Gutes Genom und böser Klon

Warum sich die Genom-Entschlüsselungssmeldungen und die Besorgnis über Klone so gut verstehen

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Als die erste Arbeitsversion einer Karte des menschlichen Genoms im Juni letzten Jahres veröffentlicht wurde, meinte ein bei der Pressekonferenz anwesender Journalist: "Ich bin verwirrt. Sie haben 97 Prozent des Genoms kartiert, erst 85 Prozent entziffert, und nur 24 Prozent sind lesefertig. Warum veranstalten Sie eine Pressekonferenz?"

Man hatte damals nach zehn Jahren Arbeit einfach beschlossen, einen günstigen Augenblick zum Feiern gefunden zu haben (Wissenschaft als Medienereignis: Arbeitsversion des menschlichen Genoms veröffentlicht). Acht Monate später ist es wieder soweit. Francis Collins vom öffentlichen Human Genome Project und Craig Venter, mit seiner privatwirtschaftlicher Konkurrenz Celera, präsentierten diese Woche erneut genetische Daten. The same procedure as last year? The same procedure as every year, denn auch jetzt hat Francis Collins angekündigt, dass es noch zwei weitere Jahre dauern wird, bevor wirklich alle Daten unter Dach und Fach seien.

Nichts Neues sollte man meinen, denn diese gestaffelte Veröffentlichungspolitik zielt natürlich darauf ab, der Verfallszeit von Nachrichten im öffentlichen Bewusstsein entgegen zu wirken. Interessanter wird es jedoch, wenn wir uns das Wechselspiel mit einer anderen, schon beinahe wieder vergessenen und davon bisher fein säuberlich getrennten biomedizinische Debatte anschauen.

Keine drei Wochen ist es her, da machte die Nachricht von Klonierungsversuchen in den USA die Runde. Panos Zavos, Professor für Reproduktionsphysiologie an der Universität von Kentucky, und der italienische Fortpflanzungsmediziner Severino Antinori hatten verlautbart, innerhalb von 1 bis 2 Jahren das erste geklonte menschliche Baby zur Welt zu bringen (Ein italienischer Wissenschaftler will Menschen klonen). Neben Zavos und Antinori sind in den USA auch die Raëlians - eine UFO-gläubige Sekte um einen gebürtigen Franzosen und ehemaligen Rennfahrer namens Raël - mit der Ankündigung von geklonten Menschen nach vorne geprescht. Ein Forscherteam der Raëlians soll im Auftrag von Eltern, denen ihr 10-monatiges Baby verstarb, einen Ersatz klonen (Erstes Klonkind?).

Die Besorgnis über die Ankunft des ersten menschlichen Klons entfachte hierzulande - auch dies nicht zum ersten Mal - eine besorgte Diskussion um die ethische Zulässigkeit eines solchen Unterfangens. Der Stellenwert der Klon-Debatten bemisst sich jedoch weder an den Elvis-Imitatoren, die sich eine Kopie ihres Idols wünschen, noch an technologieverliebten Science Fiction-Sonderlingen wie den Raëlians. Schließlich fällt es leicht, sich verstandesgeleitet von solchen Wirrköpfen abzusetzen.

Stattdessen liegt der Wert der Klon-Debatte gerade im kunstvollen Gegensatz: Mit der Ablehnung der Klone kann sich das verantwortungsvolle Einsetzen der genetischen Erkenntnis profilieren. Das gesunde Volksempfinden ist gegen Klone und für das Human Genome Project. Das Brisante an dieser Aufgabenteilung ist, dass sie in letzter Konsequenz ein eugenisches Programm von Unten konsensmäßig absichert.

Im Grunde ist der Klon nur die konsequenteste Ausführung der genomischen Weltanschauung. Die Idee des Klons beruht auf der bloßen Vollstreckung eines genetischen Programms, dessen Allmacht mit jeder weiteren Entdeckung um die Sequenz der menschlichen DNA in Ruhmeslicht getaucht wird.

Eltern, die ein Kind verlieren, durchleiden eine Tragödie. Wenn sie ihr Kind durch Klonen wiedergewinnen wollen, läuft diese Wiederholung auf eine Farce hinaus. Denn weder haben jemals eineiige Zwillinge dasselbe Leben geführt, noch wären Klone davor gefeit, dass ihnen 'das Leben' ganz unterschiedlich mitspielen kann. Kann man es den trauernden Eltern übel nehmen, dass sie auf die Allmachtsphantasie des genetischen Dogmas hereingefallen sind? Wenn uns im regelmäßigen Abstand erklärt wird, mit der DNA sei der Schlüssel zu unserem Leben gefunden, dann bleibt natürlich nicht aus, dass wir daran irgendwann zu glauben beginnen. Daran ändern die jüngsten Verlautbarungen der Genentschlüssler nichts Wesentliches, wiewohl auch sie sich genötigt sehen, vor einem all zu simplen genetischen Determinismus zu warnen.

Warum ist das Genom gut und der Klon böse? Dass das genetische Dogma nicht einhalten kann, was es verspricht, macht die strategische Bedeutung des Klons aus. Er hat etwas vom Mythos und der Rüpelhaftigkeit eines Popstars. Auf ihn projizieren sich Erwartungen wie die von der Auferstehung oder gar dem ewigen Leben. Ansonsten halten seine Skandälchen den Medienrummel am Laufen und sorgen somit zur Begleitmusik, mit welcher der sorgsame biowissenschaftliche Fortschritt sich öffentlichkeitswirksam orchestriert.

In wie weit die Würde des Homo sapiens tatsächlich mehr durch genetisch identische Ebenbilder angetastet wird als durch die Tatsache, dass eine nicht unwesentliche Anzahl derselben Species einfach und wissentlich dem Hungertod ausgesetzt werden, wurde an dieser Stelle bereits ausgiebig beleuchtet (Klonen und die fragwürdige Ethik der Verbote von Goedart Palm). Offen bleibt auch, ob der erste Klon Grenzen überschreitet, die nicht schon vorher mehr als einmal überquert wurden. Es würde jedoch zu weit führen, aus diesen Einwänden ein notsächliches Gebot für Klone abzuleiten.

Wichtiger im Zusammenhang mit der Genomforschung ist ein anderer Kritikpunkt am Klon. Was dem Klon bisher übelgenommen wird, ist seine Unzuverlässigkeit, denn er neigt zu Missbildungen (Gesundheitsschäden bei geklonten Tieren). Wenn jetzt unter Berufung auf mögliche Behinderungen die Menschenunwürdigkeit des Klonens angeprangert wird, so trägt dieses Argument einmal mehr dazu bei, Behinderung und Menschen, denen dieses Merkmal zugeordnet wird, zu diskreditieren. Hier findet sich die Klonkritik einträchtig an der Seite des Genomforschungs-Fortschritts, dem es doch gerade darum geht, mittels genetischer Diagnosen und Selektion dem 'angeborenen Leid' ein für allemal den Garaus zu machen.

Eine weitere Besorgnis ist, dass mit dem Klon der normierte Mensch vervielfältigt würde, möglichst noch von einem diktatorischen Regime. Übersehen wird dabei, dass es dazu weder neuer Technologien noch Diktaturen bedarf. Denn Normierung vollzieht sich schon längst viel subtiler. Als funktionierende Bürger haben wir die Kontrollinstanzen unseres Schicksals mehr oder weniger unbewusst zu unseren eigenen gemacht. Der Bauplan für die kapitalistische Individualkatastrophe trägt unseren eigenen Namen. Michel Foucault sprach hier von Biomacht, und so ist die zeitgemäße Variante von äußerem Zwang die freiwillig in Anspruch genommene Dienstleistung. Anstelle der obrigkeitsstaatlich verordneten Klonierung oder Aufbesserung des Menschenparks werden wir uns also mehr oder weniger ungezwungen - und für unser eigenes Gefühl selbstbestimmt - einer genetischen Beratung unterziehen. Behinderung, und der Umgang mit Behinderung, wird hierdurch seiner sozialen Komponente entledigt und zu einer medizinisch abwendbaren Panne. So gewinnt die neue Eugenik von unten Kontur.

Auch in Zukunft werden sich die genetischen Erfolgsmeldungen mit zur Besonnenheit aufrufenden Warnungen über missbräuchliche Klone abwechseln. Wo Letztere sich in verkürzter Sichtweise auf eugenische Argumente verlassen, werden sie den reibungslosen Fortgangs der neuen Biotechnologien eher befördern als behindern. Dies ist die Dialektik der Aufklärung des Humangenoms.