Greenpeace contra Markenrecht

Oil-of-elf.de: Greenpeace-Website per einstweiliger Verfügung verboten

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Mit dem Universalhammer Markenrecht und dem Schnellgericht "einstweilige Verfügung" wurden schon etliche sehr fragwürdige Entscheidungen im Internet durchgesetzt. Neuester Höhepunkt: ELF bekommt gegen Greenpeace Recht.

Mittlerweile gibt es genügend Absurditäten im Namen des Markenrechts. Von meinem eigenen Fall, in dem eine einstweilige Verfügung gegen die frühere Website im ungünstigen Moment teure Folgen hatte, bis zur Entscheidung gegen den Inhaber der Adresse fokus.de, diese an das Nachrichtenmagazin Focus abgeben zu müssen, weil beide gesprochen gleich klingen. Dass Zeitschriften ebenso wie Webseiten eher gelesen als gehört werden, hat sich bis zum Münchner Landgericht wohl noch nicht herumgesprochen - oder geht man davon aus, dass die Focus-Käufer sowieso nicht lesen können und nur die bunten Bildchen anschauen?

Das Verfahren der einstweiligen Verfügung ist eigentlich nur für "brandeilige" Fälle bestimmt, in denen großer Schaden entstünde, wenn nicht sofort eine Entscheidung getroffen wird. Beispielsweise wenn in einer in Kürze erscheinenden Zeitschrift ein ehrabschneidender Artikel über die eigene Person steht oder wenn ein Kraftwerk wieder in Betrieb genommen werden soll, das nicht sicher ist. Daher wird im Zweifel für den Antragsteller und zwangsweise mit geringerer Sorgfalt geurteilt. Ein "richtiges Urteil" kommt dann gegebenenfalls später im Hauptverfahren.

Bei einer Webadresse, die keinen direkten Schaden anrichtet und auch niemand eine gewünschte Adresse blockiert, ist eine einstweilige Verfügung daher eigentlich Unsinn und im Fall, dass die beanstandete Adresse schon längere Zeit existiert, auch nicht mehr zulässig. Nur innerhalb vier Wochen ist die einstweilige Verfügung zulässig. Umgangen wird dies regelmäßig mit dem juristischen Klimmzug, zu behaupten, dass die speziell für Markenrechtsverletzungen zuständige Person leider leider gerade erst jetzt von der Sache erfahren habe - auch wenn es die anderen 2999 Mitarbeiter bereits seit Jahren wissen.

Nun bringt die einstweilige Verfügung ja - wie ihr Name schon sagt - keine endgültige Entscheidung. Doch kann auch so der Schaden bereits erheblich sein. Man stelle sich vor, Amazon.com oder Heise.de wäre auf diese Weise erst mal wochenlang gesperrt, bis ein Hauptverfahren eingeleitet und ein Urteil gesprochen ist.

Ein weiteres Problem sind die Kosten: Die werden im Markenrecht stets in astronomische Höhen geschraubt - so sah der westdeutsche Rundfunk im Fall meiner Initialen eine Summe von bis zu einer halben Million pro Fall der Zuwiderhandlung als gerechtfertigt an. Die wäre dann also bei jedem Mal fällig geworden, wenn ich eine Visitenkarte mit der verbotenen Internetadresse ausgegeben hätte. So wird sichergestellt, dass sich nur Großkonzerne oder sehr finanzstarke Personen eine Zuwiderhandlung gegen eine einstweilige Verfügung leisten können. Auch der Streitwert selbst lautet typischerweise auf eine halbe Million. Damit verdienen sich Gerichte und Anwälte staatlich sanktioniert eine goldene Nase am Markenrecht, denn deren Kosten sind direkt vom Streitwert bestimmt und in wenigen Minuten sind vor Gericht 10.000 Mark und mehr verdient. Im Normalfall ist daher gar kein "richtiges" Gerichtsverfahren mehr finanzierbar, weil schon der Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung das Vermögen kleinerer Firmen und Privatleute auffrisst - wer das Geld hat, schafft an.

Das in Kombination mit dem "im Zweifel für den Antragssteller". hat sich mittlerweile als effizientes Zensurverfahren herausgestellt: Mit Reverse Domain Hijacking, der feindlichen Übernahme einer bereits eingeführten und benutzten Internetadresse kann man eingebildeten oder echten Konkurrenten den Webauftritt und den Email-Verkehr klauen. Oder unliebsame Themen kurzfristig aus dem Netz schaffen. Wie im neuesten Fall:

In Sibirien versickern bei der Ölförderung aus undichten Pipelines Unmengen an Öl im Tundraboden - pro Tag soviel, wie beim Tankerunfall der Exxon-Valdez vor Alaska insgesamt auslief. Dagegen startete Greenpeace im April 2000 eine Kampagne, denn die Öllecks verursachen nicht nur große finanzielle Verluste, sondern vor allem immense Umweltschäden. Greenpeace Deutschland kontaktierte deshalb alle deutschen Ölmultis, die russisches Öl beziehen, und fragte nach deren Plänen, dieses Desaster zu stoppen. Der französische Ölkonzern Elf, auch durch die Leuna-Affäre unrühmlich bekannt, mauerte und war nur zu einem Vier-Augen-Gespräch bereit. Greenpeace will aber, dass die Ölkonzerne auch die Verantwortung für die Herkunft ihres Rohstoffes übernehmen und dokumentierte deshalb die Situation auf einer extra dafür eingerichteten Internetadresse Oil-of-Elf.de, die jetzt offline ist.

An den von Greenpeace auf der Website dokumentierten Fakten gibt es nichts auszusetzen, sonst hätte Elf längst eine Gegendarstellung verlangt können. Elf sagt lediglich, aus dem betreffenden sibirischen Ölfördergebiet in den ostdeutschen Raffinerien kein Öl zu verarbeiten und außerdem Russland keine Vorgaben machen zu können. Damit war das Thema erledigt, und wie das Öl in Sibirien versickerte nun auch die Greenpeace-Aktion langsam im Bodensatz ...

Bis zum 16. Januar diesen Jahres. Da sind die Elf-Anwälte nämlich auf eine besonders kreative Idee gekommen: Wenn man den Text von Greenpeace nicht verbieten kann, dann verbietet man halt gleich die ganze Site. Schließlich hat sie ja "Elf" im Namen, und das reicht nach bewährtem Schema vor Gericht: Verwechslungsgefahr drohe. Sollte wirklich jemand glauben, die Bilder der ölverseuchten Tundra mit dem Greenpeace-Logo drauf seien ein offizielles Elf-Werbeplakat?

Die gesetzte Frist ist bisheriger Negativrekord: Nur 24 Stunden bekommt Greenpeace Zeit, die Unterlassungserklärung zu unterzeichnen und die Domain abzuschalten. Elf habe schließlich gerade erst jetzt die seit über einem halben Jahr existierende Website entdeckt und dabei ebenso erst jetzt festgestellt, dass diese von Greenpeace betrieben werde. Schwupps, schon ist die Vier-Wochen-Frist für die einstweilige Verfügung ausgehebelt.

Die Greenpeace-Aktivisten wussten zunächst gar nicht, wie ihnen geschieht und wieso Elf plötzlich auf den Domainnamen losgeht statt auf den Inhalt der Website. Ein Telefonat schaffte Aufklärung. Am 26.1. war die einstweilige Verfügung vom Landgericht Berlin schließlich zugestellt und Greenpeace musste die Domain abschalten - eine halbe Million einfach so zum Fenster rauswerfen wäre ja grober Unfug. Die Unterlassungserklärung hat man aber nicht unterzeichnet und die "Oil-of-Elf"-Site selbst existiert weiterhin auf der Greenpeace-Hauptdomain oder unter www.greenpeace.de/oil-of-elf, von wo aus man zu einer anderen URL umgeleitet wird.

Greenpeace wird den Fall damit aber nicht auf sich beruhen lassen. "Es darf nicht sein, dass TotalFinaElf über den Umweg des Markenrechts versucht, Informationen über ihre Geschäftsbeziehungen und deren Auswirkungen auf Natur und Menschen zu unterbinden", so Greenpeace. Man wird den teuren Weg durch die Instanzen gehen - Anwalts- und Gerichtsgebühren können hierbei fast den Streitwert erreichen, ein Risiko, das Privatpersonen nicht eingehen können.

Auf diese Chance, dem Markenrechts-Hammer endlich ein Ende zu setzen, haben nicht nur alle abmahngefährdeten Websitebetreiber gewartet, sondern auch das Deutsche Patent- und Markenamt. Dem ist nämlich der gegenwärtige Missbrauch des Markenrechts ebenfalls ein Dorn im Auge. Ausgelöst wurde er mit einer Verschärfung des deutschen Markenrechts durch die frühere Kohl-Regierung 1995. Zuvor waren nur komplette Markenzeichen, also Firmenlogos eintragsfähig. Heute kann alles geschützt werden: Farben (Beispiel: "Atomstrom ist gelb"), Klänge (Beispiel: der Pentium-Jingle von Intel), Buchstabenfolgen (Beispiel: "wdr"), Ziffernfolgen (Beispiel: die Münchner Vorwahl "089"). Wer diese Buchstaben- oder Zahlenfolgen dann irgendwo verwendet, wo es dem Markeninhaber nicht passt, bekommt Ärger. Geschützt vor der Markenkeule ist man lediglich beim Ursprung des Begriffs: So kann man "Apfel" nur für Computer eintragen, aber nicht für Obst und "089" nicht für Telefonnummern. Aber eben "11", pardon, "Elf", für Öl und Benzin.

Erstaunen löst dabei aus, dass die gegenwärtige Bundesregierung nun nichts gegen das Ausufern einer solchen Entscheidung aus der Kohl-Ära tut. Der Grund ist trivial: sie steht selbst auf der anderen Seite und würde gerne eine Webadresse einkassieren: d21.de. Das ist nämlich nicht etwa die Internet-Initiative von Bundeskanzler Schröder, sondern eine deutlich ältere Idee des Studenten Shahram Parvin. Nachdem dieser seine Geschäftsidee 1997 entwickelt und mit ihr 1998 am "start up" - Existenzgründungswettbewerb der Sparkassen teilgenommen hatte, bekam er in 1999 statt des erhofften Ruhmes die Anwälte der Schröder- und IBM-Initiative D21 an den Hals. Vom Startup-Kapital ist daher nichts mehr geblieben.

Die kuriose Folge: Im Sommer 2000 reichte die CDU/CSU eine Petition ein, mit der sie einen besseren Schutz von Privatleuten und Kleinunternehmen gegen die durch die Markenrechtsübergriffe erzeugte Rechtsunsicherheit im Internet erreichen wollte. Doch die regierenden SPD/Grünen lehnten zugunsten der Großkonzerne ab: "Kein Handlungsbedarf".

Einzelne Bundestagsabgeordnete der Grünen sind zwar durchaus im Netz aktiv (Wahrung der Anonymität im Internet), ebenso wie der SPD-Vorzeige-Internettler Jörg Tauss, doch die meisten halten sich heraus und Schröder spricht zwar von "neuen Arbeitsplätzen durch das Internet", vergisst aber dazuzusagen, dass hiermit wohl eher Arbeitsplätze für Juristen gemeint sind als solche für Webdesigner, Programmierer und Journalisten.

Es scheint also so, dass Greenpeace den Markenrechtskrieg ohne Hilfe aus der Politik durchstehen muss und dabei nun unerwartet selbst die Rolle einnimmt, in der sich Freedom for Links sieht, nämlich zum "Greenpeace des Internets" zu werden. Vielleicht ein guter Anlass auch für Computer- und Internetfans, die bisher mit den Öko-Kriegern nichts anfangen konnten, förderndes Mitglied zu werden oder online zu spenden? Lieber heute 100 Mark an Greenpeace und damit Rechtssicherheit, als morgen Zehntausende an einen Großkonzern für eine Abmahnung.