Porträt des Künstlers als bitterarmer Mann

Der Londoner Künstler Michael Landy zerstört in der Kunstaktion "Break Down" sein gesamtes Hab und Gut

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Folgt man der Urknalltheorie, beginnt die Welt mit einer unerklärlichen Zerstörung, um hierin die Geschichte, den Menschen und vielleicht auch die Aliens zu gebären. Prosaischer gesprochen gehen Zerstörung und Aufbau - wider den naiven Glauben der Gutmenschen - Hand in Hand. Und wo wäre etwa das deutsche Wirtschaftswunder geblieben, ohne die Tabula rasa eines verlorenen Kriegs, auf der man die bundesrepublikanische Konsumkultur mit ihren sirenischen Verlockungen und übel riechenden Abfallhalden errichtete.

Der Künstler bei der Arbeit

In seiner Aktion "Break Down" will der britische Künstler Michael Landy in einem passend dazu ausgesuchten, ehemaligem C&A Palast in der Londoner Oxford Street nun den Fabrikationsprozess umkehren, der für die Warenparadiese der überquellenden Dingwelt verantwortlich ist. Landys Installation präsentiert ein System aus Förderbändern, auf dem seine gesammelten Habseligkeiten von zehn Vernichtungsassistenten begleitet in den allmächtigen Schredder wandern. Landys Hab und Gut wird dort bis zum kommenden Samstag pulverisiert: Asche zu Asche, Staub zu Staub. Kein Platz für Albert Speers "Theorie vom Ruinenwert", die nicht nur das Schicksal der Nazi-Monumentalbauten bestimmen sollte, sondern vielleicht auch die künstlerischen Spurensucher der 70er-Jahre inspirierte, die noch jeden Abfall für Kunst nahmen, um das museale Gedächtnis für die Ewigkeit aufzurüsten. Für Landys alte Socken, David Bowie Singles bis zum Saab 900 und - als augenfälligsten Beweis seiner Identität - seinen Pass gilt dagegen mephistophelisch: "Denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zu Grunde geht".

Recht so, wie anders soll Künstler in den Olymp aufsteigen, wenn er sich nicht von seiner Erdenschwere trennt. Allerdings lässt Landys Demontage seines Konsumegos nicht ganz vom Fetischismus ab, den man Künstlern nachsagt. So wandert zwar der gesamte Hausunrat in die Abfalltonne, aber Landy hat sein der Zerstäubung gewidmetes Eigentum - 7.006 Objekte - zuvor fein säuberlich digital inventarisiert. Schließlich soll die Nachwelt doch nicht ganz leer ausgehen.

Neben dem überquellenden Sperrmüll, dem Strandgut des Alltags, den Havarien des Gewöhnlichen in unseren Regalen, die wir stolz bis apathisch als unser Eigentum bezeichnen, kommt es bei Landys Abbruchsaktion auch zum Vandalismus der besonderen Art. Art of destruction heißt insoweit, dass Landy auch seine wertvolle Kunstsammlung - darunter Arbeiten von Tracey Emin und Damien Hirst - einäschert. Freilich hat das viele kunstgeschichtliche Vorläufer - ungezählte namenlose Kunstvandalen, "Jokondoklasmus", Marcel Duchamp, der einen Rembrandt aufs Bügelbrett spannen wollte bis hin zu Robert Rauschenberg, der 1953 einen "de Kooning" ausradierte.

Die Tradition der Kunst der Zerstörung

Am Anfang und Ende großer Kunst stand oft die Zerstörung. Michelangelo schlug wütend auf die des Meisters Anspruch auf Perfektion nicht genügenden Skulpturen ein, Goethe verbrannte seine Jugendlyrik, während Kafkas Anflug von Werkekel von Max Brod zur Freude aller Germanisten ausgetrickst wurde. Picasso brachte es auf den destruktiven Endpunkt der Kunst: Ein Bild sei die Summe seiner Zerstörungen. Und wer Picassos wildwütende Gesten auf der Leinwand verfolgte, seine Übermalungen, Terpentinabwaschungen, wird kaum angeben können, was wichtiger wäre in der künstlerischen Kreativität: Konstruieren oder Destruieren.

Aber die Kunst der Zerstörung wurde noch erheblich weiter getrieben, als es sich Picasso auf seinen revolutionären Keilrahmen erlaubte. Gordon Matta-Clark zersägte gleich ganze Häuser in zwei Hälften und Frank Gehry fand in diesen Gewaltakten angeblich die Anregung für seine Architektur. Mit der vermeintlichen Postmoderne empfahl sich die Dekonstruktion, die Destruktion und Konstruktion in einem Begriff zur Methode und Mode der Philosophen wie Künstler erhob.

"I see this as the ultimate consumer choice", meint Landy, der seit Jahren den im Westen zur zweiten Natur gewordenen bewusstseinstötenden Konsumismus attackiert. Künstlerische Konsumkritik ist ein geläufiger Topos der nicht mehr ganz frischen Avantgarde von Vostells Decollagen bis hin zu den Mülllandschaften von HA Schult, der seinerzeit lange vor Landy den Skandal produzierte, in einem Warenhaus ein komplettes Wohnzimmer zu zerhacken.

Während ein Teil der Pop-Art, allen voran Andy Warhol, den Konsum selbst zur Religion erhob, ist die große Verweigerung der Schlüssel zu Landys Demontagekunst. 1994 wurde eine Tonne künstlerischens Abfalls in der Karsten Chubert Gallery in London von einer Reinigungskraft weggeworfen, ähnlich wie es Joseph Beuys mit seiner durch Museumsputzkräfte "gesäuberten" Kinderbadewanne erging. 1997 kam Michael Landy erneut in die Schlagzeilen mit einer Weihnachtsfeierinstallation in der Tate Gallery, die leere Flaschen, altes Geschenkpapier und nichtmehrgrüne Weihnachtsbäume präsentierte. Sic transit gloria mundi.

Zerstören verjüngt

Mitunter regnet es also von Künstlers Ungnaden Müll, Ton, Steine und Scherben, aber diese Gewalt gegen Dinge sucht oft nur den locus minoris resistentiae, weil die gesellschaftskritische Potenz der Kunst zumeist vage blieb. Freud erkannte im Destruktionstrieb den Widerstand der menschlichen Natur gegen die Gewalt der Kultur. Letztlich lautet zwar auch die Parole Landys: "Macht kaputt, was euch kaputt macht", aber das heißt in der Dialektik der Herrschaft von Dingen über Menschen nicht viel mehr, als sich von den Funktionsanmutungen und Memorabilien seines Hausstands zu befreien.

In der Vernichtung der Dingwelt brechen indes auch die Schutzwälle weg, die uns vom Leben so gut trennen wie verbinden. Landy weiß, dass nach "Break Down" der persönliche Break Down erst beginnen mag - Leben ohne die Güter, die das Selbst definieren, ohne die Statussymbole, die aus einem Menschen erst ein veritables Mitglied der Gesellschaft machen. "Freedom's just another word for nothing left to lose" wie Janis Joplin glaubte, hat keine Freiheitsfanatiker dieser couleur auf den Plan gerufen.

Was will Landy also? "Mein Ziel ist die Neudefinition meiner Persönlichkeit nach der Zerstörung alles Materiellen." Definierbar ist nur das, was keine Geschichte hat, entschied Nietzsche, und solange Landy nicht seine Biofestplatte von ihrem Bewusstseinsplunder und ranzig gewordenen Ideen befreit, wird die Neudefinition nicht allzu dramatisch sein. Immerhin bescheinigte Walter Benjamin dem "destruktiven Charakter": "Zerstören verjüngt."

Auch Landy hegt derlei dialektische Selbstfindungshoffnungen: "Ich versuche, mich von mir selbst zu befreien, ohne mich dabei selbst auszulöschen". Schredder statt Selbstverbrennung - anders als etwa jener entflammte Falun-Gong-Jünger, der vor einigen Wochen in China gegen die Verfolgung der Sekte in existenzieller Weise protestierte, anders auch als der seinen Körper malträtierende Wolfgang Flatz.

Der auf sein nacktes Selbst oder gar das Nichts zurückgeworfene Mensch hat in der Kunst eine lange Tradition: Vanitas Vanitatum war nicht der letzte Anlass, die blühenden Körper und schönen Menschen zu malen, die alle vergänglich sind, dem Tode geweiht, so reichhaltig auch die Grabbeilagen sein mögen. Landy wird nach seiner Selbstberaubung allerdings erkennen, dass der Mensch auch das ist, was er besitzt. Die widerspenstigen Dinge kehren zurück, wuchern wieder über uns zu, herrschen wie Hegels "Herr und Knecht" - so perfekt wir auch das duale System unserer Selbstentsorgung beherrschen mögen. Dann folgt also Break Down II bis hin vielleicht zum "19th nervous Break Down", den die Rolling Stones als gewöhnlichste Kondition des rasenden Zeitgenossen besungen haben.

Was Landy bleibt, ist seine Katze, die vielleicht deshalb das Vernichtungsfanal überlebt, weil er sie bereits mit dem sinnigen Namen "Rats" "dekonstruiert" hat.