vorfahren bei der Planung von Nachkommen abwehrt und somit die zufälligen genetischen Dispositionen eben dieser Vorfahren für vorzugswürdig hält. Auch hier steckt nichts anderes als der halbverschwiegene Glaube an eine göttliche Ordnung, an einen vernünftigen Plan der Schöpfung, der sich schon dann einstellen wird, wenn sich menschliche Welterschließung zukünftiger Technologiepotenziale weitgehend begibt. Schon Sören Kierkegaard glaubte, dass alles Verderben zuletzt von den Naturwissenschaften kommen werde. Oder wie Thomas Love Peacock fatalistisch vermutete: "I almost think it is the ultimate destiny of science to exterminate the human race".

Menschen mit vielen Eigenschaften

Welche Eigenschaften sollten hergestellt werden, um die Glücksfähigkeit des Menschen und die Humanität seiner Lebensbedingungen zu verbessern? Als einfachstes Kriterium gentechnologischer Konzeptionen gilt, künftige Organismen weitestgehend von Krankheiten freizustellen. Darin läge in der Tat eine Determination der Nachfahren zur Gesundheit. Wenn wir doch angeblich diese Welt nur von unseren Nachfahren geliehen haben, wären wir dann nicht aus den Gründen ihrer Menschenwürde gerade verpflichtet, alle Anstrengungen zu wagen, ihre Seinsbedingungen etwa leidensärmer zu gestalten? Apologeten des Bestehenden sollten letztlich darauf antworten, was es in diesem Jammertal eigentlich zu verlieren gibt, wenn sie dabei von ihren eigenen privilegierten Lebensbedingungen abstrahieren.

Spaemann ist freilich zuzugeben, dass nicht der eine Typus des Übermenschen mit überragenden Fähigkeiten das Ziel genetischer Planungen sein kann:

"Eine Gesellschaft aus lauter Einsteins oder Boris Beckers kann genauso wenig existieren wie eine Gesellschaft, die, je nach Tradition oder Mode, überwiegend Nachkommen männlichen oder Nachkommen weiblichen Geschlechts produziert."

So wird befürchtet, dass die neue reproduktive Freiheit schnell in den Zwang zum qualitativ hochwertigen Designkind umschlagen könne. Aber ist dieser Wunsch - illegitim oder nicht - Ausdruck der Menschenwürde von Eltern, die eben ihren Kindern - auch jenseits der Gentechnologie - die besten Voraussetzungen für ihren Lebensweg schaffen möchten? Zudem ist die Argumentation auch antinomisch. Die Kritiker müssten sich hier entscheiden, ob sie nun Kastengesellschaften oder homogene Sozietäten von gleichwertigen Genies prognostizieren.

Das Schreckgebilde modischen Menschendesigns ist ohnehin eine Chimäre, auch wenn Probleme der Auswahl von Fähigkeiten entstehen, die gegenläufig sein mögen und, für sich betrachtet, ihren je eigenen Wert besitzen. Die genetische Qualität reduziert zuletzt die Pluralität unendlich vieler Seinsweisen, weil ein Schicksalsgen nicht gefunden werden dürfte. Nur grenzenlose Naivität kann glauben, dass allein ein Typus Mensch entstehen würde, wenn doch letztlich Eltern mit vielfältigen Präferenzen hier Entscheidungen treffen würden.

Wenn Pluralismus ein zentrales Moment einer demokratischen und liberalen Gesellschaft ist, wäre eher die Diversifikation von Menschen mit unterschiedlichen Eigenschaften zu erwarten als eine genetisch homogene Gesellschaft. Die Machbarkeit eines weiten Spektrums möglicher Menschen wird letztlich nicht im Genlabor entschieden, sondern in gesellschaftlichen Prozessen, die zumindest nicht weniger komplex wären als die zufällige Begegnung zweier Menschen im gesellschaftlichen Raum. In diesen "naturwüchsigen" Begegnungen wird ohnehin nicht so viel Verantwortung für die Nachfahren übernommen, wie es ein reaktives Menschenwürdeprinzip insinuiert.

Wer übernimmt denn die Verantwortung für die Menschenwürde der wachsenden Zahl von Scheidungswaisen, der Straßenkinder, die wie Hunde leben, oder gar der bereits bei der Zeugung dem Hungertod geweihten Kinder? Es gibt so viele Arten, glücklich wie unglücklich zu werden, dass hier weniger die Gentechnologie als Politik, Soziologie oder Recht zu befragen wären. Niemand behauptet, dass die Gentechnologie der Garant glücksversicherter Gesellschaften ist, aber da eine Lebensversicherung für die Erträglichkeit des Seins ohnehin nicht besteht, gibt es wenig gute Gründe, sich auf das Vorgefundene zu beschränken.

Menschenwürde als historisches Lehrkapitel

Bundespräsident Rau hat in seiner Rede bei der Sondersitzung des Deutschen Bundestages aus Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 26. Januar 2001 gemahnt:

"Es waren Ärzte, die Behinderte klassifiziert, an Zwillingen experimentiert und Kranke und Alte getötet haben. Ärzte und Wissenschaftler waren es auch, die Menschenexperimente in Konzentrationslagern durchgeführt haben, um der eigenen Karriere willen... Sie waren Wissenschaftler ohne jede Selbstbeschränkung. Für sie war der Zivilisationsbruch das Tor zu neuen Möglichkeiten."

Der Bundespräsident sieht die Gefahr, den Respekt vor dem Leben, vor der Würde eines jeden Menschen, so wie er ist, zu verlieren. Die Erinnerung an unsere Geschichte helfe uns, zu begreifen, was geschieht, wenn Maßstäbe verrückt werden; wenn der Respekt vor der Würde jedes Einzelnen verloren ginge; wenn Menschen vom Subjekt zum Objekt gemacht würden.

Wenn der Rückblick auf eine in Schuld verstrickte Wissenschaft die Geschichte zur Lehranstalt künftiger Konzeptionen macht, wird die Gefahr begründet, politisch und sozial völlig andere Rahmenbedingungen gegenwärtiger Gesellschaften auszublenden, um die Verführbarkeit und Willfährigkeit des homo faber zu demonstrieren.

Appelle ersetzen keine Kriterien, sind aber als Angstmacher gerade geeignet, den gesellschaftlichen Diskurs zu Gunsten von unbeobachteter Forschung und Wissenschaft sowie deren kommerzieller Ausbeutung zu verdrängen. Die Menschenwürde ist zwar ein historisches Produkt und aufgeladen mit geschichtlichen Erfahrungen im Umgang mit dem Ungeheuerlichen. Aber sie kann nur dann als ethisches Fundamentalprinzip wissenschaftliche Entwicklungen effizient bestimmen, wenn das "humanum" selbst als plastischer Gegenstand in seiner unabsehbaren Vielfalt diskursiv überhaupt zugelassen wird.

Weigert sich die Ethik, die explosiven Potenzen eines nicht geschichtlich arretierten Menschenbildes zu reflektieren, mag sie als Selbstbestätigungsdiskurs relative Erfolge haben, Risikotechnologien im vorgeblichen "Menschenpark" abzuwehren. Aber die Evolution hat sich seit je viel Zeit genommen - und warum sollte anderes für ihre biotechnologische Fortführung gelten?

Rerum novus nascitur ordo. ("Es entsteht immer wieder eine neue Ordnung der Dinge", Vergil, Bucolia, IV, 5)