USA drängen auf Internetverbot für Kryptoprodukte

Janet Reno setzt Herta Däubler-Gmelin unter Druck

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Das Bundeskabinett beendete die schwelenden Unsicherheiten in der deutschen Kryptopolitik Anfang Juni mit der Verabschiedung der fünf Eckpunkte. Damit ist die Kryptodebatte jedoch nicht beendet. Im nächsten Jahr steht eine weitere Wassenaar-Verhandlungsrunde auf dem Tisch. Die USA versuchen jetzt schon erste Weichenstellungen vorzunehmen. Ihnen ist die liberale Exportpolitik der Europäer ein Dorn im Auge. Sie versuchen daher die letzten Lücken zu schließen.

Ende Mai forderte US-Justizministerin Janet Reno in einem Brief (siehe Anhang) Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin auf, sich für die Kontrolle der Verschlüsselungssoftware einzusetzen, die "über das Internet verbreitet" wird. Dazu gehören auch "Public Domain"-Produkte. Reno ist der Auffassung, daß der "Gebrauch des Internet zur Verbreitung von Verschlüsselungsprodukten die Wassenaar-Kontrollen ins Leere laufen läßt". Ende 2000 soll das Wassenaar-Abkommen, das unter anderem den Export von Kryptoprodukten regelt, neu verhandelt werden. Bis dahin wollen die USA unter den 33 Wassenaar-Mitgliedstaaten einen breiten Konsens herstellen.

Merkwürdig ist, daß der Brief an das Bundesjustizministerium und nicht an das Bundeswirtschaftsministerium gerichtet wurde, das gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium federführend für die Kryptopolitik ist. Den Amerikanern ist wohl bekannt, wie die Verantwortlichkeiten in der deutschen Bundesregierung verteilt sind. Daher ist anzunehmen, daß sie sich in einem Gespräch mit dem Justizministerium die größeren Erfolgschancen ausrechnen. Das Bundesjustizministerium wollte bislang gegenüber Telepolis die Existenz des Briefes nicht bestätigen. Aus dem Umkreis der Ministerin heißt es jedoch, es habe schon mehrere Briefe desselben Anliegens gegeben. Man arbeite jetzt an einem Antwortschreiben. Allerdings ist nicht bekannt, wie die Antwort auf Renos Ansinnen ausfallen soll. Arne Brand vom Virtuellen Ortsverein der SPD ist über die "Verschleierungspolitik" der Bundesregierung verärgert:

"Einen Deckmantel breite ich doch nur über eine Sache aus, wenn ich keinen eigenen Standpunkt habe, sondern mich der Linie anderer anschließen möchte".

Kryptoexportpolitik als wirtschaftspolitisches Instrument

Auch Hubertus Soquat, Referent im Bundeswirtschaftsministerium wollte die Existenz des Schreibens nicht bestätigen, bezog gegenüber Telepolis dennoch auf der Basis der vom Kabinett verabschiedeten Krypto-Eckwerte klar Stellung: Die "eventuell in den den Raum gestellte Forderung" der Amerikaner, künftig auch Kryptoprodukte im "Public Domain"-Bereich zu regulieren, konterkariere die deutsche Kryptopolitik, die auf die freie Verfügbarkeit von Kryptoprodukten setze. Die freie Verfügbarkeit umfasse einen Bereich von der Entwicklung bis zum Einsatz beim Anwender. Die Bundesregierung könne daher "eventuellen amerikanischen Forderungen nicht entgegenkommen". Soquat ist davon überzeugt, daß "die Kryptoexportpolitik von den USA nicht zuletzt als wirtschaftspolitisches Instrument gehandhabt" wird.

Thomas Rössler, Sprecher des "Fördervereins Informationstechnik und Gesellschaft" (FITUG), hält das Reno-Schreiben für den Versuch, "die Überwachungsmöglichkeiten amerikanischer und befreundeter Behörden möglichst lange aufrecht zu erhalten". Er weist darauf hin, daß eine Exportkontrolle absurde Konsequenzen hätte:

"Eine Computerzeitschrift, die auf einer Beilage-CD-ROM freie kryptographische Software enthält, dürfte am Kiosk nicht mehr oder nur mit Genehmigung an gewisse ausländische Kunden verkauft werden.

Auch die Veröffentlichung freier kryptographischer Software zum allgemeinen Zugriff über das Internet wäre nicht mehr ohne weiteres möglich."

Zudem widersprächen, so Rössler, bereits die Verhandlungsergebnisse von 1998, die kryptographische Massenmarktsoftrware einer Exportkontrolle unterwerfen, dem eigentlichen Zweck des Wassenaar-Abkommens. Dieser besteht darin, "zu regionaler und internationaler Sicherheit und Stabilität beizutragen, indem Transparenz und größere Verantwortung beim Transfer von konventionellen Waffen und Dual-Use-Gütern und -Technologien gefördert und hierdurch destabilisierende Ansammlungen solcher -güter und Waffen verhindert werden". Zudem sollen zivile Transaktionen "bona fide" nicht behindert werden. Rössler:

"In einer Zeit, in der die Verwendung starker Kryptographie auf dem besten Wege ist, zu einer Selbstverständlichkeit zu werden, handelt es sich bei den kontrollierten Transaktionen offenkundig um bona fide civil transactions."

Die Vorstellung, daß durch frei oder auf dem Massenmarkt verfügbare Kryptosoftware ein international destabilisierendes Ungleichgewicht militärischer Stärke hervorgerufen werden können, wirke "absurd". Renos Schreiben habe nichts mit den erklärten Zielen des Wassennaar-Abkommens zu tun, "aber alles mit dem Versuch, die Überwachungsmöglichkeiten amerikanischer und befreundeter Behörden möglichst lange aufrecht zu erhalten", so Rössler.

Nach Auskunft der "Electronic Frontiers Australia" (EFA) ist der Export von "Public Domain"-Kryptosoftware schon jetzt in Australien, USA, Neuseeland, Frankreich und Rußland untersagt, da diese Staaten die "General Software Note" des Wassenaar-Abkommens nicht anwenden. Ein Grund ist der EFA nicht bekannt. Ingo Ruhmann vom "Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung" (FifF) hält den Versuch von Reno, Kryptosysteme einer stärkeren Kontrolle zu unterwerfen, für einen "leichtfertigen Umgang mit essentiellen Grundrechten demokratischer Staaten".

Schon jetzt ist abzusehen, daß die "General Software Note" in den Wassenaar-Vorverhandlungen eine zentrale Rolle spielen wird. Erklärtes Ziel der USA ist es, den Download von Kryptoprogrammen über das Internet zu verhindern. Auch wird die Behandlung von "Public Domain"-Kryptosoftware ein Thema sein. Noch wird über die Definition des "Public Domain"-Begriffes gestritten. Das Wassenaar-Abkommen versteht darunter Software, die "ohne Einschränkungen bezüglich ihrer weiteren Verbreitung" verfügbar gemacht wurde. Aus juristischer Sicht bezeichnet er allerdings Güter, die frei von Copyright-Rechten sind. Kritisch: Dem Wortlaut zufolge genügt es, eine Weiterverbreitung auf CD oder ohne Dokumentation auszuschließen, damit eine Software nicht mehr als "in the public domain" angesehen wird. Gesucht wird nun eine Definition für ein Produkt, das jedermann zugänglich und frei verfügbar ist.